Jennifer Johnston

Korrespondentin im ARD-Studio Singapur, Hamburg

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Diesel-Skandal: Milliarden-Rechnung für Winterkorn

VW fordert von seinem Ex-Vorstandschef Winterkorn mehr als eine Milliarde Euro Schadenersatz. So viel wurde bisher noch nie von einem Konzernvorstand in Deutschland verlangt.

Mit einer so hohen Summe hatten die wenigsten gerechnet: In einem kurzen Schreiben formuliert VW seine Forderung. Nach Informationen von "Süddeutscher Zeitung", NDR und WDR verlangt der Autohersteller mehr als eine Milliarde Euro von Winterkorn. Die Höhe der Summe begründet der Konzern damit, dass VW Kosten in dieser Höhe hätte sparen können, wäre Winterkorn früher tätig geworden.

VW wirft dem heute 73-jährigen Ex-Vorstandschef fahrlässige Pflichtverletzung vor. Winterkorn habe es nach einem Treffen am 27. Juli 2015 unterlassen, die Hintergründe des Einsatzes unzulässiger Softwarefunktionen "unverzüglich und umfassend aufzuklären". Zudem habe er es versäumt, dass die Fragen der US-Behörden "umgehend wahrheitsgemäß und vollständig beantwortet werden". Das habe, so VW, zu noch höheren Strafen und Schadenersatzzahlungen in den USA geführt. Hätte Winterkorn gleich nach dem 27. Juli 2015 gehandelt, hätte sich VW Kosten von über einer Milliarde Euro sparen können. So machten die US-Behörden die Manipulation am 18. September 2015 öffentlich.

Winterkorn kann Summe nicht privat bezahlen

Es soll kein glatter Betrag sein, den Volkswagen von Winterkorn fordert. Sondern eine krumme, genau berechnete Summe. Diese kann Winterkorn nicht aus seinem Privatvermögen bezahlen. Die Rechnung von VW richtet sich vielmehr an seine Versicherer. Manager wie Winterkorn haben für solche Fälle eine Haftpflichtversicherung. Je genauer die Forderung gegenüber Winterkorn begründet ist, desto bessere Chancen hat Volkswagen bei den D&O-Versicherern. Die Abkürzung kommt aus dem Englischen und steht für "Directors and Officers", also für Vorstände und Aufsichtsräte. Die D&O Versicherung ist somit eine Berufshaftpflichtversicherung für Führungskräfte.

Das Konsortium bei dem VW seine Manager abgesichert hat, wird nach SZ-Informationen vom Schweizer Versicherer Zurich angeführt. Die Versicherungshöhe soll sich auf 500 Millionen Euro belaufen. Sie greift im Fall fahrlässiger Pflichtverletzungen. Also genau in dem Fall, den VW seinem ehemaligen Vorstandschef vorwirft. Sollte Winterkorn jedoch vor dem Landgericht Braunschweig wegen Betrugs verurteilt werden, wären die Versicherer fein raus. Bei einer rechtskräftigen Verurteilung dürfte die Police nämlich nicht greifen. Der Prozess gegen Winterkorn soll Mitte September beginnen.

VW fordert von weiteren Managern Schadenersatz

Der Aufsichtsrat von Volkswagen verlangt auch von vier weiteren früheren Managern Schadenersatz. Darunter Ulrich Hackenberg, damals Vorstand bei Audi; Wolfang Hatz, zuletzt Vorstand bei der VW-Tochter Porsche; Stefan Knirsch, Ex-Vorstand von Audi; und Rupert Stadler, langjähriger Chef der Ingolstädter VW-Tochter Audi. Seine Quittung soll jedoch deutlich geringer ausfallen als die von Winterkorn. Die Anwälte von Winterkorn und Stadler wollten sich zu den VW-Forderungen nicht äußern. VW äußerte sich ebenfalls nicht. Alle betroffenen Ex-Manager weisen seit jeher sämtliche Vorwürfe zurück.

Vermutlich wird es auch ans Privatvermögen der ehemaligen Konzernlenker gehen. Sie müssen allerdings nicht befürchten, zu verarmen. Frühere Fälle bei Siemens, der Deutschen Bank und anderen Konzernen zeigen, dass einstige Vorstandschefs in der Regel den größeren Teil ihres Vermögens behalten können.

3100 Euro Rente - am Tag

Siemens langjähriger Vorstandschef Heinrich von Pierer etwa musste nach dem Schmiergeldskandal fünf Millionen Euro zahlen. Rolf Breuer, der ehemalige Chef der Deutschen Bank hatte sich in einem TV-Interview wenig schmeichelhaft über den Medienmagnaten und Kreditkunden Leo Kirch geäußert. Die Deutsche Bank kostete das fast eine Milliarde Euro. Breuer selbst zahlte davon nur 3,2 Millionen. Das war schätzungsweise nicht einmal ein Drittel seines Privatvermögens.

Käme Winterkorn auch so gut davon, könnte ihm vermutlich noch ein Vermögen in zweistelliger Millionenhöhe bleiben. Als VW-Chef hatte er bis zu 17 Millionen Euro im Jahr an Gehalt und Boni kassiert - so viel wie kein DAX-Vorstand vor ihm. Heute soll er eine Rente von rund 3100 Euro pro Tag beziehen.

Winterkorn will von nichts gewusst haben

Winterkorn sagt seit Jahren, er habe von den Manipulationen nichts gewusst. VW Diesel-PKW in den USA stießen teils das 35-fache an Stickoxiden aus als erlaubt waren. Im Untersuchungsausschuss des Bundestags zur Abgasaffäre betonte er zudem, dass er nicht verstehe, warum er von seinen eigenen Leuten "nicht frühzeitig und eindeutig" aufgeklärt worden sei. Ob diese Version haltbar ist, muss sich erst noch zeigen. Mehrere ehemalige Kollegen belasten Winterkorn. Sie haben vor der Staatsanwaltschaft Braunschweig ausgesagt, Winterkorn schon Ende Juli 2015 über die Manipulation informiert zu haben.

Fünfeinhalb Jahre später liegt nun die Quittung seitens VW auf dem Tisch. Die Versicherer sollen zahlen. So viel wie möglich. Dazu braucht es hohe Forderungen. Dann wird regelmäßig kräftig gefeilscht. Bis heute hat der Diesel-Skandal den VW Konzern 32 Milliarden Euro gekostet. Diese Summe wird auch die hohe Schadenersatzforderung gegenüber Winterkorn nicht ausgleichen können.

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