David Wagner, Jahrgang 1971, ist seit 2015 Manager des englischen Erstligisten Huddersfield Town. In nur zwei Jahren führte der ehemalige Trainer von Borussia Dortmunds zweiter Mannschaft einen abstiegsbedrohten Zweitligisten in die Premier League. Wagner ist Trauzeuge von Jürgen Klopp.
SPIEGEL ONLINE: Im Mai sind Sie überraschend in die Premier League aufgestiegen, haben die ersten beiden Ligaspiele gewonnen und ein Remis geholt. Ist das alles noch etwas unwirklich?
Wagner: Ja, schon noch. Denn ich gehe nicht jeden Morgen hier zum Training und denke: 'Wow, das ist Premier League hier!' Wir sind der kleinste Aufsteiger aller Zeiten und von unserem Erfolg überholt worden. Und auf einmal bist du hinter Manchester United auch noch Zweiter in der Tabelle.
SPIEGEL ONLINE: Die Fans haben in der ganzen Stadt dem Mannschaftsbus zugejubelt. Der Besitzer eines Pubs sagte uns, Sie würden sogar sein Geschäft beleben. Sind Sie stolz auf solche Reaktionen?
Wagner: Nein, stolz nicht, das ist das falsche Wort. Aber ich freue mich einfach für die Leute hier. Huddersfield ist eine richtige Arbeiterstadt, ähnlich wie das Ruhrgebiet. Nicht die reichste Gegend, aber bewohnt von Leuten mit sehr viel Herz. Wenn sie dann noch mit unserem Erfolg dazuverdienen, ist das doch toll!
SPIEGEL ONLINE: Leeds, Sheffield, Manchester. Im Umkreis von 100 Kilometern sind viele Erst- und Zweitligisten beheimatet. Die Dichte ist enorm.
Wagner: Ich habe sofort gemerkt, dass es hier anders ist, der Fußball ist präsenter in der Gesellschaft. Jeder hat seinen Verein, quasi von Geburt an. Ansatzweise gibt es das vielleicht noch bei Schalke und Dortmund. Diese alten knarzenden Stadien, errichtet auf unebenen Bolzplätzen, immer wieder ausgebaut. Du denkst: 'Warum stehen die hier mitten im Wohngebiet?!'. In Deutschland wurden die Arenen geplant angelegt, außerhalb der Stadt.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie denn schon viel von der Region gesehen?
Wagner: Nein, wenig. Noch habe ich ein Apartment in Leeds um die Ecke. Nächsten Monat kommt die Familie aus Dortmund nach. Dann ziehen wir in die Stadt. Ich kann bisher nicht sagen, ich lebe hier. Als Manager in England, der auch Spieler verpflichten muss, sich quasi um alles kümmert, hast du mehr zu tun als die Trainer in Deutschland.
SPIEGEL ONLINE: Sie sind einer von 14 ausländischen Trainern in der Premier League. Dazu kommen viele Star-Spieler aus Übersee. Gefährdet das die Identität des englischen Fußballs?
Wagner: Nein, jeder hat seine Philosophie. Neben Rafael Benítez oder José Mourinho, mit ihren eigenen Ideen, gibt es den urbritischen Fußball, wie Tony Pulis ihn bei West Brom spielt, eben auch noch. Auch wir haben unsere Spielidee, wollen couragiert spielen, auch wenn es nicht immer funktioniert. Kick-and-Rush wollen wir vermeiden.
SPIEGEL ONLINE: Tacklings, Balleroberungen, Flankenläufe. Am zweiten Spieltag gegen Newcastle hat Ihre Mannschaft ein richtig englisches Spiel gezeigt. Muss man hier ein bisschen englisch spielen?
Wagner: Nein, aber das kommt automatisch. Der Schiedsrichter tickt hier ja anders. Das Spiel ist fairer, ehrlicher. Nicht so theatralisch wie in Deutschland. Hier wälzt sich keiner auf dem Boden, schreit nach Fairplay, um den Konter zu unterbrechen. Hier wird gespielt. Das brauchen wir in Deutschland auch.
SPIEGEL ONLINE: Pep Guardiola beschwert sich fast wöchentlich über die "anderen englischen Regeln". Sind Sie seiner Meinung?
Wagner: Nachspielzeit von manchmal neun Minuten - das gibt's hier eben. Was soll's. Ich muss mich anpassen in diesem Land, nicht umgekehrt.
SPIEGEL ONLINE: Trotz der anderen Mentalität setzen Sie auf deutsche Spieler. Sieben haben Sie bereits im Kader. Warum?
Wagner: Die Preise sind hier ja inflationär. In Deutschland bekomme ich mehr Qualität zu einem angemessenen Preis. Meine Kenntnis im deutschen Markt ist da hilfreich, wenn du nicht wie Manchester City mit Geld um dich werfen kannst.
SPIEGEL ONLINE: Was können die Spieler aus beiden Ländern voneinander lernen?
Wagner: Die Deutschen das ehrlichere Spiel und die Engländer lernen Professionalität. Richtige Ernährung etwa, oder dass man auch zweimal am Tag trainieren kann, und danach trotzdem noch laufen kann. Auch dass man nicht meilenweit entfernt vom Verein wohnt. 15 Meilen sind Maximum. Das steht jetzt in den Verträgen.
SPIEGEL ONLINE: Müssen denn die deutschen Spieler mehr betreut werden als die englischen Kollegen? Brauchen die Deutschen mehr Massagen?
Wagner: Ja, am Anfang war das eine Umstellung für unsere Physiotherapeuten. Die hatten plötzlich ganz andere, viel längere Arbeitszeiten.
SPIEGEL ONLINE: Und taktisch? In Deutschland sagt man, die Premier League spiele rückständig. Stimmt das?
Wagner: Wir haben gerade mal drei Spiele gespielt. Fragen Sie mich in ein paar Monaten nochmal. Für die zweite Liga hier gilt: Es gibt viele Spielstile, portugiesisch, serbisch, holländisch und den Stil der Briten, die die Murmel einfach nur nach vorne kloppen.
SPIEGEL ONLINE: Das klingt sehr rückständig.
Wagner: Nein, denn die schlagen dich dann 3:0 durch drei Tore nach Eckbällen. Wenn du wie Leicester Jamie Vardy vorne hast, dann macht das doch auch Sinn so zu spielen. In Deutschland spielen doch alle Klubs mehr oder weniger gleich - Pressing, Gegenpressing. Spannender ist es hier auf der Insel.
SPIEGEL ONLINE: Und warum sind die englischen Vereine seit Jahren in Europa nicht mehr erfolgreich?
Wagner: Für die großen Klubs ist es das Wichtigste, die Liga zu gewinnen. Den nationalen englischen Titel. Wenn du dann international in der Champions League noch eine Trophäe holst, ganz nett.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben bei Borussia Dortmund vier Jahre die Jugend betreut. Wie beurteilen Sie die englischen Jugendspieler?
Wagner: Das ist interessant. Bis zum Alter von 19, 20 gibt es hier herausragende Jugendspieler. Das ist verrückt im Vergleich zu Deutschland. Aber die wenigsten schaffen den Sprung, vor allem in einem großen Klub. Da kommen sie mit 24 Jahren das erste Mal in der ersten Mannschaft zum Einsatz und waren vorher sechsmal ausgeliehen. Vielleicht verdienen die auch zu früh zu viel Geld. Ich weiß es nicht. In Deutschland läuft das besser.