Jennifer Hinz

Freie Journalistin & Autorin, Berlin

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Dieser Gin würde Friedrich dem Großen schmecken

Windspiel

"Das ist die Mutter", sagt Tobias Schwoll. Der Landwirt grinst unter seiner Schiebermütze hervor und hält triumphierend etwas in die Luft, das aussieht wie ein Stein. Sand rieselt herunter. Das schrumpelige Etwas ist eine Kartoffel - man ist also nicht verwandt. In der Währung der Kartoffeln gilt: Buddele eine Mutterfrucht ein und ernte später drei bis vier Nachkömmlinge. Dass diese Rechnung hier in Daun in der Vulkaneifel aufgeht, wo die Erdfrucht kaum von umliegenden Findlingen und Fossilien zu unterscheiden ist, ist ein Novum. Genauso wie ihre spätere Bestimmung: Die meisten, und das erstaunt alle Beteiligten gleichermaßen, werden zu Gin veredelt.

Die Idee stammt von Sandra Wimmeler, Rebecca Mertes, Denis Lönnendonker und natürlich dem Landwirt Tobias Schwoll. Windspiel Premium Dry Gin nennt sich das Ergebnis. Mild, mit typischer Wachholdernote und Auszügen von Zitrone, Lavendel und Koriander. Nur dass der Rohalkohol nicht wie üblich aus Getreide gewonnen wird, sondern eben aus Kartoffeln. Ganz persönliche Motive waren es, die aus den Vieren Gründer eines Start-ups machten.

Aufs Land lockte der zum Verkauf stehende "Weilerhof" mit Blick auf die Kesselburg. Zur Kartoffel führte purer Pioniergeist. Die Ausbrüche unzähliger Vulkane, zuletzt vor rund 10.000 Jahren, verwandelten die Gegend in einen Flickenteppich aus Erde und Geröllfeldern. Das macht den Anbau bis heute fast unmöglich.

Gin beschwert keinen dumpfen Suff

Trotzdem rollt Tobias Schwoll heute mit seiner Erntemaschine über das gut acht Hektar große Feld. Zwei Helfer sortieren per Hand letzte Steine, Lehm und Gestrüppreste aus den Kartoffeln. Lilafarbene Phacelia-Blüten säumen die Umgebung. Das feuchte Wetter hat den Erntetermin nach hinten verzögert. Kein Problem, solange der Frost nicht naht. Was Schwoll erntet, ist dafür umso aromatischer. Eigentlich doch eine perfekte Grundlage für einen guten Wodka, der traditionell aus Kartoffeln gewonnen wird.

"Wir sind aber alle vier Gin-Tonic-Liebhaber," sagt Rebecca Mertes, die sich um das Marketing und die PR für den Windspiel-Gin kümmert. Damit sind sie nicht allein - die Spirituose hat in den vergangenen Jahren einen bemerkenswerten Aufstieg erlebt. Wo noch um die Jahrtausendwende kaum mehr als der klassische Gordon's zu haben war, stehen heute mit Bombay, Tanqueray, Hendrick's und regionalen Marken auch in normal sortierten Bars viele Optionen zur Wahl. Gin gilt als recht reines Getränk, das einem, in Maßen genossen, keinen dumpfen Suff beschert. Und selbst beim Tonic sind die Möglichkeiten vorangeschritten, gute Bartender erkennen bereits an der Kohlensäure, um welches Fabrikat es sich handelt.

Beim Öffnen ploppt die Flasche

Rebecca Mertes sagt übrigens, man könne sich durchaus vorstellen, eines Tages an einem Wodka zu tüfteln. Sie ist die Frau für die Optik mit Hang zum Perfektionismus. Sie war es auch, die den Rest des Teams von dem goldenen Ring um den Flaschenhals überzeugte, der den Korkenverschluss mit einer Kordel an der Flasche fixiert.

Ein halbes Jahr lang verglich sie Flaschenformen, Verschlüsse und Etiketten, kombinierte, verwarf und begann von Neuem. Ein sattes Ploppen begleitet nun das Öffnen der Flasche. Der Korken wird übrigens per Hand in Portugal hergestellt. Der Name "Windspiel" ist eine Hommage an den Mann, der Deutschland einst die Kartoffel brachte, Friedrich der Große.

Der Preuße kümmerte sich damals rührend um ein positives Image für den Erdapfel, der anfangs als giftig verschrien war: Wer hätte denn ahnen sollen, dass das Gute knollig und braun in der Erde liegt und nicht etwa oben weiß und prächtig als Blütengewächs. Die andere Leidenschaft des Preußenkönigs waren seine Windhunde, italienisches Windspiel. Zur großen Schlacht von Kolin gegen den Graf Leopold Joseph von Daun liefen die schlanken Tiere tapfer an seiner Seite. Die Schlacht verlor der Alte Fritz, sein Andenken inspiriert dagegen bis heute zu mutigen Taten.

Für den Geschmack sorgen Botanicals

Der Weilerhof, auf dem die Ernte zwischengelagert wird, liegt idyllisch in einem Feld aus Miscanthus. Kein Zufall, die Nutzpflanze aus China hat einen hervorragenden Heizwert. Auf dem Hof lebt Tobias Schwoll mit seiner Familie, einer Katze, einem Schwein, zwei Doggen und den Ziegen Lilo und Stitch. Letztere bekamen es kürzlich bei einem Gewitter mit der Angst zu tun und büxten von ihrer Weide aus. Die liebevoll gepflegten Rosenbüsche boten ihnen Zuflucht.

