Jessica Wagener

Freie Autorin und Journalistin, Online-Redakteurin, Kolumnistin, Bloggerin,..., Glasgow

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Margarete liebte ihre Freiheit mehr als Männer

Margarete sagt: „Ich wollte immer über mich bestimmen!"

Wie fühlt es sich an, bis zum Tod zusammen zu sein? Ist man im Alter einsam, wenn man immer Single war? Und wie ist es, sich mit 80 noch mal neu zu verlieben? Am besten fragt man dazu Menschen, die es selbst erlebt haben. In der BamS-Serie „Oma erzählt von der Liebe" blicken Frauen auf ihre persönlichen Geschichten zurück - und verraten, was sie im Laufe ihres Lebens über die Liebe gelernt haben. 

Margarete ist 83 Jahre alt und ihre Stimme knistert ein bisschen. Ihre Hände nesteln an der Tischdecke, während sie mir von ihrem Leben als Single erzählt. Denn Margarete hat bewusst nie geheiratet - aus einem ganz bestimmten Grund: „Ich habe meine Freiheit so sehr geliebt, dass ich sie nicht aufgeben wollte." Die ungewöhnliche Entscheidung einer ungewöhnlichen Frau.

In den Nachkriegsjahren, Margaretes Jugend, gehörten Hochzeit und Familiengründung gesellschaftlich dazu. „Die meisten haben geheiratet, damit sie verheiratet waren. Ob sie den liebten oder nicht, das war nicht so wichtig. Hauptsache, sie waren verheiratet", erinnert sie sich. Alleinstehende Frauen betrachtete man mit einer Mischung aus Mitleid und Argwohn.

Margarete jedoch hatte einen starken Freiheitsdrang, sehnte sich gleichzeitig auch nach großen Gefühlen und Romantik. „Das habe ich leider nie gefunden", erzählt sie, „und deswegen habe ich gesagt: Dann bleibe ich lieber allein!"

Damals, in den 50ern und 60ern, verzichteten viele Frauen durch die Hochzeit tatsächlich auf ein Stück Freiheit, der Mann hatte in der Ehe das Sagen. „Das wollte ich auf keinen Fall", meint Margarete. „Ich habe gesagt: Ich komme auch allein durch. Eine Frau kann auch für sich allein sorgen. Und warum sollte ich das nicht können? Ich wollte immer sagen: Ich bestimme über mich."

Hier erzählt Margarete selbst im Podcast

Genau das war ihr als junges Mädchen nämlich unmöglich. Margaretes Mutter starb 1945 gegen Kriegsende an Typhus. Ihr Vater war eine kurze Zeit lang in russischer Gefangenschaft, heiratete 1947 erneut. Mit der Stiefmutter kamen Margarete und ihr jüngerer Bruder aber gar nicht zurecht. Sie drangsalierte und kontrollierte die Kinder, war immer und überall dabei: „Alles, was mir Spaß ­gemacht hat, durfte ich nicht", ­erinnert sich Margarete und in ­ihrer hellen Stimme schwingt auch Jahrzehnte später noch Wut mit. Nicht mal Heinzi, ihren Schwarm aus der Bibelstunde, durfte sie ­allein treffen.

So schnell sie konnte, zog Margarete von zu Hause weg. Etwa 1960 gingen ihr Vater und seine Frau dann in den Westen, Margarete und ihr Bruder blieben, sie zog zurück auf den Hof auf Rügen.

Für die damals Mitte Zwanzigjährige eine Befreiung: „Als meine Eltern weg waren, vor allen Dingen die Stiefmutter mir aus den Augen war, da war ich glücklich. Und dann wollte ich erst mal das Leben genießen!" Margarete kaufte sich ihr erstes Motorrad - und turtelte ausgiebig bei den Filmfestspielen auf Rügen. „Da waren viele junge Männer, die waren alle vom Film, die haben da gearbeitet und dann haben wir natürlich geflirtet. Da bin ich jeden Abend hingefahren."

Flirten ja - nur festlegen wollte sich Margarete nicht. Außerdem fiel es ihr selten auf, wenn ein Mann ihr ernste Avancen machte: „Ich habe es überhaupt nicht gemerkt, wenn jemand in mich verliebt war. Ich habe das nie so richtig wahrgenommen. Da musste der schon lange verknallt sein, ehe ich das gemerkt habe." Sie schmunzelt.

