Das Naturkundemuseum in London. Nicht bei den Dinos. Nicht bei den ausgestopften Löwen. Oder den prächtigen Vögeln. Im Wildlife Garden. Eingeklemmt zwischen der Asphaltwüste der Cromwell Road und dem prächtigen viktorianischen Museumsaltbau, dieser neo-romanischen Kathedrale der Biologie. Auf der Suche nach Fliegen. Ja, wirklich. Erica McAlister:
"Ich war in vielerlei Hinsicht ein Sonderling, aber immer gern draußen. Alles an der Natur hat mir gefallen. Meine Eltern waren Wissenschaftler, aber meine Mutter war auch sehr künstlerisch veranlagt. Eine schöne Mischung. Aber beide Nerds. Ich trieb mich im Gras herum oder fiel von Bäumen, beobachtete die Natur. Und dann wollte ich Biologie studieren. Aber bitte nicht Menschen, sondern nur Tiere. Und ich hatte immer eine Schwäche für die kleinen Dinge. Die sind einfach erstaunlich." Schon. Aber warum? "Ich war ja selber klein. Und ich hatte diesen Dozenten an der Uni, einmal sagte er: "Erica", und hielt mir eine Handvoll Insekten hin: "Das frisst das, das reißt dem den Kopf ab, das legt seine Eier dorthinein." Und von dem Augenblick an war ich verfallen. Insekten, die dermaßen verstümmeln und Tod bringen, sind ganz nach meinem Geschmack." Eine ganz schön morbide Leidenschaft. "Was Du Dir auch ausdenken magst, irgendeine Fliege macht genau das. Viele sehen komisch aus, weil sie sich nicht an den Bauplan für Fliegenkörper gehalten haben, andere haben ihren Lebensraum und ihre Lebensweise völlig abgewandelt. Sie leisten so viele kleine Sachen überall. Also - ich kann nicht anders. Ich mag sie."
Übrigens, wenn Erica McAlister von Fliegen redet, meint sie Diptera, wie die Fachleute sagen, Zweiflügler.
Tiere, die keiner mag Schmeißfliegen kennt jeder Goldstandard, um Leichen aufzuspürenWie schnell Schmeißfliegen Kadaver aufspüren, weiß Martin Hall. Er muss es sozusagen wissen. "Ich habe mal in Simbabwe an Tsetse-Fliegen gearbeitet, die saugen Blut und übertragen Krankheiten." Vor allem die Schlafkrankheit.
"Eines Abends auf dem Heimweg rochen wir diesen schrecklichen Gestank und folgten ihm wie eine Fliege zum Kadaver eines Elefanten. Der Elefant war gerade einmal 24 Stunden tot und schon voller Fliegen und kleiner Larven, die ihn aufzufressen begannen. Als wir nach acht Tagen noch einmal vorbeischauten, waren von dem Elefanten nur noch Haut und Knochen übrig. Mindestens die Hälfte seiner Biomasse hatte sich in Millionen und Abermillionen von Fliegen verwandelt.
An den Maden allein konnte Martin Hall erkennen, wie lange der Elefant ungefähr tot war. Er nutzt im Prinzip eine Methode, die schon weit über einhundert Jahre bekannt ist. Die Fliegenuhr. "Als Goldstandard verwenden wir Schmeißfliegen, weil die eine Leiche als erste aufspüren." Kennt er die Temperaturen der letzten Tage, kann er ziemlich genau bestimmen, wann der Elefant gestorben ist. Je weiter die Schmeißfliegenlarven entwickelt sind, desto länger ist er tot. Diese biologische Uhr beginnt zu ticken, wenn die erste Fliege ein Ei auf den Kadaver legt. Aber schon nach sechs bis elf Tagen trübt sich das Bild - wenn die Maden sich verpuppen.
"Anfangs sind da nur ganz wenige dünne Muskelfasern. Am Ende der Entwicklung füllt die Muskelmasse den ganzen Vorderleib der Fliege." Was wann passiert - diesen zeitlichen Ablauf hat Daniel Martín Vega genau nachgezeichnet und so der biologischen Uhr die fehlenden Stundenstriche hinzugefügt.
Sind Sie vielleicht ein klitzekleines Bisschen befangen? "Allein schon als Fressen! Wenn plötzlich die Larven im Wasser weg wären, die Mückenlarven die Zuckmücken Larven - die stellen einen Riesenteil der Nahrung in Teichen, Seen und Flüssen. All die Fische, die sie fressen. All die Wirbellosen. All die Vögel. Das gäbe eine Kettenreaktion!" Die Gemeine Hausmücke Culex pipiens gibt es so gut wie überall auf der Welt - in Pfützen, Seen, Flüssen oder Teichen. "In Teichen sind die Mückenlarven wirklich wichtig für die Artenvielfalt."
"Mückenlarven sind einfach eine gute Kost"Was ist dann das Problem? "Das Problem ist, dass sich das Plastik anreichert. Wenn ein Vogel 100 Mücken frisst, die jede ein Stückchen Plastik in sich tragen, hat er auf einmal 100 Plastikstückchen im Körper. Und wenn der Vogel viele Mücken mit Plastik gefressen hat und selbst zur Beute wird - für einen Adler zum Beispiel - frisst der Adler auch das Plastik. Da liegt das Problem." Es gibt eine ganze Reihe Studien, die Auswirkungen von Mikroplastik untersucht haben. "Manche finden keine Effekte, andere schon. Eine Studie fand zum Beispiel Darmschäden bei Fischen. Noch kleinere Plastikpartikel - Nanoplastik - können sogar die Darmwand durchdringen und sich im Innern von Zellen ablagern. Das hat garantiert Folgen."
