Jennifer Johnston

Korrespondentin im ARD-Studio Singapur, Hamburg

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Cum-Ex-Prozess: "Alle wussten, was sie taten"

Landgericht Bonn, halb zehn am Dienstagvormittag. Alle warten auf Benjamin Frey. "Ist der Zeuge schon im Saal?" fragt der Vorsitzende Richter Roland Zickler. Keine Reaktion. Zickler lässt ihn ausrufen. Da öffnet sich die Tür zum Sitzungssaal. Eskortiert von zwei Strafrechts- und zwei Medienanwälten sowie seinem Medienberater betritt der wohl wichtigste Kronzeuge im Cum-Ex-Skandal den Raum. Er trägt einen grauen Anzug, keine Krawatte und hat nur ein kleines Notizbuch dabei.

"Sie haben umfangreich ausgesagt", sagt der Richter und klopft auf einen Stapel roter Aktenmappen, der vor ihm auf dem Tisch liegt. "Das sind mehr als 1.000 Seiten." Frey nickt. "Und Sie sind im Fernsehen aufgetreten. Das ist ja kein Geheimnis." Er habe sich das Interview noch einmal angesehen, zur Vorbereitung auf diesen Tag. Es ist jenes Gespräch, dass der Kronzeuge vor rund einem Jahr mit einem Reporterteam vom ARD-Magazin Panorama, der ZEIT, ZEIT ONLINE und Correctiv geführt hat. Damals trug er eine Maske und nannte sich Benjamin Frey, weil er Angst hatte vor seinen früheren Komplizen. Wohl aber auch, weil er schon damals dabei war, sich eine neue Existenz als seriöser Anwalt aufzubauen. Die Geschichte des Steuerräubers soll sie nicht beschmutzen.

"Sind Sie akut bedroht?", fragt Richter Zickler. In der Vergangenheit habe es mehrere Versuche gegeben, ihn davon abzuhalten, sich den Behörden zu offenbaren, antwortet Frey. "Aber das ist jetzt vorbei." Dann erzählt er detailliert, was er schon damals in dem Gespräch mit den Reportern zwei Tage lang berichtet hatte.

Freys Erzählung beginnt in der Provinz, in der er aufwächst und aus der er ausbrechen will. Er studiert Jura, legt einen herausragenden Abschluss hin. Eine große Kanzlei aus London heuert ihn an. Oft geht es darum, die Steuerlast reicher Kunden zu drücken. "Wir hatten alle dieses Bild vor den Augen: Der Feind ist der Staat", hatte Frey ZEIT ONLINE gesagt. "Meine Gier war so groß, da habe ich mich mit Moral nicht aufgehalten."

Dann, 2004, lernt Frey Hanno Berger kennen. Berger gilt als begnadetster Steuertrickser Deutschlands. Frey, das Provinzkind, bewundert Berger, den Sohn eines Pfarrers, für dessen Intellekt, seine humanistische Bildung, die Latein- und Griechischkenntnisse. Frey wechselt zu Berger. Über die Jahre der Zusammenarbeit wächst zwischen ihnen ein enges Verhältnis, fast wie zwischen Vater und Sohn.

"Ich war viele Jahre ein Gefolgsmann, ich habe an ihn geglaubt", so hatte es Frey im Reportergespräch beschrieben. "Vor allen Dingen habe ich an seine Macht geglaubt. Der hatte auch Macht über mich." Bei den Cum-Ex-Geschäften, die Berger laut den Ermittlern seit spätestens 2006 einfädelt, ist Frey von Anfang an mit dabei.

Doch 2016 bricht Frey mit seinem Ziehvater. Drei Jahre zuvor hatten die Behörden die Kanzlei der beiden in Frankfurt durchsucht. Seither erhöhten die Ermittler den Druck. Schließlich hält Frey es nicht mehr aus, er hat Angst vor dem Gefängnis. Vor der Kölner Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker legt er während seiner 14-monatigen Vernehmungen eine Art Lebensbeichte ab und verpfeift seine Komplizen von einst. Zwei von ihnen, britische Aktienhändler, sitzen in Bonn auf der Anklagebank.

Vor Gericht schildert Frey noch einmal, wie es zuging in der "Parallelwelt" der Cum-Ex-Jongleure. Wie er verdrängt habe, dass ihre Deals nur wegen ihrer "Winkeladvokatur" legal erschienen. Allerdings darf man zweifeln, wie stark diese Verdrängung wirklich war. Denn im Gespräch mit den Reportern hatte Frey gesagt, er habe kein einziges Treffen von beteiligten Bankiers, Anlegern, Steuerberatern, Rechtsanwälten oder Investmentbankern erlebt, bei dem nicht alle Anwesenden die Grundprinzipien der Cum-Ex-Geschäfte verstanden hätten. Wenn jemand heute etwas anderes behaupte, so sagte er damals, nenne er das "partielle Amnesie".

Von  Karsten Polke-Majewski und  Jennifer Lange,  Christian Salewski und Oliver Schröm, Bonn

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