Jan Söfjer

Reporter | Fotograf, Heilbronn

5 Abos und 5 Abonnenten
Artikel

Hang Loose

Das Cover der Zeitschrift "Pictorial California and the Pacific" von Juli 1930. Fotos: Courtesy Jim Heimann Collection / Taschen

Ein Buch zeigt, wie aus dem altpolynesischen Surfen ein Markt- und Kulturphänomen wurde.

Von Jan Söfjer

Im Jahr 1778 entdeckte James Cook mit der HMS Resolution und der HMS Discovery die Hawaii-Inseln. Schiffsarzt William Anderson staunte, als ihm bewusst wurde, dass jeder Eingeborene vom Bauern bis zum Häuptling mit dem „allergrößten Vergnügen" einer bis dato nicht bekannten Tätigkeit nachging: dem Surfen. Anderson notierte in sein Tagebuch: „Er begab sich so weit vom Ufer fort, bis er nahe der Stelle war, an der die Welle sich aufzubauen beginnt; und unter äußerst aufmerksamer Beobachtung ihrer ersten Regung paddelte er mit großer Schnelligkeit vor ihr her, bis sie ihn schließlich überragte und ausreichend Kraft erlangt hatte, um sein Kanu vor sich her zu tragen." Mit dem Kanu ist natürlich das noch unbekannte Surfbrett gemeint.

Sieben Kilo schwer

Der Taschen-Verlag hat einen Bildband veröffentlicht, der die gesamte Geschichte des Surfens abbildet - von Cook bis in die Gegenwart: „Surfing. 1778-2015". Das dreisprachige Buch (Englisch, Französisch, Deutsch) im Leinen-Hardcover vom Amerikaner Jim Heimann ist gewaltig: 40 Zentimeter hoch, 592 Hochglanz-Seiten dick und sieben Kilo schwer. Manche Surfboards sind leichter. Mehr als 900 Bilder illustrieren die über zwei Jahrhunderte Surfkultur. Von Strandbildern über Werbeplakate von Airlines mit Surfmotiven bis zu Modebildern.

Neben den Bildmotiven erzählen aber auch renommierte Surfjournalisten in sechs Kapiteln die Geschichte des Surfens. Während im Buch selber alle Texte auf Englisch sind, hat Taschen ein Begleitbuch beigelegt, das nur die Texte in Deutsch und Französisch enthält (jeweils 50 Seiten). Die Surfgeschichte ist so gut geschrieben und unterhaltsam, dass sie es Wert wäre, in einem Taschenbuch extra veröffentlicht zu werden. Denn zum einen ist das Buch aufgrund seiner Maße und seines Gewichtes extrem unhandlich, und zum anderen mit 150 Euro wirklich kein Schnäppchen - wenngleich es das Geld absolut Wert ist.

Die Autoren um Jim Heimann zeichnen nach, wie aus dem Zeitvertreib, der seine möglicherweise bis zu 4.000 Jahre alten Wurzeln auf Tahiti hat, ein globales Markt- und Kultursystem wurde. Dabei war es anfangs schlecht um das Surfen bestellt. Nach James Cook kamen christliche Missionare nach Hawaii und die hielten vom Surfen, das die Hawaiianer obendrein nackt betrieben, überhaupt nichts. Dazu kamen die von den Europäern eingeschleppten Seuchen, welche die Bevölkerung auf den Inseln drastisch dezimierten. Seine Renaissance erlebte das Surfen Anfang des 20. Jahrhunderts, als Hawaiis Tourismus sich entwickelte und das Surfen als Inbegriff von Südseeromantik und abenteuerlichem Zeitvertreib zum Symbol dieser Industrie wurde. Surfmotive prangten bald auf allem, was bedruckt werden konnte.

Die Entstehung des Surferlifestyles

Unterdessen wurde aus einem Zeitvertreib ein Lebensstil: „Einheimische junge Beachboys machten nichts anderes als Waikiki [ein Strand und Surfspot] zu surfen und vom Trinkgeld der Touristen zu leben. Abgebrannt und lässig wandten sie sich von den gesellschaftlichen Konventionen ab. Indem sie Nonkonformismus und Wellenreiten miteinander verbanden, schufen sie die Grundlage dessen, was später als Surferlifestyle bezeichnet werden sollte“, heißt es im Buch. Mit dem „Hang Loose“ hat er gar seinen eigenen Szene-Gruß. Dabei werden Daumen und kleiner Finger der Faust abgespreizt.

1907 segelte Jack London nach Hawaii, lernte das Surfen und schrieb einen Essay darüber. Es dauerte nicht lange, bis das Surfen Kalifornien erreichte. Bis Ende des Zweiten Weltkriegs war Surfen nur ein Hobby für eine Randgruppe. 1946 gab es in den ganzen USA gerade einmal rund 5.000 Surfer. Der Neoprenanzug war noch nicht erfunden und die Bretter waren schwere, meterlange Massivholzbohlen, die Monate des Übens brauchten, bis man damit surfen konnte.

Dann kam 1959 der Urknall des Surfsports: Der Film „Gidget“ (auf Deutsch: April entdeckt die Männer) lief in den Kinos an. Die Komödie über die Musterschülerin, die das Surferleben entdeckt, machte den Sport in den ganzen USA bekannt. Zwei Jahre später waren aus 5.000 Surfern 100.000 geworden! Der Boom traf auf eine im Krieg geborene Wohlstandsjugend und eine Surfindustrie, die seit über zehn Jahren herangewachsen war und in der gerade der Durchbruch in der Massenproduktion leichter Surfboards aus Polyurethanschaum stattgefunden hatte. Auch die Surfmode-Industrie wuchs und wuchs. Ende der 1960er-Jahre überschritten die Dollar-Umsätze die Milliardengrenze. Heute surfen geschätzt 20 Millionen Menschen.

Surfing. 1778-2015 - Jim Heimann, Taschen-Verlag - Hardcover, in Leinen gebunden, 592 Seiten, 150 Euro, mehrsprachige Ausgabe: Deutsch, Englisch, Französisch

Zum Original