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Ein Wiedergänger fordert Putin heraus

Bildrechte: Screenshot

"Holt mich vom Flughafen ab!", fordert Nawalny. Der Kreml wird alles daran setzen, dem Totgesagten keinen Triumph zu gönnen - zu viel steht für beide auf dem Spiel.


Gerade erst hatten die russischen Behörden angekündigt, dem Oppositionellen Alexej Nawalny drohe wegen nicht erfüllter Bewährungsauflagen eine Haftstrafe - da spottete er ihnen in gewohnt salopper Manier in seiner Youtube-Show "Nawalny live" schon wieder ins Gesicht. "Nawalny, erschrick vor mir! Nawalny, komm nicht zurück! Ich bin ja so schrecklich, ich bringe dich ins Gefängnis!", sei die Botschaft, die Russlands Präsident Wladimir Putin damit senden wolle, sagte er in die Kamera - und legte nach: "Sie machen das, weil es für sie und für Putin persönlich so ein psychologisches Ding ist: Sie versuchten, mich zu ermorden. Ich überlebte. Jetzt sind sie böse auf mich - und zornig: 'Was soll das, Alexej? Wie konntest du es wagen, nicht zu sterben?'"


Seit dem Nowitschok-Giftattentat im August 2020, das Nawalny auf Agenten des Geheimdiensts FSB zurückführt und nur knapp überlebte, stilisiert sich der Oppositionspolitiker und Anti-Korruptions-Aktivist zum Widergänger, der vom Kreml buchstäblich nicht totzukriegen ist. Schon während der Behandlung in Deutschland hatte er am Krankenbett Besuch von Bundeskanzlerin Angela Merkel empfangen, während der Reha-Behandlung zahlreiche Interviews gegeben - und die Öffentlichkeit wissen lassen, er habe seine Attentäter sogar persönlich angerufen.


Seit heute ist klar: Der Wiedergänger will noch einen Schritt weiter gehen - und ein symbolstarkes Comeback hinlegen, das Putin und andere seiner Gegner reizt. Er habe sich bei der staatlichen Billigairline Tickets für einen Flug nach Russland kommenden Sonntag gekauft, ließ er über Social Media wissen und scherzte: "Holt mich vom Flughafen ab!"


Festnahme gleich nach der Landung denkbar

Eine Aufforderung, die nicht nur sein Unterstützerteam im Land, sondern auch die russischen Strafverfolgungsbehörden wörtlich nehmen könnten: Um triumphale Szenen oder eine kämpferische Ansprache nach der Landung zu vermeiden, könnte ihn die Polizei in Handschellen aus dem Flughafen abführen.


"Hat der Kreml sich selbst denn eine Wahl gelassen?", kommentiert die Analystin Tatjana Stanowaja auf ihrem Telegram-Kanal. Die russische Führung habe darauf gehofft, Nawalny werde im Exil bleiben. Zugleich habe sie die Erwartungen an eine sofortige Festnahme bei seiner Rückkehr so sehr angeheizt, dass alles andere von Konservativen und dem Sicherheits- und Verwaltungsapparat nun als Ausdruck der Schwäche gedeutet würde. Andere Beobachter spekulieren darüber, Russland könnte Flüge ins Land unter Vorschützen der Pandemielage kurzfristig untersagen - immerhin gilt Deutschland seit Frühjahr 2020 als Risikogebiet.


Zu lange ist Nawalny schon Putins Intimfeind

Dass es Putins Intimfeind gelingt, durch seine Rückkehr in die Heimat ein Zeichen der Unverwüstlichkeit zu setzen, wird der Kreml nach Kräften zu verhindern suchen: Schon bei den Regionalwahlen im September 2020 hatte Nawalnys Team mit einer Bürgerappell-Kampagne der Regierungspartei "Einiges Russland" das Leben schwer gemacht. In Tomsk zogen sogar zwei Mitarbeiter in den Stadtrat ein, während "Einiges Russland" dort die Mehrheit einbüßte - ein wichtiger Achtungserfolg.


Im Herbst dieses Jahres sind Wahlen für die Staatsduma angesetzt - und die kremltreue Partei unter dem Vorsitz von Ex-Ministerpräsident Dmitrij Medwedjew konnte durch ihr Agieren in der Corona-Pandemie und der damit verbundenen Krise nicht punkten. Viele Russen fühlen sich zur Impfung mit dem vorzeitig zugelassenen "Sputnik V" gegängelt und mit ihren wirtschaftlichen Nöten alleine gelassen, während ihr Präsident sich seit Monaten gleichsam in einem Corona-Bunker isoliert und nur getestete, desinfizierte Gäste empfängt.

Ein dem Tode entronnener Oppositionspolitiker, der ihm unprätentiös per Billig-Linienflug entgegenreist, könnte da keinen stärkeren Kontrast abgeben. Zugleich demonstriert Nawalny dadurch Furchtlosigkeit - denn mit seiner Tätigkeit hat er sich in den vergangenen zehn Jahren in nahezu allen Institutionen mächtige Feinde gemacht.


2011 gründete Nawalny den "Fonds für Korruptionsbekämpfung", unter dessen Dach ein inzwischen landesweites Netzwerk Recherchen über undurchsichtige Staatsgeschäfte und Seilschaften veröffentlicht, zu Demonstrationen aufruft und bei Wahlen an ein kluges Abstimmungsverhalten der Bürger appelliert. Im gleichen Jahr wurde er nach einer Protestaktion gegen die Staatsdumawahlen festgenommen - und war seitdem nahezu jährlich mit Prozessen und kürzeren und längeren Haftstrafen konfrontiert.


Neue Ermittlungen drohen - Nawalny gibt sich furchtlos

Die Bewährungsstrafe, die nun unter anderem gegen Nawalny ins Feld geführt wird, basiert auf einer Verurteilung von 2014 wegen Untreue und Geldwäsche, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte für politisch motiviert befand. In Russland ist die Angelegenheit als "Fall Yves Rocher" bekannt: Er und sein Bruder Oleg sollen den Ermittlern zufolge das russische Tochterunternehmen der Kosmetikfirma davon überzeugt haben, einen unrentablen Vertrag über Transportdienstleistungen mit ihrem Familienunternehmen abzuschließen.


Während Oleg zu dreieinhalb Jahren Lagerhaft verurteilt wurde, wurde Alexej Nawalnys dreieinhalbjährige Haftstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Am 12. Januar beantragten die Strafvollzugsbehörden die Umwandlung in eine Haftstrafe, da er sich den Kontrollauflagen entzogen habe - Ende Dezember hatten sie den in Deutschland in Reha-Behandlung befindlichen Nawalny bereits aufgefordert, sich in Moskau einzufinden.


Zudem laufen seit Ende Dezember Ermittlungen gegen seinen "Fonds für Korruptionsbekämpfung" und andere Initiativen: Nawalny habe mehr als 356 Millionen Rubel, die als Spenden deklariert worden seien, für persönliche Zwecke ausgegeben, lautet der Vorwurf. In seinem Video tat der prozesserfahrene Nawalny das lakonisch als erfunden ab: Dieses Vorgehen gegen ihn sei ja nun nichts Neues. Seine Gegner seien "unverschämte, gewissenlose Leute - und deshalb müssen wir weiterhin mit ihnen kämpfen".

Kommt es nun in Moskau bald zum Nahkampf? Die Analystin Tatjana Stanowaja vergleicht die Situation mit zwei Zügen, die einander entgegenrasen und unweigerlich zur Kollision verurteilt sind. Sie meint: "Es wird viele Opfer geben."

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