Zweimal wäre es doch fast etwas geworden mit der großen Liebe. Aber Timing und Umstände stimmten nicht. Der eine wusste nicht, was er wollte, hatte ­bereits vier Kinder, erzählt Margarete. Und später lernte sie auf einem Kirchentreffen einen anderen Mann kennen, es entwickelten sich Gefühle zwischen ihnen. Aber auch er war verheiratet, darum wurde nichts daraus. Außerdem wohnte er auf der anderen Seite Deutschlands. „Er war im Westen und ich war ja bei uns", sagt Margarete. Vergessen haben sie einander dennoch nie ganz, hielten Kontakt. Auch in schweren Zeiten. „Seine Frau war gestorben, im Jahr 2000 war das. Und da ist er dann depressiv geworden." Das weckte schlimme Erinnerungen in Margarete, „weil meine Stiefmutter auch depressiv war. Und mein ­Vater hat sehr viel durchgemacht." Sie habe nicht das Gleiche er­leben wollen. Ein gebranntes Kind scheue eben das Feuer, meint Margarete.

Sie hat ihn dann trotzdem noch einmal besucht nach dem Tod seiner Frau. Und da hätte es vielleicht doch eine winzige Chance gegeben. „Ich hatte ihn schon ein paar Jahre nicht gesehen. Er war älter und ich war älter. Viel älter. Dann bin ich endgültig weggefahren, weil ich mir gesagt ­habe: Nein, das ist jetzt zu spät. Jedenfalls war das, fand ich, dann nicht das Richtige." Margarete hätte, so sagt sie, aus Berlin weg und zu ihm ziehen müssen - für sie unvorstellbar. Seit 1976 wohnt sie dauerhaft in der Stadt und fühlt sich hier zu Hause.

So ist sie bis heute Single geblieben. Einsam ist Margarete aber nicht - im Gegenteil! In ­ihrem Wohnhaus hat sie eine Ersatz­familie gefunden. Eine alleiner­ziehende Mutter ist vor vielen ­Jahren eingezogen, sie haben sich angefreundet. Aus der Nachbarin wurde eine Ersatz-Tochter, aus den Nachbarsmädchen wurden Enkelinnen. „Die freuen sich auch, wenn ich sage ‚Ihr seid meine Enkel­kinder.' Also, sie hat keine Mutter mehr, auch keinen Vater mehr. Da bin ich wirklich die einzige Oma", sagt sie und strahlt.

Doch auch ihre Ersatztochter bekommt den gesellschaftlichen Druck zu spüren - so wie Margarete all die Jahrzehnte schon vor ihr: „Es ist immer noch so, dass viele Leute denken, eine Frau muss verheiratet sein. Und die denken auch bei ihr, sie müsste verheiratet sein." Sie holt kurz Luft und sagt dann energisch: „Ich weiß nicht, warum! Weiß ich wirklich nicht. Wenn sie so glücklich ist, dann ist es doch ihre Entscheidung."

Nur zu heiraten, um im Alter nicht einsam zu sein, das ist laut Margarete übrigens zu kurz gedacht, denn in den meisten Fällen sterbe ja doch einer vor dem anderen.

Alleinsein ist keine Schande, findet Margarete. Und lernen kann man es auch. „Ich bin einfach nicht der Mensch, der sich einsam fühlt. Jedenfalls bis jetzt noch nicht. Man muss sich allerdings Gelegen­heiten und Möglichkeiten schaffen, dass man was Schönes sieht oder erlebt." Ihr Herz ist nicht mehr das fitteste, aber sie ist nach wie vor lebens- und unternehmungslustig. Bereut sie ihre Entscheidung, für immer allein geblieben zu sein? „Auch wenn ich jetzt manchmal so drüber nachdenke - nö, ich bereue das nicht."

Es war ein langes, erfülltes ­Single-Leben bis hierhin. Das wird es auch bleiben, meint ­Margarete. Und ihre von Fältchen umkränzten Augen funkeln, als sie sagt: „Mich end­gültig binden, das würde ich wahrscheinlich jetzt auch noch nicht können." In der nächsten Folge von „Oma erzählt von der Liebe" spricht Grete (91) darüber, wie es wirklich ist, ein ganzes Leben lang mit einem Menschen verheiratet zu sein und ihn bis zu seinem Tod zu pflegen. Sie kennen selbst auch Seniorinnen mit berührenden Liebesgeschichten oder haben Anmerkungen zu unserer Serie? Schreiben Sie uns ­eine Mail an: podcast@bams.de Zum Original