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(Nicht) alles neu

Der neue US-Präsident macht vieles anders als sein Vorgänger, doch in der Wirtschaftspolitik ist Joe Biden Donald Trump recht ähnlich.

Nur zwei Tage nach seiner Vereidigung zum 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten trat Joe Biden vor die Presse und zitierte eine Flut von besorgniserregenden Zahlen: 900 000 Amerikaner meldeten sich in nur einer Woche arbeitslos. Mehr als 600 000 Angestellte aus dem Bildungswesen verloren im Jahr 2020 ihren Job. 14 Millionen Amerikaner können ihre Miete nicht zahlen und fürchten, ihr Heim zu verlieren. Beinahe ein Viertel aller erwachsenen Afroamerikaner und 21 Prozent der erwachsenen Latinos haben nicht genug zu essen.

Hinzu kommen zwei weitere schockierende Werte: 400 000 Amerikaner sind bereits am Coronavirus gestorben. Experten rechnen damit, dass die Zahl der Toten auf über 600 000 steigen wird.

Weiter „America First". Die Liste der Aufgaben für den neuen US-Präsidenten ist lang. Und jeder Punkt darauf ist dringlich. Er muss die Pandemie unter Kontrolle bekommen. Er muss die Wirtschaft wieder zum Wachsen bringen. Er muss außenpolitische und ökonomische Brücken reparieren, die sein Vorgänger Donald Trump abgebrochen hat. Er muss gegen die Klimakrise angehen. Er muss Diskriminierung und Rassismus be- kämpfen. Und er muss all das leisten, während das Land politisch tief in zwei Lager gespalten ist. Die wirtschaftliche Erholung zu Hause hat für die Biden-Regierung oberste Priorität. „Die Gesundheit unserer Nation steht auf dem Spiel", sagte der Präsident bei der Vorstellung seines Hilfspakets im Januar: Mit einem 1,9 Billionen Dollar (etwa 1600 Milliarden Euro) schweren Stimuluspaket sollen das Virus eingedämmt und die Bevölkerung finanziell unterstützt werden. Amerikaner sollen einen 1400-Dollar- Scheck erhalten, die Arbeitslosenhilfe soll aufgestockt, Kinderbetreuung bezuschusst werden.

Insgesamt fasst die Biden-Regierung ihre Wirtschaftspläne für die nächsten vier Jahre unter dem Programm „Build Back Better" zusammen. Dafür soll der Mindestlohn von bisher 7,25 Dollar auf 15 Dollar pro Stunde angehoben, das Gesundheitssystem reformiert werden, und Frauen sollen den gleichen Lohn bekommen wie Männer.

Biden muss seine Vorschläge durch den US-Senat bekommen. Dort haben die Demokraten nur eine hauchdünne Mehrheit, jeder Abweichler könnte einen Deal zum Platzen bringen. Ob das Stimulus-paket, Gesetzesvorschläge zum Klima-wandel, zur Gesundheitspolitik oder Maßnahmen gegen Diskriminierung: Biden steht vor der Herausforderung, den Großteil dieser Pläne in den ersten zwei Jahren seiner Amtszeit durch den Senat zu bringen. Denn bei den Zwischenwahlen 2022 könnten die Republikaner die Mehrheit im Senat zurückerobern und zu der Strategie zurückkehren, die sie schon unter US-Präsident Barack Obama verfolgten: blockieren, wo es nur geht.

