Von Jens Möller
Zweite Wahl, Lachnummer, Loser-Team - die New Jersey Nets plagt das Image des "anderen Clubs" im Großraum New York. Im ersten Teil der Serie beleuchtet das Basketballmagazin "FIVE" die frühen Jahre der Franchise - und wie "Dr. J" das Spektakel nach New Jersey brachte.
New Yorker Sport-Fans sind gnadenlos. Das Beste ist für sie gerade gut genug, Verlierer werden nicht geduldet. Versagt trotzdem ein Team, kann es mit lautstarken Unmutsäußerungen von der Tribüne rechnen. Dazu hetzen die Boulevard-Medien im "Big Apple" fleißig gegen den Loser des Tages. Der Druck, den eine Verpflichtung in NY mit sich bringt, hat schon manch gestandenen Profi gebrochen.
Zwar haben die Basketball-Anhänger derzeit auch an ihren New York Knicks wenig Freude, trotzdem strafen sie die New Jersey Nets noch immer als "hässliches Stiefkind". Schon lange vor ihrem katastrophalen Start in die aktuelle NBA-Saison gelten die Nets nur als "das andere Team" im Herzen des US-Basketballs. Für die zweite NBA-Franchise im Dunstkreis der Ostküsten-Metropole blieb nie viel übrig.
Ein Grund für diese negative Wahrnehmung könnte sein, dass die Verantwortlichen schon fast zwanghaft tief stapeln - so wie sie bei den Knicks traditionell zu hoch hinauswollen. 1967 hat Arthur Brown, New Jerseys Teamgründer und Frachtunternehmer, allen Ernstes vor, den Club "Freighters" (Frachter) zu nennen. Dann soll es doch etwas mehr Glamour sein, und so gehen damals die "New York Americans" an den Start - allerdings in der American Basketball Association (ABA), weil die NBA keine neuen Mitglieder haben will.
Erst nach langem Suchen und gegen den Widerstand des Platzhirsches Knickerbockers findet Brown schließlich eine umgebaute Halle der US-Armee im benachbarten New Jersey. Der Club muss aus dem "Big Apple" weichen, ein ewiges Problem der Franchise. In den ersten Jahren tingeln die Americans wie ein Wanderzirkus durch das New Yorker Umland.
Mets, Jets ... Nets!
Apropos Zirkus: Als die Americans in ihrer ersten Saison 1967/68 in einem Entscheidungsspiel gegen die Kentucky Colonels um den Einzug in die Playoffs kämpfen sollen, ist die Halle an einen echten Zirkus vermietet. Schon während der Saison standen schon bei manchen Spielen Tierkäfige in der Halle. Die wenigen Fans, die sich zu den Spielen der Americans verlaufen, hören während der Partie die Löwen brüllen.
Für das Spiel gegen Kentucky sucht Arthur Brown verzweifelt nach einem Ausweichquartier und findet die Commack Arena auf Long Island. Dummerweise schaut sich niemand die Halle vorher an. Als die Spieler eintreffen, fällt das Parkett unter ihren Füßen fast auseinander. Kentuckys Headcoach Gene Rhodes weigert sich anzutreten. ABA-Boss George Mikan sagt die Partie ab und wertet sie als Sieg für Kentucky. New Jersey verpasst die Playoffs.
Trotzdem ziehen die Americans im Sommer 1968 in die - inzwischen renovierte - Commack Arena. Der Grund ist einfach: Long Island gehört zu New York, so kann die Mannschaft wieder diesen prestigeträchtigen Namen tragen. Ein Reporter bringt Besitzer Brown außerdem auf eine Idee: Er solle das Team so umbenennen, dass sich der Name auf die der anderen New Yorker Sportfranchises - der Mets (Baseball) und Jets (Football) - reime. Also heißt das Team ab jetzt "New York Nets".
Im Sommer 1969 halten die ABA-Clubs eine geheime Draft ab. Die Nets wählen Lew Alcindor, später bekannt als Kareem Abdul-Jabbar, der sogar ernsthaftes Interesse zeigt. Aber Arthur Browns Vertragsangebot ist so mickrig, dass sich Alcindor "nicht ernst genommen" fühlt, wie er später sagt. Binnen zwei Jahren führt der dominanteste Center der 70er Jahre stattdessen die Milwaukee Bucks zur NBA-Meisterschaft. Wenig später kauft der Textilunternehmer Roy Boe die Nets.
Dieser weiß: Alles muss eine Nummer größer aufgezogen werden. Boe verpflichtet 1970 den ersten richtigen Star - Rick Barry. Der Flügelspieler wird zwei Jahre in Folge zweitbester Scorer der ABA und führt die Nets 1972 sogar ins Finale um die Meisterschaft, das die Mannschaft gegen die Indiana Pacers verliert (2-4). Aber dieser Achtungserfolg reicht nicht, um sich die Aufmerksamkeit in New York zu verdienen. Im Sommer 1972 geht Barry, ein Jahr später werden die New York Knicks NBA-Meister und sind beliebter denn je.
Ankunft des "Docs"
Im Schatten der Knicks-Meisterschaft verpflichten den Nets den 23-jährigen Julius Erving vom ABA-Konkurrenten Virginia Squires. Ein Wechsel, der alles verändert. "Dr. J" wird mit seinem wippenden Afro und seinen tänzelnden Bewegungen auf dem Spielfeld zur Ikone der "Discoliga". Mit dem "Doc" sind die biederen Nets plötzlich wild und spektakulär. Kein Leistungsträger ist älter als 25 Jahre. Die Mannschaft ist voller Charakterköpfe, die von den Fans geliebt werden.
"Dr. J" brilliert, Billy "The Whopper" Paultz schuftet am Brett - und Wendell Ladner posiert halbnackt mit Ball und Brusthaar für ein Poster. Headcoach ist der erst 32-jährige Kevin Loughery. Die Nets stürmen bis ins ABA-Finale 1974, in dem sie die Utah Stars überrennen (4-1). Erving wird zum wertvollsten Spieler der ABA gewählt - der erste von drei MVP-Titeln in Folge.
In der folgenden Saison leisten sich die Nets eine Erstrundenpleite gegen die Spirits of St. Louis, stehen aber in der Spielzeit 1975/76 wieder im ABA-Finale. Das Duell mit den Denver Nuggets katapultiert die ABA in die landesweiten Schlagzeilen. In den ersten beiden Spielen wird zwei Mal der Zuschauerrekord der Liga gebrochen - über 20.000 Fans sehen den Sieg der Nuggets in Spiel zwei. Dank eines überragenden Julius Erving gewinnen die Nets ihre zweite ABA-Krone.
Lesen Sie im zweiten Teil der Vereinshistorie über die New Jersey Nets: Wie der Wechsel in die NBA den Verein fast ruiniert, der Unfalltod eines Hoffnungsträgers die Franchise erschüttert - und Derrick Coleman sich mit Coach, Fans und Presse anlegt.
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