Jana Hauschild

freiberufliche Journalistin, Berlin

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Ohne Kinder

Einen Partner finden und Kinder bekommen. Das ist der Gang der Dinge. Doch nicht alle Frauen wollen oder können diesen Weg gehen. Im Alter kommt das oft noch mal hoch.

von Jana Hauschild, 14.10.2019

Keine Kinder? Dann verbringt man die Freizeit eben mit guten Freunden.

Man könnte meinen, mit den Wechseljahren ist die Angelegenheit vom Tisch. Die Zeit, Kinder zu gebären, sie ist spätestens dann abgelaufen. Doch bei Frauen, die keine Kinder geboren ­haben, kann dieser Teil ihrer Biografie auch viel später im Leben wieder hochkommen, etwa wenn Freundinnen oder Geschwister Großeltern werden. Plötzlich tauchen Fragen auf: War meine Entscheidung damals richtig? Habe ich etwas verpasst? Wie wäre mein Leben mit Kindern verlaufen? Oder auch: Werde ich im Alter einsam sein?

Späte Wehmut muss nicht sein

Nicht wenige beschäftigen diese Fragen. Immerhin jede zehnte Frau über 70 Jahre hat keine Kinder, ergab eine Erhebung des Statistischen Bundesamts. Eine Zahl, die sich in den kommenden Generationen deutlich erhöhen wird. Von den heute über 50-Jährigen lebt bereits jede Fünfte ohne Kinder.

Die Gründe dafür sind so mannigfaltig, wie der Mensch selbst nur sein kann. So haben die einen nie Kinder gewollt, strebten danach, unabhängig zu bleiben, haben im eigenen ­Elternhaus schlechte Erfahrungen gemacht oder in ihrem Beruf den wichtigsten Lebensinhalt gesehen. Für andere gehört Kinderkriegen zum Leben zwar dazu, doch da war nie der richtige Partner, mit dem es hätte sein können. Oder es gab einen Lebensgefährten, aber er wollte keinen Nachwuchs - oder konnte ihn nicht zeugen. Ebenso kann es bei Frauen auch die Gesundheit sein, die die Erfüllung ­eines Kinderwunschs verhindert.

Welche Gefühle die Kinderlosigkeit bei den Frauen Jahre später auslöst, hängt oft auch davon ab, unter welchen Umständen sie ohne Kinder geblieben sind. "Manche verspüren im Alter große Wehmut", sagt die ­Alternswissenschaftlerin Sonja Schiff.

Sie hat ihre Abschlussarbeit an der Karl-Franzens-Universität Graz über das Älterwerden kinderloser Frauen geschrieben. "Frauen, die die Kinderlosigkeit als Verlust empfunden und ihre Trauer darüber nicht aufgearbeitet haben, kann dieses Thema auch Jahrzehnte später noch stark belasten", fasst sie ihre ­Erkenntnisse aus Interviews zusammen. Da entsteht bei nicht wenigen das Gefühl, etwas Bedeutendes im Leben verpasst zu haben. Aber auch die Angst kommt auf, dass von einem selbst nichts bleibt oder weiterlebt, wenn man ­gestorben ist.

Kinderfrei, nicht kinderlos

Bei einigen Frauen erlebt Sonja Schiff sogar Scham darüber, nicht ihrem vermeintlichen biologischen Auftrag nachgekommen zu sein: Kinder in die Welt zu setzen. "Schnell kommt da der Vorwurf in einem selbst auf oder auch von anderen, nicht richtig zu funktionieren", sagt Schiff. Die gelernte Krankenpflegerin hat selbst keine Kinder bekommen - ungewollt.

Anfangs war sie darüber sehr traurig. Doch mittlerweile sieht die 55-Jährige es als Chance und rät das auch allen anderen Frauen, die ohne Nachwuchs alt werden. "Ich sehe mich heute nicht als kinderlos, sondern als kinderfrei. Ich habe den Schmerz und das Gefühl des Mangels hinter mir gelassen und sehe vielmehr die Chancen, die mir das Leben ohne Kinder ermöglicht."

Davon berichten auch andere Frauen: Sie sind zufrieden mit ihrem heutigen Lebensverlauf, empfinden große Freiheit, bestimmen ihren Alltag autonom. Sie verwirklichen sich im Beruf, reisen durch die Welt, genießen die Unabhängigkeit. Zugleich suchen viele trotzdem den engen Kontakt zu Kindern: engagieren sich als Lesepaten, kümmern sich um Nichten, Neffen oder Nachbarskinder, genießen die Gegenwart von Jüngeren.

Gutes Netzwerk aus Freunden

Sie fürchten auch nicht den Blick in die Zukunft. "Ältere Menschen ohne Kinder pflegen öfter einen engen Kontakt zu ferneren Verwandten, Freunden und Bekannten als Ältere mit Kindern. Sie richten ihr Netzwerk anders aus und holen sich emotionale Aufmunterung, Hilfe für Haushaltsaufgaben oder Rat bei persönlichen Entscheidungen woanders, als Eltern es tun würden", fasst Laura Romeu-Gordo ihre Befunde aus dem Alterssurvey des Deutschen Zentrums für Altersfragen zusammen. "Menschen ohne Kinder verfolgen einen anderen Lebensentwurf. Im Alter sind sie deshalb nicht zwangsläufig allein und ohne Unterstützung", sagt Romeu-Gordo.

"Oft sind es irrationale Bilder, die Frauen ohne Kinder nachhängen", sagt auch Sonja Schiff. Sie selbst habe lange Zeit ein bedrückendes Bild vor ihrem inneren Auge mit sich he­rumgeschleppt. Nämlich, dass später niemand an ihrem Grabstein steht. "Dann habe ich realisiert, dass ich nur einsam werde, wenn ich mich nicht um Freundschaften kümmere", erklärt sie. Sie lernt immer wieder Frauen kennen, die ohne Kinder mitten im Leben stehen. "Im Alter muss niemand allein sein", sagt Schiff. Aber man müsse lernen, sich um sich selbst zu kümmern.

Das bedeutet auch, frühzeitig darüber nachzudenken, was passieren soll, wenn man irgendwann auf Betreuung oder Pflege angewiesen ist, oder die eigene Bestattung und das Erbe in einem Testament zu regeln. Nicht einsam zu sein oder in Vergessenheit zu geraten, dafür kann jeder selbst etwas tun.

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