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Selbst in Bagdad nur mit Eskorte - Was den Wiederaufbau des Irak bremstEs herrscht wieder Aufbruchstimmung im Irak. Nachdem der IS die Infrastruktur weitgehend zerstört hat, soll sie wieder aufgebaut werden. Deutsche Mittelständler und Konzerne wie Siemens können helfen. Doch es gibt gewichtige Probleme, die sie hindern.
Fuad Mohammed Hussein steht im Berliner Haus der Deutschen Wirtschaft und schüttelt eifrig Hände. Die Männer und wenigen Frauen um den irakischen Finanzminister rufen „Salam aleikum" und „Shukran", sie tauschen Visitenkarten aus und diskutieren über die aktuelle Lage in Nahost. Mehr als 200 Teilnehmer sind zum fünften Irakisch-Deutschen Wirtschaftsforum in diesem Frühjahr gekommen: „Aufbruchsstimmung" ist die wohl am meisten genutzte Vokabel der Konferenz.
„Die Gefahr des Islamischen Staats ist beseitigt und der Irak konzentriert sich auf Wachstum und Wiederaufbau", wirbt Hussein. Deutschland sei jahrelang ein verlässlicher Partner des Iraks gewesen. Nun, da die Waffen ruhen, könnten die wirtschaftlichen Beziehungen wieder Fahrt aufnehmen. Iraks Ministerpräsident Adil Abd al-Mahdi trifft am Dienstag die deutsche Kanzlerin Angela Merkel zu vertraulichen Gesprächen.
Doch noch immer werden die wirtschaftlichen Beziehungen durch die Umstände in Bagdad ausgebremst. Zu den größten Problemen zählt nach wie vor die Sicherheit, berichtet Tobias Nüßle, der in Bagdad die Niederlassung des deutschen Unternehmens Veridos leitet, hinter dem die Bundesdruckerei und Giesecke + Devrient aus München stehen.
Seine Leute bewegen sich selbst in der Hauptstadt nur mit Personenschutz und Eskorte. Zwar behauptet Florian Amereller, Vorstandsmitglied der Arabisch-Deutschen Handelskammer Ghorfa: „Der Irak ist sicher." Und auch Hussein verspricht: „Die Investoren haben nichts zu befürchten."
Das Auswärtige Amt schätzt die Lage aber anders ein. „Versprengte Kampfverbände und Anschläge aus dem Untergrund stellen weiterhin eine Gefahr dar. Es besteht ein hohes Maß an krimineller Gewalt und das Risiko von Entführungen", heißt es in der aktuellen Reisewarnung. Zahlreiche Gebiete seien weiterhin vermint, das deutsche Außenministerium rät selbst für den Großraum Bagdad zur dringenden Ausreise.
Der Irak ist nicht sicherAuch Nüßle gibt zu, dass das Land bis heute nicht sicher ist. Er arbeitet mit Unterbrechung seit 2013 im Irak. Im Auftrag der irakischen Regierung hat er in Bagdad eine Fabrik für Reisepässe und elektronische Identifikationskarten aufgebaut - unterbrochen vom Krieg gegen den IS. Als die Terrormiliz Mitte 2014 in Richtung Hauptstadt vorrückte, zogen die Veridos-Mitarbeiter nach Dubai um.
„Als jedoch klar war, dass der IS Bagdad nicht einnehmen wird, kehrten wir zurück. Die Iraker wussten das sehr zu schätzen, bis heute hat Veridos dadurch einen guten Ruf im Land", sagt Nüßle. Seit dem Ende der Kämpfe habe sich in der Stadt vieles verbessert.
Manager und Unternehmer sehen großes Potenzial im Wiederaufbau des Irak. Der Internationale Währungsfonds sagt für das laufende Jahr ein Wirtschaftswachstum von 6,5 Prozent voraus. Der Bedarf an Gütern und Know-how ist riesig: Große Landesteile haben keine zuverlässige Strom- und Wasserversorgung. Zahllose Gebäude und Straßen, vor allem im Norden, liegen in Trümmern.
In der für die Erdölförderung wichtigsten Stadt Basra im Süden ist die Trinkwasserversorgung derart schlecht, dass durch verschmutztes Wasser zuletzt die Cholera ausgebrochen ist. Die Schäden gehen nicht nur auf den Krieg mit dem IS zurück, sondern sie stammen zum Teil noch aus den beiden Golfkriegen.
Durch den Krieg wurden viele Großprojekte auf Eis gelegtAuch während der US-Besatzung ab 2003 wurden zahlreiche Brücken, Fabriken, Staudämme, Elektrizitäts- und Wasserwerke zerstört. „Der Irak hat schwierige Jahre hinter sich", fasst Finanzminister Hussein zusammen. Viele Großprojekte seien durch den Krieg zum Erliegen gekommen und ausländische Investoren aus dem Land geflohen.
Jetzt sind Unternehmen wie SAP oder Siemens zurück. Sie buhlen um die anstehenden Großprojekte. Der Münchner Konzern verhandelt schon seit Monaten mit der Regierung über den Ausbau des Stromnetzes und konkurriert dabei mit General Electric aus den USA. Es geht um einen Auftrag, dessen Wert auf bis zu 15 Milliarden Dollar geschätzt wird. Und die Zeichen stehen gut. So unterzeichneten irakische Regierungsvertreter und Siemens-Chef Joe Kaeser am Dienstag eine „Umsetzungsvereinbarung" zu einer „Roadmap" für eine umfassende Wiederherstellung des Energiesektors.
