Hubraum ist alles? Die KTM 390 Duke liefert den Gegenbeweis. Der Einzylinder kriegt auch mit 373 Kubik die Kurve - vor allem dank seines leichten Gewichts. Die Maschine ist so radikal abgespeckt, dass sich der Hersteller für Fahranfänger etwas Besonderes einfallen lassen musste.
Der erste Eindruck: Wenig Rahmen, viel Motor. Die Proportionen der 390 Duke sind grazil und ihre grell leuchtende Optik krawallig. Hat man nach den ersten Kilometern auf der Landstraße wieder alle Sinne beisammen, stellt man fest: Auf der Suche nach dem optimalen Leistungsgewicht sind die Ingenieure im österreichischen Mattighofen mit dieser Maschine, die mehr als 10.000 Umdrehungen pro Minute und 44 PS bei nur 138 Kilogramm Leergewicht bietet, einen gewaltigen Schritt vorangekommen.
Das sagt der Hersteller: "Wir hätten uns das wahrscheinlich leichter machen können", sagt Thomas Kuttruf, Pressemann bei KTM International. "Das Fahrzeug hätte auch mit einem aufgebohrten Single-Motor aus der 200er-Duke oder einem abgespeckten 690er-Aggregat funktioniert."
Doch für diese Lösungen ist die 390 Duke für den Hersteller strategisch zu wichtig: Sie schließt nämlich die untere Lücke in der breit aufgefächerten Duke-Palette - und ist das erste Modell aus Mattighofen, das in sämtlichen 76 Ländern angeboten wird, in denen KTM aktiv ist.
In Deutschland hat es die Maschine seit Markteinführung im Frühjahr 2013 trotz des spitz kalkulierten Preises von knapp unter 5000 Euro noch nicht unter die Top 50 geschafft, denn hier regiert Hubraum. Motorräder mit 250 bis 500 Kubik haben erst seit etwa drei Jahren wieder Rückenwind. Global hingegen, auf den rasant wachsenden Halbliterklasse-Märkten in Südamerika, Indien und Asien, kann die 390er für Furore sorgen und mittelfristig die Rekordverkaufszahlen von KTM aus dem Jahr 2012 (rund 110.000 Exemplare) weiter in die Höhe schrauben.
Das ist uns aufgefallen: Die kurze Spritztour nach Feierabend zur mentalen Erholung, dafür ist diese Maschine mit ihrer harten Sitzkuhle gemacht. Den Passagier sollte man aus Platzgründen besser zu Hause lassen.
Das Mini-Cockpit bringt alle nötigen Infos mit; gefahren wird die kleine Duke ohnehin am besten auf Gehör. Ab 4000 Umdrehungen nimmt sie langsam Fahrt auf, bei mehr als 6000 Umdrehungen macht sie richtig Druck. Erst bei 10.500 bläst sie mit klingenden Fanfaren in den Drehzahlbegrenzer. Wenn keine langen Geraden anstehen, kann die 390 Duke dank ihrer Leichtfüßigkeit mit wesentlich hubraumstärkeren Maschinen mithalten. Die sechs Gänge sind leicht und präzise zu schalten, die Bremsen mit abschaltbarer ABS-Unterstützung zwingen das Leichtgewicht ohne Mühe in die Knie.
Das Handling ist - man darf von KTM nichts anderes erwarten - sportlich, aber intuitiv und gutmütig: Im Gegensatz zu anderen Modellen aus Mattighofen wie etwa der 990 Super Duke R hat man bei der 390er kein mulmiges Gefühl dabei, einen Motorrad-Novizen damit auf die Strecke zu schicken.
Das muss man wissen: Die 390 Duke wurde gewogen - und für zu leicht befunden. Zumindest für europäische A2-Führerschein-Inhaber. Die dürfen nämlich nur ein Mindestleistungsgewicht von 0,2 kW pro Kilo fahren. Mit 138 Kilogramm und 44 PS hätte KTM diesen Wert - und damit die wichtige Zielgruppe der 18-jährigen Motorradeinsteiger - verfehlt. Das Problem haben die Ingenieure mit einer Software gelöst, die die PS-Zahl bei Bedarf elektronisch auf 41 PS drosselt.
Gebaut wird die 390er-Duke in Indien beim KTM-Anteilshaber Bajaj. Die Inder, die auf dem Subkontinent pro Jahr rund 3,5 Millionen eigene Kleinmotorräder verkaufen, fertigen auch die 125er- und 200er-Dukes. Der Nachwuchs in der Duke-Familie lebt von einem kostengünstigen Baukastensystem - der Rahmen, die Armaturen sowie Teile der Bremsanlage und der Elektrik der drei kleinsten Dukes sind identisch.
Der Qualität der Fahrzeuge hat die Kooperation mit Bajaj keinen Abbruch getan. Im Gegenteil: Weil in Indien billiger produziert wird, bleibt Spielraum für technische Schmankerl wie Alu-Schmiedeteile, eine filigrane Schwinge und hochwertige Motorkomponenten aus europäischer Fertigung. Die Endkontrolle an jedem Fahrzeug vor der Auslieferung findet laut Unternehmensangaben in Oberösterreich statt.
Das werden wir nicht vergessen: Wer wissen will, für wen und für was die Entwickler von KTM ihre Motorräder bauen, muss in Mattighofen nur aus dem Werkstor und über die Dörfer runter zum Mondsee und ins Salzkammergut fahren. Rein ins Kurvengeschlängel, Berg hoch, Berg runter; je verwinkelter der Kurs, desto heimischer fühlt man sich mit der 390er.
Jochen Vorfelder ist passionierter Motorradfahrer. Er berichtet seit Jahren über die Bike-Szene und betreibt das Blog Moto1203. In der Rubrik Schräglage berichtet er für SPIEGEL ONLINE regelmäßig über die neuesten Zweirad-Entwicklungen. Alle bisher erschienen Schräglage-Folgen
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