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Karibik: Einsame Traumstrände? Die Insel Tobago hat sie noch - WELT

Einsame Traumstrände? Die Insel Tobago hat sie noch

Schon vor 250 Jahren stellte man den Regenwald auf Tobago unter Naturschutz, um Tourismus kümmerte man sich dagegen lange nicht. Das hat zur Folge, dass Urlauber auf der Insel heute noch den ursprünglichen Charme der Karibik genießen.

Just Fun, so heißt das Boot von Captain Stefan Philipps. In blauen, handgemalten Lettern prangt der Name auf dem Rumpf. „No Fuss", also sinngemäß bloß keinen Stress, steht fröhlich daneben. Alles easy auf dem leuchtend rot und gelb gestrichenen Schiff, das in der türkisfarbenen Buccoo Bay schaukelt. Alles entspannt hier in der Karibik. Die Flagge des Zwillingsinselstaates Trinidad und Tobago weht über dem Bug.


Der Kapitän steht lässig auf dem Deck und schaut zu, wie seine Gäste das mit dem Bloß-keinen-Stress noch lernen müssen. Ziemlich angestrengt schnorcheln sie ums Riff herum, bis sie endlich merken, dass sich all die bunten Fische, die sie suchen, direkt unter dem Boot tummeln - und sich durch dessen Glasboden beobachten lassen.

Man hätte einfach an Bord bleiben und sie bei einem Cocktail betrachten können. „Die sind eben alle meine Freunde, die bleiben bei mir", ruft der Kapitän zu den Urlaubern hinunter, die nun über sich selbst grinsen, und er lacht laut und ausgelassen, wie man es oft hört auf Tobago.


Phillips ist hier in Buccoo aufgewachsen, in einem kleinen Haus auf dem Hügel. Er arbeitete als Tauchlehrer, dann als Fischer, seit fünf Jahren organisiert er Glasboot-Touren in der Bucht, bei denen sich auch die gefährdeten Lederschildkröten beobachten lassen.

Nur einmal sei er weggefahren, sagt er, nach Jamaika. Mal sehen, wie es so ist auf den anderen Karibikinseln, den berühmten Urlaubszielen. „Zu laut, zu voll, zu viele Touristen" - nach drei Tagen kehrte er zurück in seine Heimat, von der er nun nicht mehr wegwill.

Die kleine Nachbarinsel von Trinidad im Süden der Karibik ist momentan wegen Corona für Touristen unerreichbar, war aber auch vorher alles andere als überrannt. Hier gibt es Strände, wie sie sich Urlauber erträumen: wunderschön und trotzdem einsam. In einer Welt, in der jeder fotogene Fleck von Menschen mit Selfiesticks belagert scheint, fragt man sich fassungslos: Wie kann das sein?


Tobago bietet ursprünglichen Charme der Karibik

Eine gewisse Lässigkeit ist ein möglicher Grund. Und so gäbe es für viele Insulaner keinen Grund, sich übermäßig reinzuhängen, meint Steve Felgate, schon gar nicht in der Tourismusbranche mit ihren langen Arbeitszeiten. Wer Karriere machen oder etwas erreichen wolle, gehe lieber woanders hin.

Gleichzeitig sieht er als Touristiker auch die Vorteile der vernachlässigten Urlaubsindustrie. „Es ist hier leerer als anderswo, und man kann noch den ursprünglichen Charme der Karibik erleben."


Felgate hat sich auf die Insel eingelassen, fördert den Ökotourismus auf Tobago und beschäftigt bewusst nur Einheimische. Dass sie Wert auf eine ausgeglichene Work-Life-Balance legen, sei verständlich, schließlich wohnten sie an einem ziemlich angenehmen Ort.

„Als ich 1996 zum ersten Mal herkam, war die Insel bei Urlaubern ausgesprochen beliebt. Doch in den Jahren darauf hat die Regierung viel zu wenig für den Tourismus getan", erzählt Steve Felgate.


Der 68-jährige Engländer, Besitzer des luxuriösen Resorts „Castara Retreats", sitzt neben seinen Gästen am ansonsten fast menschenleeren Strand und nippt an einem Rumcocktail. „Die Infrastruktur wurde schlechter und schlechter." Daher sei der Service in den Hotels und Restaurants heute nicht überall der beste, einige der Anlagen müssten auch renoviert werden.


