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Von Gegnern zu Verbündeten

Das Verhältnis der Grünen zur Wirtschaft galt lange als belastet. Seit 2018 arbeitet der Grüne Wirtschaftsdialog systematisch daran, es zu verbessern. Durchaus mit Erfolg, wie Gründer Thomas Gambke im Gespräch mit EnergieWinde beschreibt.

Die Kampagne ist eine Breitseite gegen die Grünen: Anfang Juni schaltet die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) in großen deutschen Medien Anzeigen, die Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock in Moses-Pose zeigen. In den Armen trägt sie Steintafeln, auf denen zehn Verbote stehen, von „Du darfst kein Verbrennerauto fahren" bis zu „Du darfst deine Arbeitsverhältnisse nicht frei aushandeln".

Ein Faktencheck der Nachrichtenagentur dpa ergibt, dass die Behauptungen ungenau oder sogar falsch sind. Die vermeintlich geplanten Verbote von Verbrennungsmotoren oder Flügen etwa stehen anders als von der INSM behauptet so nicht im Parteiprogramm der Grünen. Zudem muss sich die Initiative gegen Vorwürfe wehren, mit der Kampagne antisemitische Vorurteile zu bedienen.

Die Grünen und die Industrie haben sich lange gemieden. Jetzt nähern sie sich an

Mit der Werbeanzeige verbreitet die INSM einen altgedienten Vorwurf gegen die Grünen: dass es sich bei ihnen um eine Verbotspartei handle, die ambitionierte Ziele und Ansprüche stelle, ohne die Wirtschaftskompetenz für seriöse Lösungen zu besitzen. Ein Image, das spätestens seit 2013 an den Grünen klebt, als sie die Idee eines Veggiedays in Kantinen präsentierten.

„Wir haben es lange nicht geschafft, uns gegen solche Vorwürfe zu wehren", sagt Thomas Gambke, Gründer und Vorstand des Grünen Wirtschaftsdialogs. Der Verein bemüht sich um einen engen Austausch zwischen Unternehmern, Managern und Politikern, insbesondere Vertretern der Grünen. Denn lange gab es nur wenig Dialog zwischen der Partei und der Wirtschaft. Die Grünen-Fraktion plante ihren Austausch mit einigen wenigen Wirtschaftsvertretern nur von einer Legislaturperiode zur nächsten; Gesprächen mit Großkonzernen wie Bayer oder BASF verweigerte sich die Partei lange Zeit ganz. Gambke erzählt von einem Gespräch mit einem Parteikollegen, der das Problem einst so beschrieb: „Einen Grünen können Sie nachts um zwei Uhr wecken und eine Diskussion über Umweltfragen führen. Beim Thema Wirtschaft kann es zwei Uhr nachmittags sein, aber die Diskussion - naja ..."

Doch inzwischen hat ein Umdenken eingesetzt. Als Gambke, der von 2009 bis 2017 für die Grünen im Bundestag saß, Ende 2018 mit der Unterstützung der Rechtsanwältin und Parteikollegin Gabriele Klug den Grünen Wirtschaftsdialog gründete, trugen Parteimitglieder wie Robert Habeck, Monika Heinold und Tarek Al-Wazir die Initiative mit.

Airbus, Telekom, BASF, BP: Zahlreiche Konzerne sind Fördermitglieder des Vereins

Aus der Wirtschaft gab es direkt Zuspruch: von Annette Hering von der Hering Gruppe, von Amir Roughani vom Technologieunternehmen Vispiron und von Roland Schüren, Inhaber einer Bäckereikette in NRW, der bei der Bundestagswahl für die Grünen antritt. „Wir hatten aber auch sehr spontan Kontakt mit der Telekom und BASF", sagt Gambke. Beide Unternehmen sind Fördermitglieder des Grünen Wirtschaftsdialogs - ebenso wie Airbus, BP, das Pharmaunternehmen Pfizer und das Wohnunternehmen Vonovia.

„Die Einstellung gegenüber den Grünen hat sich in den vergangenen zwei Jahren erheblich verändert, weil es eine riesige Bewegung in der Industrie gab. Die Verantwortlichen haben erkannt, dass sie nur überleben können, wenn sie Nachhaltigkeitskonzepte haben", sagt Gambke. Immer mehr Vertreter der Wirtschaft verabschiedeten sich von dem lang vertretenen Standpunkt, Klimaschutz betreibe man nur dann, wenn man es sich leisten könne. Der Verein will im Dialog mit ihnen das Verständnis schaffen dafür, dass die deutsche Industrie mit nachhaltiger Technologie gutes Geld verdienen kann.

Gambke ist studierter Physiker, forschte an der TU Darmstadt und an der University of California, war Technologieberater beim VDI-Technologiezentrum und stieg 1984 beim Glaskeramikspezialisten Schott ein, wo er zuletzt Geschäftsbereichsleiter war und den Aufbau von Tochterunternehmen in Tschechien, Singapur, China und den USA übersah. 2004 trat er bei den Grünen ein.

In seiner Rolle als Vorsitzender des Grünen Wirtschaftsdialogs steht Gambke stellvertretend für einen Wandel innerhalb der Partei. „Heute können wir bei den Grünen wertschätzen, wie viel Technologie in einer Windkraft- oder einer Solaranalage steckt, das Verständnis dafür ist da", sagt er. Das wirtschaftliche und industrielle Know-how sei gestiegen. Mehr noch: „Ich sehe da bei Annalena Baerbock und Robert Habeck zum Beispiel große Bereitschaft, auf die Wirtschaft zuzugehen und die Möglichkeiten der Technologien auszuloten." Es gehe darum, die grünen Ziele mit der Wirtschaft zu vereinbaren.