Eine Fliegenart hat es Stefan Kühne besonders angetan. Seine Superheldin."Und zwar eine neotropische Art, die eigentlich eingeschleppt wurde, also eine Art, die eigentlich nur in den tropischen Klimaregionen vorkommt; die aber jetzt besonders an diese warmen feuchten Bedingungen im Gewächshaus angepasst sind. Das ist eine Art, die wir sehr häufig finden, und die den Gärtner begleitet und unterstützt bei der biologischen Schädlingsbekämpfung." Coenosia attenuata ist etwa einen halben Zentimeter groß und grau. "Im englischen Raum wird sie auch Hunter fly genannt, also Jagdfliege. Eigentlich ist sie so recht schwer zu unterscheiden von normalen Stubenfliegen, es ist eigentlich für den Gärtner nur das Verhalten, was sie besonders charakterisiert, dass sie ruhig auf den Blättern sitzt, ihre Umgebung beobachtet und dass man sie fast mit dem Finger berühren kann, ohne dass sie davonfliegt." Wehe wenn sich Beute zu nah an das Blatt heranwagt, auf dem die Jagdfliege sitzt. "Dann starten Sie von diesem Blatt, fliegen in der Luft der Beute hinterher, ergreifen sie mit den Beinen und halten sie fest, fliegen dann wieder zum Ausgangspunkt zurück und saugen die Beute aus." Stefan Kühne beeindrucken die Flugkünste seiner Jagdfliege, mehr aber noch ihr Kopf. "Sie hat einen ganz tollen spezialisierten Proboscis, das sind die Mundwerkzeuge oder trivial kann man auch sagen der Fliegenrüssel."
Alle Fliegen haben am Ende ihres Saugrüssels eine runde Scheibe. Bei der Jagdfliege sitzt da mittendrauf ein Zahn.
"Den Kokon" nennen sie im Londoner Naturkundemuseum dies ... Gebilde ... aus hellem Sichtbeton. Tatsächlich erinnert die Form an eine Insektenpuppe. So wie die Puppenhülle die Schmetterlingslarve vor Widrigkeiten der Außenwelt schützt, behütet der fensterlose Betonmantel eine der größten Insektensammlungen der Welt: Unvorstellbare 22 Millionen Insektenproben lagern dort. Manche Exemplare sind 300, 400 Jahre alt. "Dies ist die Sammlung. Naja, eigentlich nur ein Teil: Dies sind die genadelten Proben und die auf Objektträgern. Vier Reihen Regale mit rund 9000 Schubladen. Die ganze Sammlung einschließlich der Proben in Alkohol enthält an die vier Millionen Proben." Verteilt auf sechs Etagen. Es riecht. "Das ist Naphtalin. Mottenkugeln. Denn ironischerweise gibt es viele Insekten, die gern tote Insekten fressen. Die müssen wir fernhalten. Aber Naphtalin ist krebserregend, darum haben wir es schon vor Jahren aus den Kästen geholt. Aber der Geruch bleibt. Ich rieche das gar nicht mehr, weil ich schon zu lange hier arbeite. Ich könnte nach Mottenkugeln riechen, ohne es zu wissen. Alte Oma."
Schwierig, der Bevölkerung Fliegen nahe zu bringenErica McAlister, die Fliegenexpertin vom Naturkundemuseum in London, zeigt mir ein Fläschchen mit winzigen Gnitzen. Wie grober Kaffeesatz in Alkohol. "Die muss man alle zählen. Nur um Ihnen einen Eindruck zu verschaffen, wie mühsam die wissenschaftliche Arbeit ist. Und Sie sehen, wie schwierig es ist, Fliegen dem Durchschnitt der Bevölkerung nahe zu bringen. Mit dieser besonderen Gnitze geht es leichter, denn ohne diese spezielle Fliegengruppe wäre ein Großteil der Bevölkerung aufgeschmissen. Das ist die Schokoladen-Gnitze." Und wie reagieren die Leute, wenn sie ihnen das erzählen? "Oh, sie haben sich darüber keine Gedanken gemacht. Sie sagen: "Ich liebe Schokolade." - Wenn ich antworte: "Wissen Sie, dass eine Fliege Kakao bestäubt?", kann man ihnen die Enttäuschung vom Gesicht ablesen, den Gedanken: "Oh Gott, jetzt muss ich eine Fliege mögen." Und damit nicht genug: Das sind Stechmücken. Also ein Doppelschlag nach dem Motto: "Mein Universum hat sich gegen mich verschworen." Ja. Willkommen in unserer Welt." Würden Sie jemals eine Fliege erschlagen? Stefan Kühne meint:
"Auf jeden Fall. Fliegen sind natürlich Krankheitsüberträger. Das darf man nicht vergessen." Erica McAlister:
"Habe ich vermutlich schon. Ich versuche aber, sie zu fangen statt sie zu erschlagen. - Nein, meist verscheuche ich sie."