Ortstermin Reeperbahn: Seit Donnerstag ist ganz Deutschland verpflichtet, ab 22 Uhr das Licht an Gebäuden auszuschalten, blinkende Reklametafeln zu deaktivieren, Türen nicht dauerhaft offen zu halten. Klappt das? Wir haben das Thema mal näher beleuchtet.
Ein Rundgang von Jana Felgenhauer
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Der Kiez lebt vom Licht. Schließlich sollen die Menschen in Hamburg ihren Weg finden, in all die Tanzschuppen, Stripklubs und zwielichtigen Kneipen. Und natürlich zur Currywurst, wie es sie im Kultimbiss Lucullus gibt, der wie kein Zweiter mitten auf der Reeperbahn um Kunden buhlt. An diesem Snack führt kein Weg vorbei. Nahezu verzweifelt blinken grellbunte LED-Würste rund ums Dach. Ein Clownsgesicht lacht. Irres Blinken die ganze Nacht. Auch heute. "Von einer Verordnung weiß ich nichts", sagt einer der Verkäufer und schaufelt Pommes auf einen Pappteller. Er lächelt verlegen.
Herbst macht sich breit, die Luft ist bereits abgekühlt, gegen halb neun dunkelt es. Auf der Reeperbahn ist alles wie immer.
Auf dem Spielbudenplatz, dem Ort, auf dem Großveranstaltungen wie die Grand-Prix-Party stattfinden, leuchtet auf einem riesigen Monitor Bierwerbung, ein paar Menschen stehen vor Foodtrucks an, aus dem Heiße-Ecke-Grill dröhnt "Sexual Healing". Auf der Fassade des Klubhauses St. Pauli, dem grellsten Gebäude hier am Platz - es wirkt, als habe man Hunderte Flatscreens übereinandergestapelt - flimmert Udo Lindenberg, um Leute in die "Panik City" zu locken, eine interaktive Tour durch sein Leben. Ob die Fassade, die dazu gemacht ist, alle anderen auszustechen, ab 22 Uhr tatsächlich im Dunkeln liegt, wird man später noch sehen.
"Neonlicht, schimmerndes Neonlicht / Und wenn die Nacht anbricht / Ist diese Stadt aus Licht", heißt es so schön bei Kraftwerk. Und jetzt das: Energieeinsparverordnung. Ein sperriges Wort für eine Gegend wie diese. Eine, in die man sich eher aufmacht, um Regeln brechen zu sehen. Stromsparen? Unsexy. "Der Betrieb beleuchteter oder lichtemittierender Werbeanlagen ist von 22 Uhr bis 16 Uhr des Folgetages untersagt", steht in der Verordnung. Kann man befolgen. Man kann es aber auch darauf ankommen lassen. Der Barkeeper einer berüchtigten Szenekneipe lehnt sich über den Tresen. "Wenn die Polizei kommt, mache ich das Licht aus." Er lächelt angriffslustig. "Erst einmal sollen sie rüber zu Penny gehen, der leuchtet den ganzen Tag." Tatsächlich. Der Penny in Stripklubanmutung ist eine Schreireklame. "Rein-Raus" steht in Leuchtlettern über dem Eingang. Typisch Reeperbahn. Und etwas gestrig. Wenn schon Energiesparen, dann vielleicht hier.
Wer sich zur Amüsiermeile "Große Freiheit" aufmacht, kommt an Susis Show Bar vorbei, einem Striplokal, das damit wirbt, "das Schärfste zu sein, das Hamburg zu bieten hat". Doch die gelbe Neonröhrenfrau, die sich an der Fassade sonst an einer Stange verbiegt, leuchtet nicht. Und das schon vor 22 Uhr. "Eine Katastrophe ist das", sagt Koberer Slawek Klinko, der seit 30 Jahren Passanten mit mehr oder weniger originellen Sprüchen in die Bar hereinzulocken versucht. Man teste schon einmal, wie der Laden ohne Licht aussehe. Ein Mitarbeiter läuft mit dem Handy um das Gebäude herum und filmt. "Die Straßenlaterne gegenüber ist kaputt, wenn wir auch noch das Licht ausmachen, stoßen die Leute hier mit den Köpfen aneinander", sagt er. Ein wenig duster ist es schon. Eine Stirnlampe braucht man aber noch nicht.
Gegenüber auf dem Beatles-Platz sitzen drei Männer auf einer Treppe und schauen leicht bedröppelt vor sich hin. Nichts los heute. "Wir haben noch keine Frauen", bedauert Serhat. Er ist hier aufgewachsen, legt in einem Klub Hip-Hop auf. Heute Abend hat er frei. Er mag die Lichter des Lebens, meidet die Schattenseiten. Doch heute leuchtet nicht einmal Susi für ihn. Scheiße sei das. "Der Kiez muss leuchten", sagt er.
Kurz vor zehn. Countdown wie am Silvesterabend. Wird's gleich zappenduster? Von der Treppe aus können Serhat und seine Freunde die Große Freiheit überblicken, die ohne die Leuchtreklame von Susis Show Bar im Halbdunkeln liegt. Die Namen der Bars und Klubs sind mal mehr, mal weniger beleuchtet. Der Schriftzug über dem Nackttempel Dollhouse: schwarz. In einem kleineren Laden gegenüber wirbt ein blinkender Schriftzug für "Girls Girls Girls". Es kommt wohl auf die Größe an.
Um kurz nach Mitternacht vor der Davidwache. Ein Polizist steht mit einer Dönertüte an der Ampel, schlendert zum Revier. Wirkt jetzt nicht so, als sei man hier in Sachen Beleuchtungsverordnung aufgewühlt. Noch geht es gelassen zu auf der Reeperbahn. Ein paar Häuser weiter liegt das Klubhaus St. Pauli tatsächlich im Dunkeln, der große Monitor auf dem Spielbudenplatz ist auch ausgeschaltet. Partystimmung? Milde. Zwei Frauen in kurzen Kleidern kommen aus der Richtung gelaufen, gehen barfuß am Schmidts Tivoli vorbei, ihre High Heels in den Händen. Sie haben auf einer Firmenfeier getanzt, sind jetzt müde. Ob die Fassaden leuchten oder nicht, ist ihnen gerade herzlich egal. Angst im Dunkeln? Keine.
Jetzt noch einmal an Susis Show Bar vorbei. Susi tanzt wieder! Was ist da los? Klinko druckst herum. Seine Zähne blitzen auf. Man könne die Menschen ja nicht so im Dunkeln herumlaufen lassen. Und die Verordnung? Die betreffe ja eher die Industrie am Hafen. Ach so.
Weiter oben vor der Olivia Jones Bar steht eine Dragqueen auf 40 Zentimeter hohen Plateauschuhen, aus ihrer silbernen Rüstung wachsen Flügel heraus. In der Krone auf ihrem Kopf blinkt, fast schüchtern, eine rote Funzel auf. Passanten schauen zu ihr hoch, machen Fotos.
Egal, wie dunkel es hier ringsherum noch werden sollte: Irgendwo ist immer ein Licht.