Jennifer Johnston

Korrespondentin im ARD-Studio Singapur, Hamburg

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Debatte Herdenimmunität

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Der Lockdown war richtig, sagen viele Wissenschaftler.
Doch wie der Weg zurück in die Normalität aussieht, ist umstritten.
Ewig lasse sich der Shutdown nicht durchhalten.

O-Ton Ansgar Lohse, Klinikdirektor UKE
"Wir sehen natürlich jetzt viele Dinge ausschließlich durch diese Corona Brille und wir vergessen, dass viele unserer Maßnahmen auch andere Erkrankte gefährden. Die Krankenhausversorgung ist geringer, die Vorsorgeuntersuchungen finden nicht mehr statt, und die wirtschaftlichen Konsequenzen sind gerade auch für Unterprivilegierte, zum Teil von katastrophalen Folgen."

Eine weitere Folge: Durch die strikten Maßnahmen infiziert sich nur ein kleiner Teil der Bevölkerung. Das ist erstmal gut. Aber es verhindert, dass viele Menschen immun werden. Die Gesellschaft schiebe das Problem nur vor sich her.

O-Ton Martin Eichner, Epidemiologe Universität Tübingen
„Das ist die Kehrseite der Medaille. Wir können eben nur beides gemeinsam haben. Wir haben keinen Impfstoff. Also ist die einzige Möglichkeit, die Immunität zu erzeugen, dass man eben Infektionen hatte."

Um die Pandemie zu stoppen, müssten sich Zweidrittel der Bevölkerung infizieren. Und damit immun werden - Die Herdenimmunität. Das Virus würde sich nicht weiter ausbreiten.

Deutschland hat 82 Millionen Einwohner. Um hier Herdenimmunität zu erreichen, müssten 60-70% erkranken, also 48 bis 56 Millionen Menschen.

Selbst Kritiker dieser Idee sagen:

O-Ton Stoll, MHH
„Herdenimmunität ist was wunderschönes.“

Aber die Idee sei riskant.

O-Ton Matthias Stoll, MHH
"Wenn uns dieses schöne Experiment nicht glückt, weil uns irgendwas dabei aus dem Ruder läuft, dann haben wir das, was wir gerade mühsam versuchen zu verhindern, nämlich ein Überlaufen und Überrollen des medizinischen Systems."

Und damit viele Tote.

Angenommen die Letalität, also die Wahrscheinlichkeit an der Krankheit zu sterben, betrage 1 Prozent.

Dann würden in Deutschland bis zum Erreichen der Herdenimmunität 480-560.000 Menschen sterben.

In ungünstigeren Szenarien, mit überlasteten Krankenhäusern deutlich mehr.

Daher empfehlen Wissenschaftler nur eine langsame und schrittweise Rückkehr zur Normalität. Wenn zum Beispiel Schulen und Kindergärten zu schnell wieder geöffnet würden, wäre das Ansteckungsrisiko für die Älteren hoch.

O-Ton Martin Eichner, Epidemiologe Universität Tübingen
"Es hat ja keinen Sinn, dass die Älteren eben Zuhause eingesperrt werden, muss man schon fast sagen. Und die Jüngeren dürfen raus, wenn die Jüngeren den alten die Infektion nach Hause bringen können."

Würde Deutschland dennoch auf Herdenimmunität setzen, müssten Risikogruppen noch besser als jetzt geschützt werden.

O-Ton Alexander Kekule
"Wir müssen konkrete Programme haben für Altersheime, für Alterstagesstätten, aber auch für Risikogruppen wie Behinderte zum Beispiel, die ja auch intensiv und aus engster Nähe betreut werden müssen. Da ist es notwendig, als allererstes das Personal zu schützen und zwar auch im privaten Bereich. Das Personal infiziert sich ja Zuhause. Und zweitens müssen wir für die Heime selber und für diese Betreuungssituation zum Beispiel Masken zur Verfügung stellen und zwar die gleichen, wie sie im Krankenhaus verwendet werden.“

Ein Dilemma. Herdenimmunität oder weiter Einschränkungen der Freiheit. Beide Wege bergen große Risiken.