Inzwischen stehen deutsche Geschäftsleute im Irak auch immer öfter im Wettbewerb mit chinesischen Firmen, die längst nicht mehr nur an den Ölgeschäften interessiert sind, wie ein Unternehmer aus Basra beim Forum berichtet.
Das Land hält nach Schätzung von BP die viertgrößten Erdölreserven der Welt und bis 2022 soll die Fördermenge von fünf auf sieben Millionen Barrel am Tag steigen. Ölförderung ist nach wie vor der mit Abstand wichtigste Wirtschaftszweig des Landes, aber auch der Ausbau des Stromnetzes und andere Infrastrukturprojekte versprechen Milliarden für ausländische Investoren.
Korruption erschwert Geschäfte im IrakEin Thema, über das kaum ein Wirtschaftsvertreter sprechen möchte, ist die grassierende Korruption im Irak. Auf dem Korruptionsindex von Transparency International rangiert das Land auf einem beschämenden Platz 168 von 180. Immer wieder kommt es deshalb zu Aufständen wütender Demonstranten.
Cyrill Nunn, deutscher Botschafter in Bagdad, spricht das Thema auf dem Forum offen an: Für eine erfolgreiche wirtschaftliche Zusammenarbeit beider Länder sei eines unabdingbar: „Die Korruption im Irak muss eliminiert werden."
Manager Nüßle berichtet, wie diese Kultur die Arbeit im Land erschwert. Geschäfte seien stark personenabhängig, sagt er, die wichtigste Voraussetzung große Geduld. Nicht nur der Krieg hat sein Projekt verzögert, sondern auch das Geschäftsgebaren irakischer Partner. Vertragliche Bindungen und Terminzusagen hätten viele nicht ganz so genau genommen, klagt Nüßle. „Von der Idee bis hin zur Tat ist es oft ein weiter Weg. Man muss sehr flexibel sein."
Und auch die Suche nach Fachkräften ist im Irak sehr schwer. „Ein Thema, das meistens leider nur eine Randnotiz ist, ist die Bildung im Irak", sagt Volker Hagmann, der seit den 1970er-Jahren immer wieder im Irak gearbeitet hat. Zuletzt arbeitete er als Geschäftsführer von Lucas-Nülle, einem Mittelständler aus Kerpen, der im Nahen Osten technische Schulungen und Weiterbildungen durchführt.
Bis vor drei Jahren war Lucas-Nülle noch in der kurdischen Region um Erbil tätig. Dann seien die Geschäfte aber abgebrochen, da die Regierung in Bagdad die Mittel für die Kurden gestrichen habe. „Trotzdem investierten wir mit einem irakischen Partnerunternehmen weiter in den Markt" sagt Hagmann.
Bildungssystem des Irak ist schlechter gewordenUm den Bildungssektor war es bis Mitte der 80er-Jahre im Irak deutlich besser bestellt. Damals fanden in Bagdad internationale „Education-Fairs" statt. „Der Irak war bekannt für sein hohes Ausbildungsniveau", erinnert sich der Rheinländer. Ingenieure seien über die Landesgrenzen hinaus gefragt gewesen. Sami al-Araji, Leiter der irakischen Investitionskommission (NIC), bestätigt das: „In den 70er- und 80er-Jahren hatte der Irak das beste Bildungssystem in der ganzen Region."
Heute hingegen bereite eine hohe Analphabeten-Quote Sorge und selbst viele Akademiker fänden keine Jobs. Im UN-Bildungsindex liegt das Land auf Platz 120 von 187. Al Araji sieht deshalb einen Bedarf von 10.000 neuen Schulen. „Der Irak braucht eine Rückkehr zur alten Stärke des Bildungssystems", meint der NIC-Chef, der in den USA studiert hat, und deutet an, dass die Regierung bald größere Budgets für die Bildung freigeben wolle.
Für Lucas-Nülle würden sich die Investitionen dann auszahlen. Hagmann hat jedoch eine Befürchtung: „Es ist immer noch möglich, dass der Irak den zahlreichen Billigangeboten aus China den Vorrang vor deutscher Qualität und Know-how gibt."
Felix Neugart, Delegierter der Deutschen Wirtschaft für den Irak, bremst denn auch die Euphorie. Noch müsse die irakische Regierung einiges verbessern, um mehr ausländisches Kapital ins Land zu bringen. „Die Visum-Vergabe dauert sehr lange, auch auf allerlei Genehmigungen müssen deutsche Unternehmen zu lange warten", sagt er.
Die jetzige Aufbruchsstimmung sei verheißungsvoll, sagt der Expat, der für die Außenhandelskammer in Dubai sitzt und fließend arabisch spricht. Allerdings hat Neugart genau diese Stimmung schon einmal zuvor erlebt: „Nach dem Sturz Saddam Husseins 2003 herrschte Aufbruchsstimmung in der deutschen Wirtschaft, ähnlich wie heute." Messen mit dem Titel „Rebuild Iraq" wurden ausgetragen. Es folgten Krieg und Besatzung, der Aufstieg des IS und die Zerstörung der Infrastruktur.