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Schwimmen: Generation Nichtschwimmer? Mehr Seepferdchen, wenig Kurse

Ins Wasser springen, losschwimmen, Spaß haben - klingt banal, ist aber keine Selbstverständlichkeit. Nach Schätzungen der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft (DLRG) können hessenweit rund 40.000 Kinder im Grundschulalter nicht schwimmen. Fast 60 Prozent aller Grundschüler schwimmen nicht sicher.

"Corona und die abgesenkten Wassertemperaturen haben die Situation verschärft, die eigentlichen Ursachen sind seit vielen Jahren existent", sagt der Vizepräsident des Hessischen Schwimm-Verbands (HSV), Axel Dietrich. Gründe seien etwa die sinkende Anzahl an wohnortnahen Schwimmbädern, steigende Eintrittspreise für Bäder aber auch ein zurückgehendes Interesse von Eltern an der Schwimmausbildung ihrer Kinder.

Derzeit lernen in allerdings wieder mehr Kinder schwimmen. "Wir sind bei den Schwimmabzeichen wieder nahe dem Niveau von 2019. Bei den Seepferdchen konnten wir sogar etwas mehr ausbilden als vor der Pandemie", sagt der Präsident des DLRG-Landesververbands Hessen, Michael Hohmann. Im vergangenen Jahr wurden demnach hessenweit 5362 Seepferdchen abgenommen. Dazu kamen 4195 Schwimmabzeichen Bronze, 2460 Silber und 1323 Gold. "Das zeigt, dass wir hier den Rückstand aus den Vorjahren schon etwas aufholen konnten", erklärt Hohmann.

Doch Schwimmkursplätze sind rar. "Nachfrage und Angebot liegen weit auseinander. Für die Schwimmkurse existieren lange, oft jahrelange Wartelisten", heißt es von der DLRG. Um den Rückstand aufzuholen und die Nichtschwimmer-Quote im Land zu verringern, verfolgt die Initiative "Hessen lernt schwimmen" seit Ende 2019 das Ziel, mehr Bäder und Vereine für Schwimmkurse zu gewinnen. Das Projekt hessischer Sportverbände in Zusammenarbeit mit dem Hessischen Innen- sowie Kultusministerium zertifiziert dafür etwa Kursanbieter.

45 zertifizierte Schwimm-Ausbildungszentren gibt es derzeit hessenweit - unter ihnen auch der 1. Fuldaer Judo-Club. Doch warum wird ein Judo-Verein in der Schwimmbranche aktiv? "Kinder müssen schwimmen lernen. Wir haben aber immer wieder erlebt, dass Kinder nicht am Judo-Training teilnehmen konnten, weil zu den Trainingszeiten Schwimmkurse stattfanden", sagt die zweite Vorsitzende des Vereins, Heike Thiel. "2021 haben wir dann angefangen, eigene Kurse anzubieten."

Im vergangenen Jahr seien 133 Seepferdchen abgenommen worden, die Nachfrage weiterhin groß. "Ich habe gerade erst neue Kurse eingestellt und schon wieder 90 Kinder auf der Liste", erklärt Thiel, die selbst Schwimmkurse leitet, die auch für Nichtmitglieder offen sind. Eltern würden mitunter weite Strecken auf sich nehmen, um überhaupt einen Platz für ihr Kind zu finden. "Die bisher weiteste Anreise lag bei 50 Kilometern pro Strecke", erläutert Thiel.

Eine große Herausforderung seien fehlende Pools. "Für unsere Kurse reicht ein kleines Becken. Wir brauchen keine 25 Meter Bahn", sagt Thiel, deren Kurse aktuell in zwei privaten Bädern stattfinden. Auch Hotelpools seien durchaus für Kurse geeignet. "In der Politik sollte es nicht immer nur um die Förderung der großen Bäder gehen, sondern auch kleine mitgedacht werden", fordert Thiel.

Auch nach Ansicht der DLRG braucht es mehr Wasserflächen für die Schwimmausbildung. Langfristig müssen dafür Bäder saniert und neue gebaut werden. Außerdem seien auch mehr Personal in den Bädern sowie neue Lehrkräfte für den Schwimmunterricht elementar. "Es gibt viel zu tun und die Vereine brauchen alle Unterstützung, die sie bekommen können, um Kindern das Schwimmen beizubringen", sagt Hohmann.

Für den HSV ist überdies neben wohnortnahen Bädern auch wichtig, dass die Becken den Schulen und Vereinen kostenlos zur Verfügung gestellt werden. "Wir haben es selber in der Hand, ob Deutschland ein Land der Nichtschwimmer wird oder ob das Schwimmen wieder einen höheren Stellenwert erhält", sagt Dietrich.

Dazu soll auch der "Schwimmabzeichentag 2023" beitragen, zu dem der Deutsche Schwimm-Verband, die DLRG und andere schwimmsporttreibende Verbände am 21. Mai deutschlandweit aufrufen. In Hessen beteiligten sich am Sonntag mehr als 60 Schwimmvereine, Bäder sowie DLRG-Ortsgruppen an der Aktion, die im Land zum zweiten Mal in Folge und nun erstmals auch bundesweit ausgetragen wird.

© dpa-infocom, dpa:230519-99-745242/2

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