Mit ihren unterschiedlich großen Scheinwerfern ist die BMW S 1000 R garantiert keine Schönheit unter den Motorrädern. Aber eine feinfühlig abgestimmte Elektronik, die den bulligen Motor gut im Griff hat, macht das Bike zur Königin der Kurven - und sie schiebt, und schiebt, und schiebt.
Der erste Eindruck:
Man muss sich als Tester schon ziemlich anstrengen, um der Optik der neuen S 1000 R Positives abzugewinnen: Das Heck ragt hoch wie ein Pfauenrad. Vorne am Bug hängt vor dem ausladenden Lenker eine massive und unförmige Plastikbox. Obendrauf ist ein angedeuteter Spoiler geschraubt. Zwei unterschiedlich geformte Schweinwerfer glotzen in die Welt.
Das sagt der Hersteller:
Bei BMW Motorrad nennen die Designer diese Front "Split Face". Sie ist vom erfolgreichen Schwestermodell, der Supersportlerin S 1000 RR, schon bekannt. "Wir bleiben damit unverwechselbar. Wir sind das Gesicht in der Masse", erklärt Chefdesigner Edgar Heinrich. Und überhaupt: "Die eigentlichen Werte stecken im Motorrad."
Das sagt auch Stefan Zeit, der vor vier Jahren die BMW Doppel-R verantwortet hat, und jetzt Projektleiter bei der S 1000 R ist. An der BMW Doppel-R, die das Supersport-Segment dominiert, einfach die Verkleidung wegzulassen, einen breiten Lenker zu montieren, und das Resultat als Naked Bike loszuschlagen, hätte nicht funktioniert: "Mit dem eigenen Motor, dem eigenen Fahrwerk und der eigenen Ergonomie hat die 1000 R einen völlig anderen Charakter".
Das ist uns aufgefallen:
Mallorca im Winter, das geht bei Motorradpräsentationen meist gut. BMW hatte Pech; der Testtag begann mit Regen und Schneematsch auf den Straßen. Zeit also für den Rain-Modus, die Maschine in gezähmtem Zustand. Die BMW-Ingenieure haben fein an der Elektronik gefeilt und programmiert: Die Spitzenleistung ist gekappt, ohne dass das Drehmoment zu leiden scheint, die Gasannahme weich wie Butter, und die Traktionskontrolle schluckt kaum merklich jedes Rutschen, jede Fahrbahnrille und jeden fiesen Gullideckel weg.
Fazit nach der ersten Fahrt, bei der die Heizgriffe dankend in Anspruch genommen wurden: Wenn es sein muss, kann der BMW-Kettenhund lammfromm sein, vor allem wenn er wie die Testmaschine mit dem "Dynamik-Paket" und dem elektronisch geregelten Fahrwerk DDC ausgestattet ist.
Ihre echten Qualitäten können die 160 PS dann am Nachmittag ausspielen. Die Sonne hat die Wolken aufgebrochen; die verwinkelten Landstraßen im Osten Mallorcas sind trocken. Mit dem Sport-Paket liefert BMW auch die Fahr-Modi "Dynamic" und "Dynamic Pro" aus und die machen aus dem 160-PS Triebwerk einen Berserker. Dass gegenüber dem RR-Motor 33 PS verlustig gegangen sind, macht der Gewinn an Drehmoment bei niedriger Drehzahl mehr als wett. Das Gerät bringt schon im Anlauf Kraft ohne Ende auf die Straße; das Vorderrad wird nur elektronisch auf dem Asphalt gehalten.
Und wenn der Vierzylinder weiter nach oben dreht, kennt das Geschiebe, Viertakt-Geröhre und Auspuff-Blubbern kaum Grenzen - es geht schnell und schneller voran, bis der Verstand ruft, dass irgendwo hinter der nächsten S-Kurve die Guardia Civil zum Abkassieren warten könnte.
Dass die S 1000 R leidige Landstraßenreglements schnell ad absurdum führt, ist auch ihrem fast perfekten Fahrverhalten geschuldet. Ihre 210 Kilo Gewicht fühlen sich im Rollen tänzerisch leicht an; gleichzeitig liegen sie in Kurven so stabil wie Blei im Regal. Hier muss nichts in Schräglage gezwungen oder geführt werden, bei der S 1000 R stimmt die Abstimmung.
Das muss man wissen:
Die S 1000 R hat ihre Schattenseiten: Wer fährt so ein martialisches Gerät über lange Strecken? Wer reizt sie bis zum Anschlag bei 250 Stundenkilometer ohne Windschutz aus? So gesehen ist ihre Schwester, die vollverkleidete Doppel-R, für Distanz-Piloten und auch für den Einsatz auf der Rennstrecke das bessere Rohmaterial.
Doch den BMW-Kunden wird das nicht anfechten: Er wird die S 1000 R ab Anfang März vom Händler holen und für die gelegentliche Wochenend-Landstraßenausfahrt noch das Sport-Paket zukaufen - was die S 1000 R immer noch viertausend Euro billiger macht als die vergleichbare Doppel-R.
Die Kalkulation ist ohnehin die größte Überraschung: Die S 1000 R hat bereits in der Basis-Version ein ABS, den vollelektronischen Gasgriff Ride-by-Wire, zwei Fahrmodi Road und Rain (mit 136 PS) und die Stabilitätskontrolle ASC. Dieses Paket bietet BMW zu einem Preis an, der für Münchener Premium-Produkte unerwartet kommt und für die japanischen Konkurrenten ein Schock ist: 12.800 Euro. Mit dem Kampfpreis setzt BMW ein klares Zeichen in Richtung Japan und Italien: Wir wollen mit der S 1000 R bei den Naked Bikes nicht nur mitspielen. Wir wollen euren Markt haben.
Das werden wir nicht vergessen:
Mit welcher elektronischer Feinfühligkeit BMW dem Kampfhund die Ungezogenheit ausgetrieben hat: Nie zuvor waren ABS, Ride-by-Wire-Gas, Stabilitätskontrolle und digital geregeltes Fahrwerk so perfekt auf einander abgestimmt wie bei der S 1000 R.