Jennifer Hinz

Freie Journalistin & Autorin, Berlin

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Laureus Awards: Ein indisches Mädchenprojekt bekommt die Trophäe - WELT

Zwangsehen und Gewalt gehören zum Leben vieler Mädchen im Nordosten Indiens. Bei den Laureus World Sports Awards wurde ein Projekt ausgezeichnet, das ihnen durch Fußball eine neue Perspektive eröffnet.

Die Sonne über Monaco tippt gerade den Horizont an, als das Blitzlichtgewitter einsetzt. Countdowns auf digitalen Wallpapers rund um den Salle des Étoiles stimmten seit Tagen darauf ein. Die Location des Abends ist Teil des prestigeträchtigen Sporting Club Monte Carlo und dem Event durchaus angemessen. Im vergangenen Jahr rieselte zur gleichen Zeit Schnee auf den roten Teppich. Flüge wurden gestrichen. Doch wenn Laureus zu seiner Verleihung der World Sports Awards einlädt, dann kommen sie, die ganz Großen wie Fußballtrainer Arsène Wenger, Newcomer wie Motorrad-Rennfahrerin Ana Carrasco und verloren geglaubte Persönlichkeiten wie Ski-Champion Lindsey Vonn, die sich noch einmal zurück an die Spitze gekämpft hat, bevor sie ihren Rücktritt bekannt gab. Viele sind nicht zum ersten Mal hier, und noch mehr tragen zu ihren Smokings und Abendkleidern Sneakers. Ein Zeichen dafür, wie viel man dem Sport zu verdanken hat - eine Karriere und eben diesen Abend. Doch es soll um mehr gehen als um ein Medienereignis mit schillernder Gästeliste.

Vor 19 Jahren gründete die Daimler AG gemeinsam mit der Richemont Gruppe die Laureus Sports for Good Stiftung, die Kinder und Jugendliche in inzwischen 40 Ländern mit über 160 Sportangeboten fördern soll. Ihre Eckpfeiler sind die Laureus World Sports Academy, bei der sich bekannte Sportler von Maria Höfl-Riesch bis Nico Rosberg als Botschafter weltweit für die Stiftung engagieren, sowie die Laureus Sport Awards, die besonders von Mercedes und IWC unterstützt werden. Die Luxus-Uhrenmanufaktur stellt auch in diesem Jahr eine auf 1000 Exemplare limitierte Auflage der Aquatimer Chronograph Edition Laureus Sports for Good vor.

Auf ihrer Rückseite ist das Gewinnerbild des Malwettbewerbs eingraviert, den der 15-jährige Melan aus Sri Lanka für sich entschied. Es ist eine positive, von sportlichen Erfolgsgeschichten getragene Öffentlichkeitsarbeit, die auf Schockbilder von Kindern in Missständen verzichten kann. Auf den Punkt bringt dies Fürst Albert von Monaco, der es sich nicht nehmen lässt, die Eröffnungsrede in einem Paar weißer Nikes zu halten: „Sport kann die Welt verändern und Tausende junger Menschen bei der Suche nach Erfolg unterstützen."

Beispielhaft dafür steht in diesem Jahr das Projekt „Yuwa" im nordindischen Bundesstaat Jharkhand. Mädchen spielen hier gemeinsam Fußball und bekommen eine schulische Ausbildung. Dass dies nicht nur ein netter Zeitvertreib ist, sondern ein Leben grundlegend verändern kann, zeigt die 19-jährige Neeta. Ginge es nach ihren Eltern, sollte sie dem Weg ihrer Schwestern folgen, die alle drei im Alter zwischen 15 und 17 Jahren verheiratet wurden. Im Dorf, in dem Neeta aufgewachsen ist, keine Straftat, sondern alter Brauch und notwendiges Übel, das jedes zweite Mädchen trifft.

Je älter die Töchter würden, desto höher falle die Mitgift aus, die ihre Familie zahlen müsse, erklärt Franz Gastler, der Gründer des Projekts. Yuwa, das ist Hindi und bedeutet Jugend. Als der US-Amerikaner 2009 mit seiner Arbeit begann, wollte er Jungen und Mädchen gleichermaßen unterstützen. Er richtete ein Fußballturnier aus, zu dem er alle Kinder des Dorfs einlud. Am Turniertag erschienen viele Mädchen, aber kein einziger Junge. Man erklärte ihm, um die Jungs für das Turnier zu begeistern, hätte er teure Preise für die Sieger stellen müssen, die Mädchen habe allein die Neugier angetrieben. Von da an war Yuwa ein Mädchenprojekt.