Langfristig besorgniserregend ist, dass Bidens Pläne, insbesondere das Corona-Rettungspaket, das US-Defizit weiter vergrößern. Bereits in der Amtszeit von Donald Trump stieg das Defizit von 585 Milliarden Dollar 2016 auf 984 Milliarden 2019. Durch die Corona-Krise sprang es 2020 auf den Rekordwert von 3,1 Billionen Dollar - mehr als doppelt so hoch, als es während der Finanzkrise 2009 war. „Wenn die Leitzinsen niedrig bleiben, wovon derzeit auszugehen ist, kann die Regierung höhere Schulden schultern als ursprünglich angenommen", schreibt David Wessel vom Washingtoner Thinktank Brookings Institution. Auf lange Sicht ist der Kurs aber nicht nachhaltig. Hält die Corona-Pandemie länger an als erwartet oder kommt es zu einer weiteren Krise, könnten das Defizit und die hohe Staatsverschuldung den Handlungsspielraum der Regierung beschränken. Um mehr einzunehmen, kann Biden die Steuersenkungen seines Vorgängers aufheben. Er hat bereits an- gekündigt, Reiche und Großunternehmen stärker besteuern zu wollen - ein Vorhaben, das bei Republikanern auf Widerstand stößt und auch an der Wall Street argwöhnisch beobachtet wird.

In vielen Punkten vollzieht Präsident Biden zwar eine Radikalumkehr von der Politik seines Vorgängers. Doch eine Abkehr vom Protektionismus wird es auch unter dem neuen Präsidenten nicht geben. Biden hat schon kurz nach Amtsantritt das „Buy American"-Dekret auf den Weg gebracht. Die Regierung soll Produkte und Dienstleistungen vornehmlich im eigenen Land einkaufen.

Verprellte Partner. Damit macht der Präsident zwar den heimischen Fabrikanten und Gewerkschaften eine Freude. Für Handelspartner wie den Nachbarn Kanada, aber auch für Deutschland, das nach wie vor den Großteil seiner Exporte in die USA schickt, ist die Verordnung hingegen frustrierend. Schon unter Trump sorgten sie sich um ihre Verkäufe. Trump waren insbesondere die deutschen Autohersteller ein Dorn im Auge, die am US-Markt viel Geld verdienen. Wiederholt hatte er mit Strafzöllen von bis zu 25 Prozent auf deutsche Autos gedroht. Unter Biden ist die Einführung dieser Zölle zwar unwahrscheinlich. Aber die bestehenden Abgaben - unter denen in Deutschland die Aluminium-, Stahl-, Wein-, Käse- und Keksproduzenten leiden - werden so schnell wohl nicht verschwinden. „Stil und Strategie sind weniger konfrontativ, die Ziele aber durchaus ähnlich", analysiert Michael Böhmer vom Wirtschaftsforschungsunternehmen Prognos. Die Unsicherheit über Investitionen und Absätze im amerikanischen Markt bleibt für deutsche Unternehmen also bestehen.

Das amerikanische Cato Institute kritisiert, dass „Buy American" bei Amerikas Handelspartnern ähnlichen Protektionismus provozieren und so am Ende US-Unternehmen schaden könnte, die weniger Aufträge im Ausland bekommen. Außerdem verstößt die Strategie gegen Bidens Versprechen, dass die USA wieder enger mit ihren internationalen Partnern zusammenarbeiten und ihre Führungsrolle wiederbeleben wollen.

Kampfansage an China. Allianzen könnte das Land vor allem beim Umgang mit China gut gebrauchen. Denn auch wenn Experten den Ton und Stil von Trumps Handelspolitik mit China kritisierten, stimmten viele von ihnen im Kern zu, dass Pekings Auftreten auf dem Weltmarkt problematisch ist. Dieser Überzeugung ist auch die neue Administration. Wirtschaftsministerin Gina Raimondo kritisierte China bereits für schlechtes Wettbewerbsverhalten, das der amerikanischen Wirtschaft und ihren Arbeitern schade. Sie kündigte an, aggressiv gegen das Land vorzugehen.

Zwar sieht auch Europa in China eine geopolitische und wirtschaftliche Herausforderung. Aber mit dem Abkommen Comprehensive Agreement on Investment (CAI), das die Europäische Union im Dezember 2020 mit China geschlossen hat, zeigt die Staatengemeinschaft den USA ein neues Selbstbewusstsein: Bidens Team hatte die Europäer um Aufschub bis zu seinem Amtsantritt gebeten, um gemeinsam darüber zu beraten. Die EU drückte unter Führung der deutschen Ratspräsidentschaft den Deal mit China über die Ziellinie.