Als der Landwirt die Abtrünnigen nebst gestutzter Blumen am nächsten Tag fand, nahm er es mit rheinischer Gelassenheit: Es hätte noch schlimmer kommen können. Nämlich wenn die Ziegen ihren Hunger ein paar Meter weiter gestillt hätten. In kleinen Beeten verteilt wächst und gedeiht die zweite wichtige Zutat für den Windspiel-Gin - die Kartoffeln, die im Norden Deutschlands verarbeitet werden, liefern lediglich den Rohalkohol.

Den charakteristischen Geschmack formen die sogenannten Botanicals. Neben Wacholderbeeren, Zitronenschalen, Lavendelblüten und Ingwer werden noch acht weitere Zutaten für Tage und Wochen in Alkohol eingelegt, um ihr Aroma später in Destillaten zu bannen. Eine Geheimzutat, die das Team in einem alten Gin-Rezept entdeckt hat, sind Nelken. In der "Hochzeit" kommen Kartoffelalkohol und Destillate zusammen. Auch wenn die Suche nach neuen Geschmäckern mit Gewächsen aus dem heimischen Garten beginnt, kommt ein Großteil der Zutaten letztlich aus ganz Europa hierher.

Nicht jedes Tonic passt zu jedem Gin

"Wir hatten mal die Idee, alle Botanicals hier auf dem Hof anzubauen, aber das Klima schadet der Qualität. Der beste Lavendel gedeiht eben in der Provence", erklärt Geschäftsführerin Sandra Wimmeler. Rund ein Jahr probierten, experimentierten und verfeinerten die Windspieler gemeinsam mit Destillateurmeister Holger Borchers ihre Basis bis zum fertigen Produkt. Von dem Ergebnis ist Vertriebsleiter Denis Lönnendonker überzeugt.

Vom Status "Start-up" völlig unbeeindruckt, hält er es wie die etablierten Marken: "Ich lasse lieber von oben tröpfeln, als mich von unten hochzuarbeiten." Gin wird in meisten Fällen als Gin Tonic genossen. Aber nicht jedes Tonic Wasser harmoniert mit jedem Gin. Das erkannte auch das Team von Windspiel recht schnell und entschied: Wenn's perfekt werden soll, müssen wir's halt selbst machen. Man steckte erneut die Köpfe zusammen und entwarf ein Tonic Wasser, das die zitronige Note des Gins aufgreift.

Zitroniges Kribbeln auf der Zunge

Ein kurzes Nippen, die Aromen verteilen sich über die Geschmacksknospen und lassen irrtümlich von einer zahmen Variante des Gins ausgehen. Ausgeprägt scheinen lediglich der Wacholder und das angenehm zitronige Kribbeln auf der Zunge. Doch spätestens nach dem ersten Glas und einem Blick auf die Flasche wird klar: Mit 47 Volumenprozent Alkohol hat es der Gin aus der Vulkaneifel in sich. Praktisch, dass das Tonic Wasser den Geschmack aufgreift und so getrost etwas sparsamer mit dem Alkohol gemixt werden kann.

Inzwischen läuft das Geschäft in der Ferne nach eigener Aussage ganz gut. Klar, wer es schafft, die skeptischen Eifler für sich zu gewinnen, hat das Schlimmste wohl hinter sich. Rund um Daun herrscht typisches Dorfidyll: Eigentlich kennt jeder jeden, man pflegt Traditionen und verträgt Neues nur in kleinen Dosen. Mittlerweile sei man aber auf den Geschmack gekommen: Köche der hiesigen Restaurants verwenden den Windspiel-Gin für ihre Gerichte, Bars bieten ihn als regionale Spezialität an.

Der Traum vom Gin-Parfüm

Ein befreundeter Konditor experimentiert mit beschwipsten Marzipankugeln, Schokoladen und Pralinen. Seine weißen Trüffel haben es sogar in den Onlineshop der Gin-Macher geschafft. Geht es nach Denis Lönnendonker, ist das erst der Anfang. "Mein großer Traum ist ein Gin- Parfüm. Von Penhaligon's gibt es so etwas schon, aber nach einem kurzen Schnuppertest weiß ich: Wir könnten das besser." Außerdem nippt man bereits an weiteren Tonicwater-Varianten wie Zitrone- oder Orange-Ingwer.

Deutlich greifbarer ist derzeit ein anderes Projekt: Man erweitert. Neben dem Kartoffelanbau soll auch die Destillation auf dem Weilerhof stattfinden. Das Miscanthus-Feld ringsherum wächst dann um fünf Hektar, um weiterhin alles grün zu beheizen. Die großen Pläne gehen mit viel Arbeit einher. Die scheuen die Windspieler, die vorher als Personal Assistant, Projekt Manager und in der PR gearbeitet haben, nicht. Den Trubel der Stadt und der großen Firmen wissen die vier gern hinter sich. Lönnendonker bringt es auf den Punkt: "Ich riskiere lieber einen Burnout für eine Arbeit, die ich liebe, als einen Burnout bei etwas, das ich hasse."

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