Jasmin Shamsi

Journalistin, freie Autorin - Hamburg

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Einwegstopp: Wie die Verpackung der Zukunft aussieht

Müllvermeidung ist das Wort der Stunde. Schon bald sind Gastronomen gezwungen, sich mit dem Thema nachhaltige Verpackung intensiver auseinanderzusetzen: Ab Sommer 2021 ist Einweggeschirr aus Plastik verboten und ab 2023 müssen wiederverwendbare Behälter als Alternative beim Mitnahmegeschäft angeboten werden. Die Angst davor, in ohnehin schon schwierigen Zeiten noch mehr Aufwand zu haben, ist in der Branche groß. Eine berechtigte Sorge?


Mehrwegsystem von Vytal ohne Pfand und Kapitalbindung

Reza Akbarzadah vom Bistro Green Leaf in Hamburg-Altona nutzt seit Kurzem das Mehrwegsystem Vytal. Die Idee ist, Verpackungsmüll durch die Wiederverwendung von Behältnissen so weit wie möglich zu reduzieren und gleichzeitig die Kundenbindung zu stärken. Das Ganze funktioniert so: Der Nutzer registriert sich über eine kostenlose App, bestellt das Essen pfandfrei in einem Mehrwegbehälter, zeigt bei der Abholung einen QR-Code vor und hat anschließend zwei Wochen Zeit, den Behälter zurückzubringen. Das kann in jedem beliebigen Lokal sein, das Vytal nutzt. Aktuell haben sich in Hamburg rund 35 Gastronomen dafür entscheiden, mit dem Kölner Start-up zusammenzuarbeiten.

Vorteilhaft findet Reza Akbarzadah, dass Vytal die Behälter kostenlos zur Verfügung stellt und pro Befüllung berechnet. Anders als bei der Bestellung seiner kompostierbaren Einwegverpackungen sei er somit nicht gezwungen, eine Mindestabnahmemenge einzuhalten. Zudem sei der Preis pro Vytal-Behälter (zwischen 10 und 35 Cent) immer noch deutlich günstiger als der Stückpreis der Wegwerfvariante (45 Cent pro Schale).


Verhältnis von Energieaufwand und Anschaffungskosten

Einen Haken gibt es aber doch noch: Die Behälter müssen nach der Rückgabe vom Gastronomen gespült werden. Die Kosten für den Energieaufwand müssten also theoretisch mit in die Rechnung fließen. Gastronom Onur Elci von der Kitchen Guerilla, einem visionären Unternehmen, das Events veranstaltet, Betriebskantinen beliefert und Catering bietet, sieht zudem ein weiteres Problem: Wenn doppelt oder dreifach so viele Schalen zurückgebracht würden als ursprünglich verkauft, steige der Preis pro Schale indirekt nochmals an.


Um die Vertriebsprozesse zu optimieren, sollten die Großen mit ins Boot geholt werden, empfiehlt Onur Elci. Systemgastronomien und Lieferdienste beispielsweise verfügten über einheitliche Organisationsstrukturen und eine große Reichweite, die für die Etablierung von Kreislaufsystemen in größerem Umfang ideal seien. Den Kampf gegen den Verpackungsmüll auf dem Rücken einzelner Gastronomen auszutragen, die ohnehin schon genug andere Sorgen hätten, sei hingegen nicht fair.


An dieser Stelle wird deutlich: Die Gastronomen in Hamburg fühlen sich im Stich gelassen. Nicht nur, was ihre aktuelle wirtschaftliche Situation betrifft, sondern auch in Hinblick auf Entscheidungen von Seiten des Gesetzgebers. Der Küchen-Guerillero empfindet ein Verbot von Einwegplastik wenig konstruktiv, wenn nicht gleichzeitig Anreize geschaffen würden für entsprechende Alternativen. Zum Beispiel durch einen gesenkten Steuersatz oder Subventionen. Zudem vermisst er eine potente Lobby, die die Interessen seiner Branche vertritt - und er findet, dass es viel mehr öffentlichkeitswirksame Kampagnen zum Thema Verpackung geben sollte.


Recycling von Agrarresten für Einwegprodukte

Der Gastronom selbst beschäftigt sich seit sieben Jahren mit dem Thema nachhaltige Verpackung. Seine größte Hoffnung setzt er derzeit in die Wiederverwertung von Agrarresten für Einwegartikel. Als Vorbild nennt er den Pionier Bio-lutions, einem Start-up aus Hamburg, das ein patentiertes Upcycling-Verfahren für die Verarbeitung von mikrofeinen Pflanzenfasern entwickelt hat. Neben einer ersten Produktionsanlage in Indien, einem Land, das mit gigantischen Plastik-Müllhalden zu kämpfen hat, ist vor Kurzem eine zweite Produktionshalle in Schwedt an der Oder entstanden, in der zukünftig für den europäischen Markt produziert werden soll. Hier könnten zum Beispiel die Abfallprodukte genutzt werden, die bei der Entkrautung von Gewässern anfallen und deren Entsorgung normalerweise kostenpflichtig ist.


Wie zukunftsfähig Einweggeschirr aus Agrarresten ist, hängt Onur Elcis Meinung nach von deren Kompostierbarkeit ab. Eine Anfrage an die Pressestelle der Stadtreinigung Hamburg ergibt: Die Prozesse im Kompostwerk reichen nicht aus, um biologisch abbaubare Artikel aus industrieller Herstellung in einer angemessenen Zeit verrotten zu lassen. Dafür bräuchte es Monate oder gar Jahre in einem ideal gepflegten Rottehaufen. Wegwerfschalen aus Maisstärke, wie sie Onur Elci aktuell verwendet, kommen daher in die Restmülltonne und nicht in den Biomüll. Der angestrebte Kreislauf hat noch so seine Lücken, so viel steht fest. Abwarten und den Müllbergen beim Wachsen zuzusehen, ist für den Verpackungsexperten aber auch keine Lösung.


Mehr Hintergrundinfos in der neuen Folge von „ Einmal alles, bitte! ".

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