Das CAI-Abkommen soll europäischen Firmen einen besseren Zugang zum chinesischen Markt garantieren und ausländische Investoren in China besser vor dem Diebstahl ihres geistigen Eigentums schützen. China soll sich außerdem an Arbeitsrechte und Umweltschutz halten. Die USA bleiben bei dem Deal außen vor.

Schlechte Verhandlungsposition. Auch Gespräche über ein neues Handelsabkommen mit Europa werden unter neuen Vorzeichen laufen. Zwar hofft man in der EU auf einen Neustart bei den transatlantischen Beziehungen. Aber die Trump-Regierung hat in ihren vier Jahren permanenter Kritik an Europa, dem gescheiterten TTIP-Handelsabkommen und mit ihren Strafzöllen auf Stahl und Aluminium viel Porzellan zerschlagen. Das Ansehen der USA als verlässlicher Partner hat gelitten. Biden muss dieses Vertrauen wieder herstellen - und kommt deshalb mit einer schwächeren Position an den Verhandlungstisch zurück. Aus EU-Kreisen hieß es bereits, dass man zu Gesprächen über ein neues Handelsabkommen bereit sei - aber dass sich die Rahmenbedingungen geändert hätten. Mit Rückenwind aus dem CAI- Abkommen kann die EU mit neuem Selbstbewusstsein auftreten.

Große Chancen könnten gerade für deutsche Unternehmen indes in einem Feld liegen, das unter der Trump-Administration vollends ignoriert wurde. Joe Biden hat den USA hohe Klimaziele gesteckt. Schon am ersten Tag im Amt verfügte er per Dekret, dass die USA dem Pariser Klimaabkommen wieder beitreten, das sie unter Donald Trump verlassen hatten. Die neue Administration hat klargemacht, staatliches Land künftig stärker zu schützen. Bis auf Weiteres werden keine Lizenzen für Öl- oder Gasförderung auf staatseigenem Land oder Gewässern vergeben. Die Industrie, ohnehin gebeutelt von fallenden Preisen während der Pandemie, muss sich auf schärfere Regulierungen und weitere Einschnitte in ihrem Geschäftsmodell einstellen. Was Ölkonzernen wie Exxon und Chevron Probleme macht, ist eine Chance für Hersteller und Dienstleister von sauberer Energie.

Denn Bidens Klimaplan sieht vor, die US-Wirtschaft bis 2050 auf saubere Energie umzustellen und keine Treibhausgase mehr auszustoßen. Dafür plant die Regierung umfassende Investitionen in saubere Energie, insgesamt 1,7 Billionen Dollar in den kommenden zehn Jahren, die bis zu zehn Millionen gut bezahlter Jobs schaffen sollen. Allein Offshore- Windenergie soll nach Bidens Plan bis 2030 verdoppelt werden. Die deutsche Außenwirtschaftsagentur Germany Trade and Invest sieht für die Industrie gute Lieferchancen bei Offshore-Technik und die Wartung von Windkraftfeldern als neues Geschäftsfeld.

Knirschen wird es zwischen den USA und Deutschland wohl weiter beim Thema Nord Stream 2. Den Amerikanern ist die Pipeline, die russisches Gas nach Deutschland bringen soll, schon lange ein Dorn im Auge. Im Sommer hatten drei US-Senatoren per Brief Sanktionen angedroht und gewarnt, dass beim Festhalten an der Pipeline die „wirtschaftliche Zerstörung" des Hafens Sassnitz drohe. Bidens neuer Außenminister signalisierte Bereitschaft, vom US-Kongress beschlossene Sanktionen auch durchzusetzen. Mit dem neuen Mann in Washington wird also doch nicht alles neu und für Deutschland besser.
Foto: Joe Biden, Februar 2021, via Flickr (https://www.flickr.com/photos/secdef/50934657086/in/photolist-2kAVr1S-2ksRP2g-2kAS8F4-2ku5ucc-2kunqk...)

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