Jana Hauschild

freiberufliche Journalistin, Berlin

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Germanwings-Pilot: "Es handelt sich um einen extremen Einzelfall"

Normal und ruhig soll er geatmet haben, als er den Airbus A320 am Dienstag in den französischen Alpen zum Sinkflug einlenkte. Auf Rufe seiner Crew reagierte der 27-jährige Co-Pilot Andreas Lubitz nicht. Auch auf die Funksprüche der Flugsicherung antwortete er nicht. Hat Lubitz die Maschine bewusst zum Absturz gebracht? Und wenn ja, was ging in dem jungen Mann vor?

Ermittler und Medien suchen nach Antworten. Eine scheint besonders naheliegend: Der Rheinländer soll psychisch erkrankt gewesen sein. Doch was hat das mit dem Unglück zu tun? Und könnte eine psychische Störung die Tat erklären?

Die bisherigen Ermittlungen lassen noch immer keine klaren Aussagen zu. Fest steht bisher nur: Lubitz hatte in der Vergangenheit psychische Probleme. Welche, ist noch unklar, auch wenn manche Medien von einer Depression sprechen. Zwar haben Ermittler in seiner Wohnung ein ärztliches Attest gefunden, das ihn für den Tag von der Arbeit hätte freistellen sollen. Ob der Grund dafür auch eine psychische Krise war, ist bisher ebenfalls nicht bekannt.

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Hatte Lubitz den eigenen Tod - und den von 149 weiteren Menschen - tatsächlich zum Ziel?

Auch das lässt sich aus der bisherigen Faktenlage nicht zu 100 Prozent belegen. Aber: "Falls der junge Mann tatsächlich einen Suizid begangen hat, steckte dahinter sehr wahrscheinlich eine psychische Erkrankung", sagt der Psychiater Ulrich Hegerl, Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Leipzig. Etwa 90 Prozent aller Selbsttötungen geschähen vor dem Hintergrund einer nicht optimal behandelten seelischen Störung.

Wütend über die Stigmatisierung

Die zahlreichen Spekulationen in den Medien um den psychischen Zustand von Andreas Lubitz machen viele Menschen wütend. "Durch die undifferenzierte Berichterstattung und die vereinfachte Schlussfolgerung, 'egal welche psychische Erkrankung und egal in welcher Ausprägung = Verantwortung und Belastung ist nicht mehr möglich', wird der Stigmatisierung von psychischen Erkrankungen leider wieder der Weg geebnet", schreibt ein Leser in einer E-Mail an SPIEGEL ONLINE. "Schade, wir waren eigentlich auf einem guten, neuen Weg."

Auch Hegerl warnt eindringlich davor, voreilige Schlüsse zu ziehen: "Es handelt sich um einen extremen Einzelfall, aus dem keinerlei Aussagen über andere Menschen mit psychischen Erkrankungen abgeleitet werden können", sagt der Psychiater, der auch Vorsitzender der Stiftung Deutschen Depressionshilfe ist. Er selbst habe, so Hegerl, während seiner Arbeit unzählige Menschen mit Depressionen kennengelernt. Diese hätten vor allem eine Neigung zur Fürsorge, ein sehr großes Verantwortungsbewusstsein und opferten sich eher für andere auf - als ihnen zu schaden.

In den vergangenen 30 Jahren habe sich die Zahl derer, die sich mit einer psychischen Erkrankung in Behandlung begeben, immer weiter erhöht, sagt Hegerl. Nicht etwa weil mehr erkrankt seien, sondern weil sich die Betroffenen inzwischen eher trauten, sich offen zu ihrem Problem zu bekennen, und etwas gegen ihre Erkrankung unternehmen. "Diese positive Entwicklung sollten wir nicht mit voreiligen Schlüssen oder Rufen nach drastischen Konsequenzen riskieren."

Hegerl zufolge kann es bei sehr schweren und unbehandelten Depressionen - wenn auch extrem selten - dazu kommen, dass die Betroffenen ihre Situation als derart hoffnungslos und unerträglich empfinden, dass sie das Bedürfnis haben, ihre Nächsten nicht in dem von ihnen so empfundenen Elend zurückzulassen. Sie begehen dann einen erweiterten Suizid, töten also nicht nur sich, sondern auch Nahestehende.

"Sehr untypische Form des erweiterten Suizids"

In der Unglücksmaschine saßen aber nicht die engsten Angehörigen von Lubitz - Unbeteiligte wurden mit in den Tod gerissen. "Das wäre eine sehr untypische Form des erweiterten Suizids", sagt Hegerl.

Den Ruf nach mehr psychologischen Tests für Piloten lehnt der Psychiater ab. Auch weil diese eine Depression nicht entdecken könnten, wenn der Erkrankte dies nicht möchte. Wichtiger sei es, die betreuenden Ärzte und Betriebsmediziner besser zu schulen, damit diese rechtzeitig psychische Krisen und Probleme erkennen und dann helfen können, so Hegerl. Selbst wenn es verstärkt psychologische Screenings gebe, was wäre deren Ziel? "Würde man dann Menschen, die irgendwann einmal eine depressive Episode hatten, bestimmte Berufe verbieten? Wo kämen wir dann hin?" In Deutschland gebe es mehrere Millionen depressiv Erkrankter, "viele von ihnen in hohen verantwortungsvollen Positionen, die ihre Arbeit ausgezeichnet erledigen".

Wer einmal depressiv war, hat tatsächlich ein erhöhtes Risiko, irgendwann in seinem Leben wieder zu erkranken. Aber eine konsequente Behandlung könne dieses Risiko deutlich reduzieren, betont Hegerl. Diese finde aber nicht statt, wenn die Menschen das Gefühl haben, ihre Erkrankung verstecken zu müssen.

Anmerkung der Redaktion: Nachdem wir den Nachnamen des Co-Piloten zunächst abgekürzt haben, schreiben wir ihn nun, ebenso wie der an diesem Freitagabend digital erscheinende SPIEGEL, aus. Die bisher veröffentlichten Ergebnisse der Ermittler lassen keine Zweifel zu: Andreas Lubitz führte diese Katastrophe herbei, aus welchen Gründen er auch immer handelte. Der Pressekodex fordert für eine identifizierende Berichterstattung, es müsse "eine außergewöhnlich schwere oder in ihrer Art und Dimension besondere Straftat" vorliegen. Diese Voraussetzung sehen wir erfüllt.

Was wir auf SPIEGEL ONLINE auch weiterhin nicht zeigen, sind Nahaufnahmen von Angehörigen der Opfer. Denn dafür gibt es, solange die Personen nicht von sich aus an die Öffentlichkeit gehen, keinen Grund. Wir respektieren ihre Privatsphäre.

Jana Hauschild ist Psychologin und arbeitet als freie Journalistin in Berlin.
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