Wenn wir essen gehen oder Leute zu uns nach Hause einladen, gehört für die meisten ein guter Wein dazu. Aber da fängt schon das Dilemma an. Welcher Wein passt zu welchem Gericht, lieber weiß oder lieber rot, mit oder ohne Perlen, lieber einer aus der Pfalz oder einen französischen Klassiker? Die Unsicherheit ist oft ziemlich groß. Und wer Ahnung hat, lässt das gerne mal großspurig raushängen. Kurz gesagt: Unser Verhältnis zu Wein ist verkrampft. Ganz im Gegensatz zu unseren Nachbarländern, wo selbst in der jungen Generation ein größeres Selbstverständnis im Umgang mit guten Weinen herrscht.
Das wollte die Sommelière Stephanie Döring ändern. Weil sie so lange in London gelebt und beim legendären Fernsehkoch Gordon Ramsay gearbeitet hat, nennen sie alle nur Steph. Wein ohne Dresscode ist das Motto ihres Weinladens auf St. Pauli. Ihre Kundschaft ist bunt gemischt: Viele junge Leute sind darunter, Gastronomen, aber auch Weinliebhaber aus der Nachbarschaft. Vor drei Jahren kam ein zweiter Laden in Köln dazu und kurz darauf ein weiterer in Binz an der Ostsee, der ihr Konzept als Franchise betreibt.
Warum deutscher Winzersekt wieder im Kommen istAuf den ersten Blick wirkt der schlauchförmige Raum eher wie eine Bar mit einer kleinen Theke und dezenten Weinregalen im Eingangsbereich. Weiter hinten sorgen Backsteinwände, ein riesiges, Street-Art-ähnliches Wandbild, Holzbänke, eine Couch und zahlreiche bunte Kissen für eine gemütliche und lockere Atmosphäre. Hier finden auch regelmäßig Wine-Tastings statt, die Steph und ihr Team moderieren. Man sitzt an langen Tafeln, probiert die Weine, hört sich Geschichten von den Winzern an und zwischendurch gibt es eine Brotzeit. Das Motto: Hemmungen abbauen und Klischees hinter sich lassen. Für den Einstieg hat sie beispielsweise Winzersekt von Scheuermann in petto. „In den 70er- und 80er-Jahren hat man deutschen Sekt vor allem mit Marken wie Mumm, Rotkäppchen oder Deinhardt verbunden", erzählt die Sommelière und ergänzt: „Das war 'ne gruselige Zeit für deutschen Schaumwein." Junge Winzer wie die beiden Brüder vom Weingut Scheuermann sorgten dafür, dass deutscher Sekt wieder in neuem Glanz erstrahle. „Der Blanc de Noir von Scheuermann ist so elegant und fein", schwärmt sie.
Deutschland, die Biernation?Die Weinhändlerin sieht sich als wichtiges Bindeglied zwischen einer jungen Generation an Winzern und ihren Kunden. Sie ist sich sicher: Um den Zugang zu Wein zu erleichtern, müsse man die Geschichten der Produzenten erzählen und nicht mit elitärem Expertenwissen auftrumpfen. „Wein ist ja auch nur ein Getränk am Ende", relativiert sie. „Es ist zwar das schönste Getränk der Welt, aber man muss nicht spießig damit umgehen." Ob das ein deutsches Phänomen sei? Steph sieht die Krux eher in der allgemeinen deutschen Vorliebe fürs Bier. Immer wieder mache sie die Erfahrung, dass sich Kunden in ihrem Laden für ihre Ahnungslosigkeit entschuldigten. Vor allem in Hamburg sei das der Fall. Die Kölner bewiesen ihrer Erfahrung nach ein größeres Selbstverständnis im Umgang mit Wein. Die Sommelière vermutet da einen Zusammenhang mit der räumlichen Nähe zu Weinanbaugebieten wie die Mosel oder die Pfalz.
Überseewein vs. Wein aus regionalen QuellenDas Klimabewusstsein auf Verbraucher- wie Unternehmerseite ist im Zuge der Corona-Krise gewachsen und die Abhängigkeit von globalen Lieferstrukturen wird kritisch hinterfragt. Zum einen, weil Lieferengpässe immer noch ein großes Problem sind und zum anderen, weil man lange Transportwege vermeiden möchte. Dass Weine aus der Pfalz und Rheinhessen das Sortiment im Weinladen St. Pauli dominieren, sei aber Zufall, erzählt die Betreiberin. Sie bietet ihren Kunden ebenso Weine aus Übersee an. Das Argument, mit dem Containerschiff transportierte Weine hätten eine schlechte CO2-Bilanz, will sie nicht gelten lassen: „Die Universität Geisenheim hat mal untersucht, dass ein Container aus Südafrika, Australien oder Argentinien einen ähnlichen CO2-Fußabdruck hat wie wie ein Lastwagen aus Italien." Gerade in Zeiten von Corona sei das Fernweh bei ihren Kunden groß. Dass diese sich zumindest geschmacklich auf Reisen begeben wollten, könne sie absolut nachvollziehen.
Eine Anfrage bei Dr. Helena Ponstein, die seit vielen Jahren zum Thema Nachhaltigkeit forscht und Gründerin der Website Klimaneutraler Wein ist, verschafft Klarheit: Seefracht sei um ein Vielfaches effizienter pro Tonne Fracht als der Gütertransport auf der Straße, bestätigt sie. Gleichzeitig räumt die Wissenschaftlerin aber ein, dass es noch besser sei, deutsche Weine im Fachhandel oder Supermarkt zu kaufen, die mit einer effizienten Logistik transportiert wurden. Idealerweise befänden sich Fachhandel wie auch Supermarkt in der Nähe, so dass man sie zu Fuß oder mit dem Rad erreichen könne.
Woran erkennt man nachhaltig produzierte Weine?Wie nachhaltig und sorgsam ein Winzer arbeitet, lässt sich auf der Weinflasche nicht so einfach erkennen. Auch Bio-Siegel findet Stephanie Döring nicht aussagekräftig, da nicht jeder Winzer bereit sei, den Preis dafür zu zahlen oder - im Fall von Demeter - dem Verein beizutreten. „Die Winzer, mit denen wir arbeiten, verzichten alle auf konventionelle Pflanzenschutzmittel. Die sind wirklich sehr viel auf dem Weinberg und pflegen ihre Pflanzen, horchen auf die Natur. Aber natürlich wird das nicht deklariert", ärgert sie sich. Sie empfiehlt daher, den direkten Kontakt mit dem Winzer zu suchen oder sich im Weinhandel des Vertrauens eingehend beraten zu lassen. „Das hat ja auch was mit Verantwortung zu tun", setzt sie nach. Den Ehrgeiz der Verbraucher, sich inzwischen sehr bewusst mit der Herkunft von Fleisch auseinanderzusetzen, wünsche sie sich auch beim Wein.
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