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Als erster Afrikaner hat Francis Kéré den weltweit wichtigsten Architekturpreis gewonnen. Er lebt seit dem Studium in Berlin. Hier erzählt er, wie klimagerechtes Bauen geht - und warum China ihm keine Angst macht.
Ein Interview von Jan Petter
Der Architekt lebt seit dem Studium in Berlin. In seinem Altbaubüro in Kreuzberg sitzen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in einem großen Raum. An den Wänden hängen Urkunden, die Kéré als einen der 100 einflussreichsten Afrikaner ausweisen und seine Arbeit würdigen.
Zum Interview bittet Kéré auf selbstentworfene Stühle aus Baumarkt-Materialien. Dass er kürzlich nach Kollegen wie Norman Foster, Zaha Hadid oder Rem Koolhaas einen 100.000-US-Dollar-Preis gewonnen hat, lässt sich kaum erahnen.
SPIEGEL: Andere Preisträger haben gigantische Sportarenen oder Flughäfen gebaut. Würden solche Großprojekte Sie auch reizen?
Kéré: Warum nicht? Wir suchen bereits nach einem größeren Büro. Bislang arbeiten wir in sehr überschaubarem Rahmen, unsere Möbel sind selbst gemacht und von Ikea. Wir haben hier Leute aus 13 Ländern. Das ist eine tolle Mischung. Ich wüsste gern, ob es nicht noch größer geht. Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass es mich nicht reizt.
SPIEGEL: Nach Bildungs- und Kultureinrichtungen bauen und planen Sie inzwischen die Parlamente von Burkina Faso und Benin. Sind soziales und ökologisches Bauen bei dieser Projektgröße überhaupt noch möglich?
Kéré: Das ist eine Frage, die ich mir derzeit stelle. Letzten Endes hängt es meiner Ansicht nach nicht an der Größe, sondern am Auftraggeber. Nachhaltiges Bauen kostet, spart aber oft langfristig. Natürlich ist es mit Unsicherheiten verbunden, wenn man lokale Handwerker sucht und neues ausprobiert. Ich bin Pragmatiker. Ich sage, dass es nicht nur gut fürs Klima ist, sondern auch die einheimische Wirtschaft unterstützt, was ich plane. Eine Klimaanlage muss man aus China einkaufen. Eine passive Kühlung kann man mauern. Nicht selten sind meine Lösungen auch schöner. Ich hasse billige Fliesen. Bevor ich das einsetze, setze ich auf gefärbte Lehmwände. Wenn es wirklich der Wunsch ist, lässt sich auch im größeren Stil zu guten Bedingungen bauen.
SPIEGEL: Nachhaltigkeit und Klimafreundlichkeit werden inzwischen fast überall versprochen. Gleichzeitig ist offensichtlich, dass immer noch zu wenig passiert. Was heißt das für die Architektur?
Kéré: Wir Architekten und Stadtplaner sind abhängig von anderen. Dort, wo Politiker und Unternehmen nur Scheinlösungen wollen, wird es keine Nachhaltigkeit geben. Ohne Frage: Es gibt zu viel Greenwashing in unserer Zunft. Aber das liegt nicht nur an uns.
SPIEGEL: Es gibt ein Bild von Ihnen, das Sie noch als Student zeigt, wie Sie mit Einheimischen in Burkina Faso die Stabilität eines Dachgewölbes austesten. Aus diesem Projekt wurde die Grundschule in Gando, die heute als Grundstein für Ihre Karriere gilt. Wie kam es zu dieser Situation?
Kéré: Mein Vater war Dorfältester. Aber das bedeutete weniger, als man denkt. Er konnte gut Tabak und Hirse anbauen. Aber war sein Sohn deshalb ein guter Architekt? Das Misstrauen war damals riesig, ich selbst Neuling. Also beschloss ich, alles vorher mit den Menschen im Dorf zu testen. So sahen sie, dass es Hand und Fuß hatte. Bis heute gehe ich so vor, sofern es möglich ist. Viele Entwürfe zitieren Dinge, die die Menschen kennen, etwa den "Arbre à Palabres", den Palaver-Baum, an dem man sich traditionell trifft. Das schafft Vertrauen.
