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Zwei Mütter, ein staatenloses Kind

Bildrechte: dpa

Bulgarische Behörden weigerten sich, in die Abstammungsurkunde eines Kindes zwei Mütter einzutragen. Der EuGH muss nun entscheiden, ob das rechtens ist - auch wenn das Mädchen dadurch staatenlos bleibt.


Die kleine "Sara" kam im Dezember 2019 in Spanien zur Welt, hat eine spanische Geburtsurkunde, auf der zwei damalige EU-Bürgerinnen als Eltern vermerkt sind. Aber sie ist bis heute staatenlos, weil Bulgarien ihre Abstammung nicht anerkennt. Der Fall beschäftigt inzwischen den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Generalanwältin Juliane Kokott veröffentlicht dazu heute ihre Schlussanträge. Das darauffolgende Urteil gilt als richtungsweisend für viele andere Familien in Europa.


Auf Saras Geburtsurkunde sind "Kalina" und "Jane" gemäß spanischem Recht als Mutter und Mutter eingetragen - da keine von beiden Spanierin ist, erhielt Sara aber zunächst nicht die spanische Staatsbürgerschaft. Jane stammt aus der britischen Exklave Gibraltar, die inzwischen nicht mehr zur EU gehört, und kann ihre eigene britische Staatsbürgerschaft nicht an Sara weitergeben. Kalina ist Bulgarin und hatte deshalb für ihre Tochter bulgarische Dokumente beantragt. Die Behörden in der Hauptstadt Sofia forderten sie daraufhin auf, Saras Abstammung nachzuweisen.


Dass die zwei Frauen diese Information nicht herausgeben wollen, hat laut ihrer Anwältin Denitsa Lyubenova mehrere Gründe: "Erstens ist es eine persönliche Information - niemandem außer einem behandelnden Arzt muss Zugang zu solchen medizinischen Informationen gewährt werden. Zweitens gibt es kein nationales bulgarisches Gesetz, das die Feststellung der biologischen Abstammung eines Kindes erfordert", erklärt sie.

Auch von Hetero-Paaren werde kein Nachweis ihrer Elternschaft verlangt, ob diese nun miteinander verheiratet sind - wie Kalina und Jane - oder nicht. "Und drittens: Falls wir öffentlich machen, welche der beiden Frauen die biologische Mutter ist, wird das Kind eines seiner Eltern verlieren. Denn mit der anderen Mutter ist Sara dann nach bulgarischem Recht nicht verwandt."


Als die Eltern beim städtischen Verwaltungsgericht in Sofia Beschwerde einlegten, reichte das Gericht den Fall an den EuGH weiter. Dass sich die Instanz überhaupt mit dem Fall befasst, sei ein Zeichen für die Bedeutung, die er der Frage für die EU beimisst, sagt Lyubenova: "Der Fall ist nicht nur für Bulgarien, sondern für Angehörige der LGBTQI-Gemeinschaft in der gesamten EU sehr wichtig. Denn auch in Ländern wie Deutschland und Italien, die gleichgeschlechtliche Partnerschaften und Ehen anerkennen, haben Eltern Schwierigkeiten, als solche anerkannt zu werden."


Eltern in einem EU-Staat sind Eltern in jedem EU-Staat - so unmissverständlich hatte sich EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen in einer Grundsatzrede im Herbst 2020 ausgedrückt. Tatsächlich gibt es für diese Absichtserklärung aber bislang keine rechtliche Grundlage. Nur in 14 von 27 EU-Staaten gibt es die "Ehe für alle", sieben weitere ermöglichen gleichgeschlechtlichen Paaren eine eingetragene Partnerschaft - Estland bietet keines von beidem, erkennt aber im Ausland geschlossene Verbindungen an. Polen und die Slowakei gestehen Personen, die zusammen in einem Haushalt leben, begrenzt gemeinsame Rechte zu.


Sogenannte Regenbogen-Elternschaften zwischen Partnern gleichen Geschlechts oder Personen, deren Geschlecht im Ausweis mit divers, intergeschlechtlich oder ohne Eintrag erfasst ist, werden meist nur nach Gerichtsverfahren als Einzelfälle anerkannt.

Bulgarien hat in der Verfassung die Ehe als Vereinigung von Mann und Frau verankert. Im nationalen Familiengesetzbuch ist die Mutter eines Kindes definiert als die Frau, die es geboren hat. Der EuGH muss nun feststellen, ob das Land die bestehenden Unterschiede im Abstammungsrecht zugunsten der Eltern und Kinder auslegen muss oder auf die nationale Gesetzgebung pochen darf.


Für die Eltern und insbesondere die Kinder hat die Frage weitreichende Folgen - nicht zuletzt, was das EU-weite Recht auf Freizügigkeit angeht. "Sara kann nicht aus Spanien ausreisen. Sie hat keinerlei Ausweisdokumente", sagt Anwältin Lyubenova. "Das kann dazu führen, dass dem Kind später der Zugang zur Gesundheitsversorgung und zum Bildungssystem in der EU verwehrt bleibt - und auch der Kontakt zu ihren Verwandten in Bulgarien und Großbritannien."


Der ganze Artikel ist verfügbar via https://www.tagesschau.de/ausland/europa/eugh-lgbt-elternschaft-101.html


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