Das schreckt manche Urlauber ab. Im Vergleich zu anderen Karibikinseln sind Trinidad und Tobago wegen reicher Erdgas- und Erdölvorkommen ohnehin auch weniger auf Urlauber angewiesen. Die Arbeitslosenquote ist mit 2,8 Prozent geringer als die in Deutschland.


Nachts funkelt das Meer wie ein Sternenhimmel

„Just Fun" und kein Stress, das könnte das Motto der gesamten Insel sein. Sie wird von Palmen, weißen Stränden, türkisfarbenem Meer und Dauersonne geprägt. Hinzu kommt die Abgeschiedenheit und die in weiten Teilen noch intakte Natur.

Die „Main Ridge Forest Reserve and Creation Site", ein Teil des tropischen Regenwalds, steht seit 1776 unter Naturschutz und dürfte damit das älteste Schutzgebiet der Welt sein. Für eine Robinsonade eignet sich Tobago also bestens, die Insel gilt übrigens als Vorlage für Daniel Defoes Roman „Robinson Crusoe".


Aber auch als Reiseziel für gepflegtes dekadentes Nichtstun. An vielen Orten hat man das Gefühl, in eine dieser kitschigen Wandtapeten aus den Achtzigern versetzt worden zu sein. Entsprechend lässig kann das Fun-Programm aussehen: vormittags ausschlafen. Nachmittags am Palmenstrand mit einem Lemon Lime Bitter in der Hand entspannen.

Abends die pinkfarbene Kulisse bewundern. Der Sonnenuntergang lässt alles, sogar die Haut, rötlich leuchten. Nachts lässt sich an der Landzunge No Man's Land inmitten eines magisch funkelnden Meeres schwimmen - Biolumineszenz heißt das Phänomen, bei dem Plankton leuchtet wie Tausende Sterne.


Grillen am Strand und aufreizende Tänze

Auf einer Motorbootstour entlang der Westküste in Richtung Fisherman's Bay taucht plötzlich eine Gruppe von Delfinen auf und begleitet das Boot. Sie spielen miteinander, springen immer wieder aus dem Meer.

Kurz darauf zieht Yogalehrerin Judha Pacheco mit einer Leine, an der ein Köder befestigt war, eine große Cavalla aus dem Wasser, auch Pferdemakrele genannt. An einem verlassenen Strand legt das Boot an, man watet durch das Wasser mit Blick auf den Dschungel an Land und grillt den Fisch auf einem alten Rost, der mal zu einer Waschmaschine gehört hat. Ob das gesund ist? Der Rum, mit Fruchtsaft gemischt, wird's schon desinfizieren. In den sattgrünen Bäumen flattern Kolibris, ansonsten ist der Strand still.

Laut und lustig wird es dann abends, wenn die Tobagoer zu karibischen Klängen tanzen - und selbst nicht gerade prüde Europäer große Augen machen. Die Tänzer und Tänzerinnen bewegen sich ausgesprochen aufreizend, wackeln mit dem Hintern und machen dazu derart eindeutige rhythmische Bewegungen, dass man als Beobachter unweigerlich an Sex denken muss.


Was die Inselbewohner, darauf angesprochen, grinsend abstreiten. Man habe Freude am Leben und an der Bewegung, mehr nicht, sagen sie, und kriegen sich angesichts der Fantasie der Touristen vor Lachen kaum noch ein.

Die Zeit genießen - das kann man auf dieser Insel

Von ihrer ruhigen, fast meditativen Seite zeigt sich die Insel dann am folgenden Tag am Pigeon Point Beach, wo man sich zwischen Kokospalmen und strohgedeckten Hütten wie in einem Film vorkommt. Auf einem Fels sitzt ein älterer Mann mit einem langen Gewand in auffälligem Zebramuster.


Er blickt aufs Meer, schließt aber immer wieder die Augen. So könne er den Wind auf seinem Gesicht besser spüren. Der Wind stehe für ihn für alles, was unsichtbar und doch spürbar sei. Wie die Präsenz Gottes oder die Seele seiner Frau, die vor zwei Jahren verstorben sei.

Er vermisse sie sehr, sagt der 70-Jährige, „aber hier bin ich bei ihr, hier kann ich jeden Moment genießen, den ich noch habe". Die Zeit genießen, die man hat, ungestört, für sich. Das kann man, so viel ist klar, auf Tobago besser als irgendwo anders.

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