SPIEGEL: An Interesse für Afrika mangelt es nicht mehr, neben den westlichen Ländern forciert inzwischen auch China die wirtschaftliche Zusammenarbeit. Wie erleben Sie diese Entwicklung?
Kéré: Früher hätte ich wie die meisten gesagt: China betreibt eine neokoloniale Außenpolitik. Aber ist es wirklich so einfach? Der Westen hatte mehrere Jahrhunderte die Chance, uns zu helfen. Noch heute schaut ganz Afrika nach Europa und die USA. Alle wollen so sein, jede zweite Villa ist eine Kopie des Weißen Hauses. Doch was hat der Westen getan? Ich habe in Burkina Faso selbst erlebt, wie wir bedrängt wurden, das Wasser zu privatisieren. Wollen wir das? Die Chinesen machen vieles, dass man ebenfalls kritisieren kann. Sie bringen eigene Arbeiter mit, sie denken in Großprojekten. Natürlich geht es um Eigennutz. Aber die chinesische Politik der Nichteinmischung erscheint den Afrikanern wie ein Zeichen von Respekt. Ich verstehe, dass ihre Kredite für arme Länder willkommen sind.
SPIEGEL: In Ihrer Arbeit beziehen Sie sich immer wieder auf die Bedeutung der Gemeinschaft, den direkten Austausch verschiedener Menschen.
Kéré: Die Pandemie hat gezeigt, dass wir solche Räume benötigen. Die Menschen in den Städten wollen doch zusammenkommen, sie sehnen sich danach. Auch zur Erholung ist das wichtig. Aber solche Projekte haben es schwer.
SPIEGEL: Sie haben einmal gesagt, in Deutschland gelte das Wir-Gefühl nur als Kostenfaktor.
Kéré: Das ist die Wahrheit. Wir hatten Wettbewerbe, da wurden wir von allen Seiten für unsere soziale Architektur gelobt. Gewonnen hat dann der, der weniger Gemeinschaftsflächen einplante. Ich weine nichts nach. Aber dieses Denken führt in eine Sackgasse. Schauen Sie sich Stuttgart 21 an. Warum gab es so viel Protest? Die Menschen haben das Projekt nicht abgelehnt, weil sie den Architekten nicht mochten. Sie waren dagegen, weil sie übergangen und alte Bäume gefällt wurden. Die Leute wollen keinen weißen Elefanten mehr, sondern dass man mit ihnen kommuniziert. Im Zweifel sollte man Architektur zur Abstimmung stellen.
SPIEGEL: Sie arbeiten seit 20 Jahren in Berlin, einer Stadt, die sich mit den Siedlungsbauten von Bruno Taut und günstigem Wohnen einmal einen Namen machte. Heute explodieren die Mieten, architektonisch dominieren Investorenprojekte.
Kéré: Die Situation in Berlin ist unerträglich. Noch vor wenigen Jahren konnte ich leicht Wohnungen für Mitarbeiter finden, heute bekommen selbst Akademiker nichts. Wo sollen erst all die Menschen hin, die nicht so viel verdienen? Es muss etwas passieren. Früher waren es oft Industrielle, die moderne Siedlungen bauten, denken Sie an die Siemensstadt. Viele Gebäude aus dieser Zeit sind keine Schönheiten, aber sie wurden aus Ziegeln gebaut, einem Material aus der Region. Solche Ideen fehlen heute. Investoren und Politik sind sich zu nah, gleichzeitig gibt es zu viele Regeln. Wir benötigen keine neuen Kapitalanlagen, sondern Wohnraum, der Menschen zusammenbringt. Ich stelle mir Häuser vor, in denen Jüngere günstiger wohnen und dafür für ältere Nachbarn da sind. Wir brauchen mehr Miteinander, wir können nicht alles an den Staat delegieren. Auch hier kann Europa von Afrika noch lernen.