Wirtschaft Ressourcenverschwendung
Müll statt Spende - Billige Kleidung aus Europa wird zum Problem für Afrika
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Weil im Westen immer größere Mengen an Billigkleidung auf den Markt geworfen werden, wachsen in Afrika vielerorts die Abfallberge. Das behindert zusätzlich den Aufbau einer eigenen Textilbranche. Unlösbar ist das Problem nicht.
Vor einiger Zeit trommelte der Umweltaktivist Larry Dwayne seine Freunde zusammen. Jahrelang hatte der 29-Jährige zugesehen, wie die Müllberge im Fluss von Nairobis größtem Slum Kibera wuchsen. Dwayne betreibt dort ein Musikstudio. Er hatte genug von der Verschmutzung seiner Nachbarschaft.
Dutzende überwiegend junge Kenianer halfen tagelang bei der Reinigung des Nairobi River. „Wir haben Unmengen an Plastik gefunden", erzählt Dwayne, „aber am schlimmsten waren die weggeworfenen Altkleider, die verwachsen im Boden und verstopfen die Kanalisation. Wir haben Tonnen an Textilmüll rausgezogen." Der Grund: Textilverkäufer entsorgen hier T-Shirts und Jeans, für die sie in Kenias Hauptstadt Nairobi keine Abnehmer mehr finden. Und davon gibt es reichlich.
Es ist ein Teufelskreis: Die Kleidung, die Dwayne und seine Leute aus dem Fluss sammeln, wurde meist in Europa oder den USA entsorgt und dann exportiert. Unmengen an Hosen, Pullovern und Hemden kommen so nach Afrika, weil die Sachen im Westen immer kürzer getragen werden.
Der reiche Westen entledigt sich seiner Altkleider in Afrika. Die Zahlen sind ernüchternd, wie eine Studie im Auftrag des Umzugsunternehmens Movinga bei rund 18.000 Haushalten in 20 Ländern zeigt: Die meisten Verbraucher tragen mehr als die Hälfte ihrer Kleidung im Laufe eines Jahres überhaupt nicht. In Deutschland sind es sogar 64 Prozent.
Das Problem: Die Qualität unserer abgelegten Kleidung ist oft minderwertig. Was nicht mehr getragen wird, landet meist in Altkleidercontainern. Viele Menschen gehen davon aus, dass diese Sachen an Bedürftige gespendet werden.
Aber das ist laut Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen bei weniger als zehn Prozent der Kleidung der Fall. Der Rest wird nach Osteuropa, Lateinamerika und Afrika exportiert. Was auch dort keiner mehr will, landet auf dem Müll oder in der Natur. „Wir müssen begreifen, dass unsere Altkleider keine Spende sind, sondern zunehmend zu Müll verkommen", sagt auch Viola Wohlgemuth, zuständige Greenpeace-Expertin.
Deutsche geben pro Jahr 15 Kilogramm Kleidung wegDie Menge an Altkleidern, die in Deutschland entsorgt werden, stieg allein zwischen 2013 und 2018 um rund ein Drittel auf 1,3 Millionen Tonnen, wie Zahlen des Bundesverbands Sekundärrohstoffe und Entsorgung ergeben. Im Schnitt gibt ein Deutscher pro Jahr 15 Kilo Kleidung weg. Nur rund 60 Prozent der Sachen seien noch tragbar, sagt Thomas Ahlmann vom Verband Fair Wertung. Der Rest wird zu Putzlappen und Dämmmaterial verarbeitet oder verbrannt.
Die Menge an gebrauchter Kleidung steigt, die Qualität sinkt. Robin Balser, Gründer des Start-ups Vinokilo, das online und auf Events hochwertige Vintagemode verkauft, erzählt, dass es immer schwieriger werde, gute Secondhandkleidung zu finden.
Sein Unternehmen kooperiere mit rund 20 Sortierbetrieben in Europa. Aus der herausgepickten Kleidung suche er sich das eigene Sortiment zusammen, sagt Balser. „Früher habe ich aus der Vorauswahl etwa vier Prozent nutzen können, mittlerweile sind es nur noch 0,8 Prozent."
Die sinkende Qualität bemerken auch die Abnehmer von Secondhandware in Afrika, wie Liz Ricketts von OR Foundation erzählt. Die US-Amerikanerin will mit ihrer Organisation auf die negativen Auswirkungen der Kleiderflut auf die Umwelt und Wirtschaft Ghanas aufmerksam machen.
15 Millionen Kleidungsstücke kämen pro Woche auf dem Kantamanto-Markt an, dem größten Secondhandmarkt in Ghanas Hauptstadt Accra. Das Land hat rund 31 Millionen Einwohner. „Jeder, der in der Lage ist, logisch zu denken, sollte merken, dass das nicht gut ausgehen kann, es ist einfach zu viel Kleidung", so Ricketts.
