Jessica Wagener

Freie Autorin und Journalistin, Online-Redakteurin, Kolumnistin, Bloggerin,..., Glasgow

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Geschwister - die schönste Hassliebe der Welt


Ein Bruder und eine Schwester, nichts Schöneres kennt die Welt. Kein Band im Leben hält fester, wenn einer zum anderen hält. (Unbekannter Dichter)

Spielgefährte, großes Vorbild, Schulter zum Anlehnen, bester Freund, erbitterter Rivale, Pech und Schwefel: Mit niemandem auf der Welt ist es so wie mit unseren Geschwistern. Niemand kennt uns wie sie, niemand liebt uns auf diese Art und Weise. Nur Geschwister verstehen das.


Zwei Drittel der Kinder in Deutschland wachsen mit Geschwistern auf. Fast ein Drittel davon sieht sich mindestens einmal im Monat. Und jeder fünfte Deutsche wohnt mit Bruder oder Schwester in derselben Stadt. „In der Regel ist diese Beziehung die längste unseres Lebens", sagt Pädagogin Cornelia Mack (63, „Geschwister - wie sie das Leben prägen") aus Stuttgart. Und die wichtigste: Brüder und Schwestern bereiten uns aufs Leben vor, machen uns stark. Umgekehrt kann eine schlechte Beziehung untereinander sogar zu Depressionen führen. 


Dieses Problem haben Einzelkinder nicht. Trotzdem sind sie nicht besser dran. Sie lernen zwar in Kitas, Bündnisse mit anderen zu schließen, aber das ist nicht dasselbe. Expertin Mack: „Mit niemandem sonst teilen wir biografische Ereignisse wie große Urlaube, Geburtstage und die Familiengeschichte wie mit Geschwistern." Das erzeugt Verbundenheit. 


Auch die Wissenschaft bestätigt die Einzigartigkeit dieser Beziehung: Eine kanadische Untersuchung zeigt, dass die Unterstützung des älteren Geschwisterkindes die Sprachentwicklung des Jüngeren fördert. Zudem trainieren wir, Konkurrenten zu sein und uns durchzusetzen.Mit Bruder und Schwester erleben wir das erste Mal Rivalität. Mack: „Das Erstgeborene macht die Erfahrung, dass das zweite Kind Zeit und Liebe von den Eltern wegnimmt. Und erlebt das als Kränkung. Das zweite Kind will das gleiche haben und können wie das große. Das Erstgeborene wiederum will nicht, dass das zweite ihm noch mehr wegnimmt - dadurch entsteht Rivalität."


So ähnlich lief es auch bei der berühmten Familie Zuckerberg. Die ältere Randy war der Star der Familie bis der kleine Bruder Mark mit seinem Unternehmen Facebook die Welt veränderte - und sie überholte. Eine mögliche psychologische Erklärung für Mark Zuckerbergs Weg: Die jüngeren Geschwister sind rebellischer und risikofreudiger, können sich besser entfalten. Den Einser-Abschluss und die Vorzeige-Karriere mussten schon die großen Geschwister hinlegen; den kleinen steht die Welt offen.


Aber wie genau wirken sich Geschwister-Konstellationen aufs Leben aus? Jeder zweite Erstgeborene gab in einer Studie an, mehr Verantwortung zu übernehmen als seine Geschwister. Die ältesten sind zielstrebiger, haben einen (minimal) höheren IQ. Häufig bleiben sie beim Führungspart; überdurchschnittlich viele Politiker und Chefs sind Erstgeborene. Dasselbe gilt auch für Nachzügler, die einen großen Altersunterschied zu ihren Geschwistern haben. In der Familienordnung werden sie wieder als „Erstgeborene" wahrgenommen. 


„Sandwich-Kinder dagegen befinden sich in einer vermittelnden Rolle", sagt Pädagogin Mack. Sie bekommen verschiedene Modelle mit, können von Älteren und Jüngeren etwas lernen. Dadurch sind sie als Erwachsene oft besonders diplomatisch. 


Und die Jüngsten? Sind nicht so verwöhnt, wie viele denken. Studien zeigen, dass Nesthäkchen später exzellente Netzwerker sind, weil sie früh gelernt haben, sich anzupassen. Und ja - sie können auch Charmeure sein, die wissen, wie man Menschen mit einem Augenaufschlag überredet. Die Traumkonstellation ist laut Forschern großer Bruder und kleine Schwester mit drei bis vier Jahren Altersunterschied: Unterschiedliche Interessen, klare Rollenverteilung, kaum Rivalität.


Aber was, wenn ich mich mit meinen Geschwistern überhaupt nicht verstehe?

US-Psychologen haben herausgefunden, dass schwere Geschwister-Konflikte in der Kindheit das Grundvertrauen in andere Menschen erschüttern und im Erwachsenenalter sogar Depressionen auslösen können. Und wenn man komplett den Kontakt zu Bruder oder Schwester verliert? „Dann ist natürlich die Frage: Woran liegt das?", sagt Pädagogin Mack. „Wenn es Konflikte gibt, sollte man sich um Versöhnung bemühen. Auch nach langer Zeit ohne Kontakt können Geschwister wieder Nähe zueinander entwickeln."

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