Diese Einstellung bringt der Partei neue Verbündete wie Joe Kaeser. Der Ex-Siemens-Chef sagte vor wenigen Wochen in der „Süddeutschen Zeitung", Baerbock erinnere ihn in ihrer Auffassungsgabe und ihrem Interesse an Kanzlerin Angela Merkel. Sie habe „sicherlich die größte Glaubwürdigkeit für eine nachhaltige und langfristige Erneuerung". Als Kaeser beim Grünen-Parteitag auftrat, erklärte er mit Blick auf die Rahmenbedingungen für eine grüne Transformation der Wirtschaft: „Es ist Aufgabe einer Regierung, klare Vorgaben zu machen."

Die Industrie fordert klare Regeln. Der Beschluss der EU, die Emissionen bis 2030 auf mindestens 55 Prozent zu senken, ist so eine Vorgabe.

Thomas Gambke, Vorsitzender des Grünen Wirtschaftsdialogs

Eine Haltung, die Gambke teilt. „Die Industrie fordert klare Regeln. Der Beschluss der EU, die Emissionen bis 2030 auf mindestens 55 Prozent zu senken, ist so eine Vorgabe, die es der Industrie erlaubt, zielgerichtet darauf hinzuarbeiten." Für die Politik bestehe die Herausforderung darin, den klaren Rahmen dann auch einzuhalten. Etwa durch ein gerechtes Regelgerüst, das sogenannte Early Mover belohnt: Pioniere, die eine neue Technologie früh annehmen und etablieren. Gambke nennt Förderungen für Stromtankstellen als Beispiel: „Die werden derzeit vollgeschüttet mit Geld. Wer schon auf eigene Rechnung frühzeitig investiert hat, hat keine Förderung bekommen - und jetzt genießen spätere Wettbewerber einen Vorteil." Für genau solche Fälle gelte es faire Lösungen zu finden.

Der Verein versteht sich als Vermittler. Er sucht Lösungen für die Klimawende

Der Grüne Wirtschaftsdialog will der Industrie zudem helfen, nachhaltigere Geschäftsmodelle zu entwickeln. Zu den Fragen, mit denen er sich beschäftigt, gehört etwa die, wie die Landwirtschaft den Verbrauch von Düngemitteln und Pestiziden verringern kann, ohne dass die Erträge für Hersteller wie BASF unattraktiv werden. Oder wie man Thyssenkrupps internationale Wettbewerbsfähigkeit stärken kann, wenn das Unternehmen Stahl grüner und damit teurer herstellt.

Diese Gesprächsbereitschaft kommt an. Sie hat VW-Chef Herbert Diess, die Chefs von HeidelbergCement, den Deutschlandchef von BP und Airbus-Chef Guillaume Faury an den Verhandlungstisch mit den Grünen gebracht. Im Grünen Wirtschaftsdialog wird dann ressortübergreifend diskutiert. Statt ihre Expertenteams auf Themen wie Chemie, Stahl oder Energie zu begrenzen, diskutieren die Gruppen in Projektforen und Arbeitsfeldern, für die sie unterschiedliche Branchen zusammenbringen. „Wenn wir über Mieten nachdenken, sitzen nicht nur Wohnkonzerne mit am Tisch, sondern auch Heizungsbauer, die über Lösungen für Heizungsanlagen für Mehrfamilienhäuser nachdenken", sagt Gambke.

Der Verein konzentriert sich allerdings nicht allein auf die Belange der Industrie, sondern auch auf soziale Fragen beim Klimaschutz. Denn wie alle Parteien müssen sich auch die Grünen gegen Zerrbilder aus dem rechten Lager stemmen. „Sowohl die Geschwindigkeit in der Technologie als auch die daraus resultierenden Möglichkeiten sind unglaublich schwer zu vermitteln. Das macht die politische Debatte so schwer. Manche Leute wie die AfD-Vorsitzende Alice Weidel negieren einfach die Zukunft, weil sie merken, dass die Überforderung der Menschen zu konservativen Tendenzen führt", sagt Gambke. Der Grüne Wirtschaftsdialog arbeitet mit den Politikern an einer Kommunikationsstrategie, die Technologie nicht nur als Entwicklung darstellt, die Arbeitsplätze fordert, sondern auch Chancen für Ökologie und Ökonomie bietet.

Es muss leichter werden, nachhaltig zu leben, sagt Gambke

Angriffe auf die Grünen kommen aber auch von links. Sahra Wagenknecht kritisierte jüngst in ihrem Buch „Die Selbstgerechten", dass „Lifestyle-Linke im grün-bürgerlichen Milieu" ihren veganen Lebensstil pflegten, sich aber nicht um soziale Frage kümmerten. „Was Frau Wagenknecht andeutet, ist, dass man sich grün nur leisten könne, wenn man Gutverdiener ist. Das ist schlichtweg falsch", sagt Gambke. In einem Punkt gibt er ihr allerdings recht: „Wer heute bewusst grün leben will, muss sehr intensiv darüber nachdenken, wie er das richtig tun kann." Um das zu ändern, müsse grünes Leben einfacher werden. Transparente Regeln, etwa bei der Kennzeichnung von Lebensmitteln, könnten Konsumenten einen nachhaltigen Lebensstil erleichtern.

Gambke ist optimistisch, dass die Grünen Lösungen entwickeln und auch durchsetzen können. „Man traut uns mittlerweile zu, über den Tellerrand zu schauen."


Foto: Cem Özdemir, Bündnis 90/Die Grünen, via Flickr

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