Es ist ein Spiel der großen Zahlen: Die Händler kaufen die Kleidung nicht einzeln, sondern in riesigen Plastikballen. Deren Inhalt kennen sie vorab nicht, irgendwas in dieser Menge an Textilien wird sich schon verkaufen lassen. „Sie arbeiten damit am Rande der Profitabilität, sind oft sogar verschuldet", so Ricketts.
Die sinkende Qualität der Kleidung sei Teil dieses Problems. Bis zu sechs Prozent der Sachen seien stark beschädigt, ein großer Teil aus schlechten Materialien oder schlichtweg völlig aus der Mode gekommen. Um die 40 Prozent aller Kleidungsstücke, die in Accra ankommen, seien nicht mehr verkäuflich. „Der Textilmüll gelangt oft ins Wasser, verfängt sich, und es entstehen meterlange Kleidungstentakel, die das Meer vermüllen."
Schon vor Jahren wollten einige Regierungen in Afrika diese Entwicklung aufhalten: 2016 hatte die Ostafrikanische Gemeinschaft (EAC), der Kenia, Uganda, Tansania, Burundi, Südsudan, Kongo und Ruanda angehören, beschlossen, bis 2019 den Altkleiderimport zu stoppen - um die eigene Textilproduktion anzukurbeln. Die Branche gilt als Jobmotor, besonders im Niedriglohnsektor.
Nach dem Beschluss drohten die USA den EAC-Ländern mit dem Ausschluss aus dem Agoa-Abkommen, das diesen Staaten einen zollfreien Zugang für bestimmte Produkte zum US-amerikanischen Markt gewährt.
Die Folge: Fast alle Länder zogen den Importbann zurück - nur Ruanda blieb bei seinem ursprünglichen Entschluss und führte einen Zoll in Höhe von vier Dollar pro Kilogramm importierter Altkleidung ein. Im Gegenzug fielen die US-Zollbegünstigungen für Waren des Bekleidungssektors weg.
Anders als Ruanda gab Kenia klein bei. Allerdings nicht nur wegen der amerikanischen Drohungen, sondern auch weil Tausende Altkleiderverkäufer gegen das Verbot auf den Straßen protestierten.
„Ohne die Altkleider hätte die Mehrheit der Menschen in Kenia nicht genug zum Anziehen", sagt die Großhändlerin Lucy John aus Kenias Hauptstadt Nairobi. „Hier auf dem Gikomba-Markt kostet ein T-Shirt einen Dollar. Können Sie sich vorstellen, was passiert, wenn sie fünf Dollar für ein neues zahlen müssen?"
Doch längst nicht jeder ist rigoros gegen ein Importverbot. Der 25-jährige Designer David Avido in Nairobi könnte dieser Maßnahme viel abgewinnen. Unterschiedliche Geschäfte, verschiedene Interessen.
Avido hat sich mit seinen Kreationen auf dem begrenzten Markt für die Mittelschicht etabliert. Ein Hemd kostet in seinem Atelier umgerechnet 40 Euro - die Zahl der Käufer, die sich so ein Stück leisten könnten, ist allerdings nicht groß.
Elf Arbeitsplätze hat Avido geschaffen, in zehn Jahren will er 5000 Menschen beschäftigen. Das geht nur, wenn er Waren für die Massen herstellt. Das sei in Kenia preisgünstig möglich, glaubt er.
Allerdings müsse die Regierung neben einem Importverbot Hilfe für Existenzgründer wie ihn bereitstellen. Damit könne weit mehr Beschäftigung entstehen, als durch ein Verbot von Altkleiderverkäufen verloren gehe.
Liz Ricketts, die mit ihrer NGO gegen die Kleiderflut in Ghana kämpft, sieht in dem Verbot von Altkleiderimporten nicht die passende Lösung. Stattdessen fordert sie faire Geschäftspraktiken zwischen Export- und Importländern.
So würden bei der Entsorgung der Kleidung die Industrieländer die Importländer im Stich lassen. Die Kleidungshersteller aus den USA und Europa sollten die Kosten für den Aufbau einer Kreislaufinfrastruktur in Importländern tragen, fordert sie.
Europa ist sich zumindest des Problems bewusst. Die EU will die Hersteller daher künftig stärker in die Verantwortung nehmen. Allein aber wird sie das Problem nicht lösen können. Letztlich hängt es nämlich an den Kunden.
„Es ist mittlerweile so, dass Konsumenten mehr Kleidungsstücke als jemals zuvor besitzen, die sie nach immer kürzerer Zeit aussortieren", sagt Frauke Steglich, die am Kieler Institut für Weltwirtschaft zu Globalisierungseffekten forscht. Ein bisschen weniger Ultrafast Fashion würde allen helfen.
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