„Mein Style, meine Stimme, mein Alter - das ist alles Teil des Konzepts und Teil meiner Lieder. Wenn irgendein erwachsener Typ seine schlauen, erwachsenen und ach so politischen Songs dahersingen würde, würde das nie solche Resonanz erzeugen. Aber wenn die Stimme einer jungen Frau erklingt, erzeugt das Widerhall. Das ist freilich ein Vorteil", findet Elisaweta Gyrdymowa.
Die 21-jährige Rapperin, die unter dem Namen Monetotschka („kleine Münze") auftritt, ist so etwas wie das Postergirl der russischen Alternative-Popkultur: Wie Billie Eilish, aber nicht so rotzig, wie Grimes, aber nicht so weird, wie Charli XCX, aber nicht so versext. Monetotschkas Lieder handeln von den Gruselerzählungen der Eltern über die Neunzigerjahre, als die Sowjetunion zerfallen und Wladimir Putin noch nicht an der Macht war, von Familien, die über die Annexion der Krim streiten, oder davon, was es heißt, in Russland ein junges Mädchen zu sein: Auf dem Abschlussball in der Provinz vom Freund verprügelt werden („Deine Schärpe und dein Kleid voller Blut - prima, dass du zur Feier des Tages rot trägst!"), Eskapismus und Bestätigung im Internet zu finden, vom Umzug ins große Moskau oder Sankt Petersburg träumen, wo man was aus sich machen kann. Ihre Rezitation ist ein Drake-Singsang zwischen Rap und Gesang, ihre natürliche Stimme ist so hell und zuckersüß, dass sie der Host von Russlands beliebtester Late-Night-Show einmal zur Unterhaltung schweres Gas inhalieren und dann ihre Lieder ansingen ließ. Zu der Sendung kam sie in einem Kleid, das an sowjetische Schuluniformen erinnerte, und hielt sich nach jedem aufgeregten Kichern die Hand vor den Mund. Das hat in Russland nichts Lolitahaftes, und den ironischen Unterton erkennt nur die junge Generation.
Denn Weiblichkeit ist für Russ*innen kein Makel - und wer als Frau ernst genommen werden will, muss und darf sie nicht mit Blazern und ruhiger, besonnener Stimme kaschieren. Frausein an sich hat seit Zeiten der Kyjiwer Rus einen hohen Stellenwert - aber was Frausein bedeutet, ist klar festgelegt. Das oft zitierte Idealbild der russischen Frau ist, wie der Dichter Nikolai Nekrassow sie beschrieben hat:
„In jeglicher Kleidung schön, zu jeder Arbeit geschickt. Sie erträgt Hunger wie Kälte, ist immer geduldig, gleichmütig... hält das Pferd in wildem Lauf an und tritt in ein brennendes Haus." Eine Russin ist tapfer, geduldig und duldsam bis zur Selbstaufopferung - dabei bleibt sie immer sanft und freundlich, behält ihren natürlichen Liebreiz und ist zugleich völlig uneitel.
Und genau deshalb, weil Mädchen und Frauen nach dieser verklärten Idee von Weiblichkeit einfach vollkommen sind, darf sich daran auch nichts ändern: „Eine Frau muss eine Frau bleiben!", das ist in Russland so selbsterklärend wie das deutsche „Ordnung muss sein."
Insgesamt 79 Berufe wie Luftfahrtmechanikerin oder Feuerwehrfrau sind ihnen bei Strafe verboten,...
Der ganze Text verfügbar auf: https://ostrov.world/2020/05/russlands-neue-weiblichkeit/