Auch Neeta war neugierig, als sie mit acht Jahren ihren Schwestern beim Fußballspielen zusah. Franz Gastler entdeckte das zierliche Mädchen, das auch zehn Jahre später keine 1,50 Meter groß sein würde, und ermunterte sie zum Mitspielen. Selbst ihre eigenen Schwestern hatten sie nicht im Team haben wollen, weil sie sie für zu schmächtig hielten. „Ich bekam irgendwann einen Pass und spielte danach selbst einen guten Pass. Danach wollte ich nicht mehr aufhören", erinnert sich die Mittelfeldspielerin zehn Jahre später und fügt hinzu: „Mein Team ist heute für mich wie eine zweite Familie. Zusammen stehen wir alles durch."

Für Franz Gastler bedeutet die Zusammenarbeit mit Laureus eine große Erleichterung im organisatorischen Bereich, der die Balance aus Bürozeit und der Arbeit mit den Mädchen sukzessiv zum Kippen brachte. „Mir gefiel, dass nicht aufgezählt wurde, was man uns geben könne, sondern zuerst gefragt wurde, was wir brauchen." Bereits im Jahr 2015 wuchs das Projekt unter der Leitung von Franz' heutiger Ehefrau Rose Gastler um eine Schule, die den Kindern unter anderem Englisch beibringt. Doch Fortschritt dieser Art findet in einer Gegend, in der viele Mütter nicht schreiben können und ihre Unterschrift per Daumenabdruck setzen, nicht zwangsläufig Zuspruch. Neetas Eltern glaubten nicht an das Projekt und wollten ihre Tochter lieber in eine normale Schule schicken, deren Lernqualität häufig fragwürdig ist. Nicht aufzugeben, das war eine der Lektionen, die Neeta der Fußball gelehrt hatte. Kurzerhand bewarb sie sich heimlich und wurde angenommen. Man erließ ihr die Gebühren, doch im Gegenzug musste sie versprechen, die Jüngeren zu unterstützen. Seitdem arbeitet sie als Fußballtrainerin für das Projekt, zu dem inzwischen rund 450 Mädchen gehören.

Jeder dort hat uns unterstützt. Das kannte ich von zu Hause nicht, wo die Leute eher versuchen, dich niederzumachen, und wir uns gegenseitig beschützen müssen

Sie spricht ohne Hektik, hält manchmal inne und wählt ihre Worte mit Bedacht. Weder die Interviewsituation noch die spätere Award-Verleihung scheinen sie aus der Ruhe zu bringen. Aufgeregt sei sie nur, wenn ihr Lieblingsspieler Neymar spiele. An ihre erste Reise mit Yuwa erinnert sie sich gern. Ein Turnier in Spanien war das Ziel. „Jeder dort hat uns unterstützt. Das kannte ich von zu Hause nicht, wo die Leute eher versuchen, dich niederzumachen, und wir uns gegenseitig beschützen müssen." Trotzdem versteht Neeta die Zweifel vieler, die auch ihre Eltern teilen.

Niemand zuvor sei ihren Weg gegangen, es gebe keine Vorbilder, erklärt sie. „Ich muss selbst zu einem Vorbild für andere werden." Den Weg dorthin hat sie klar vor Augen, der erst in die Ferne zum Studieren führen soll, vielleicht nach London. Psychologie oder Biologie interessieren sie. Etwas, mit dem sie später zurückkehren und ihrem Dorf helfen kann, muss es sein. Auch heiraten möchte sie eines Tages, einen von ihr gewählten Mann. Neetas Geschichte könnte damit zu einem Paradebeispiel für eine gelungene Entwicklungshilfe werden, bei der die, denen geholfen wurde, selbst eines Tages zu Helfenden werden.

Ein paar Stunden später wird sie erst einmal in einem orangefarbenen Sari vor mehreren Hundert Gästen auf der Bühne der Laureus Awards stehen und gemeinsam mit einigen ihrer Mitspielerinnen die Auszeichnung entgegennehmen. Dabei wird sie nicht weniger selbstbewusst wirken als in diesem Moment, als sie mit angewinkelten Beinen auf dem Sofa sitzt und anderen Mädchen rät, weniger auf den Druck der Familie, sondern mehr auf ihr Herz zu hören, wenn es darum geht, die wichtigen Entscheidungen im Leben zu treffen. Dies ist nicht der krönende Abschluss, sondern der Anfang.


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