Jan Kerckhoff

Wissenschaftsjournalist, Autor, Filmemacher, Regisseur, Reporter, München

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Mountainbike, Wandern, Natur - miteinander?

Konflikte: Gezählt weniger als gefühlt

Was ist dran an Berichten über Streit oder Tätlichkeiten zwischen Radfahrern und Wanderern? Für Mathias Marschner ist eine Ursache von Streitigkeiten, die Zunahme aller Nutzer während der Corona-Pandemie: "Es ist einfach unfassbar voll." Daran seien aber nicht allein Mountainbiker Schuld. Wirkliche Konflikte habe er aber bisher nicht erlebt. Marschner sieht die Entwicklung in jüngster Zeit sogar positiv: "Es wird viel mehr miteinander geredet als noch vor fünf Jahren." Für ihn bietet das gute Chancen, Konflikte zu lösen, "die auf Fakten basieren und nicht auf Emotionen."

Bestätigt wird er von wissenschaftlichen Studien - etwa von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) in Freiburg, die in ihrer Studie über "Walderholung" in Schwarzwald zum Ergebnis kommt, dass Fußgänger und Radfahrer überwiegend "eine angenehme und konfliktfreie Zeit" im Wald erleben. Nur sieben Prozent der rund 3.000 Befragten fühlen sich von anderen gestört.

Auch dem Deutschen Wanderverband zufolge hatten die meisten Wanderer selten oder nie Probleme mit anderen "Naturnutzenden". Ein erhöhtes Konfliktpotenzial zu Stoßzeiten stellt der Österreichische Alpenverein (ÖAV) fest. In seiner Umfrage geben über die Hälfte der Befragten aber an, dass Mountainbiker bei Begegnungen freundlich, rücksichtsvoll und mit angepasster Geschwindigkeit unterwegs waren.

Umweltschäden: Kaum Unterschied zwischen Wandern und Biken

Andreas Weiß vom Biosphärenpark Wienerwald berichtet, dass durch die Corona-Krise viele "Menschen, die sich nicht gut auskennen, in die Naherholungsräume gegangen sind und sie per Mountainbike erkundet haben." Inzwischen habe sich das aber wieder beruhigt. Ihr Lenkungskonzept würde funktionieren. Das heißt durch das Angebot legaler Trails konnten Probleme entschärft werden. Die Mountainbiker sind im Wienerwald weniger ein Problem für die Natur: "Da wo es kanalisiert ist, kann man das in den Griff bekommen. Mit Fahrverboten haben wir schlechte Erfahrungen gemacht, das machen wir nicht mehr."

Statt mit der Natur gebe es eher Konflikte mit der Forstwirtschaft im Winter, wenn sich Biker nicht an die befristeten Streckensperrungen, etwa bei Baumfällarbeiten, halten.

Volker Audorff, Sportökologe an der Uni Bayreuth, sieht am Ochsenkopf im Fichtelgebirge zwar in Einzelfällen Schäden durch Mountainbiker an Wurzeln oder am Boden. Insgesamt erkennt der Wissenschaftler hier aber nur geringe Unterschiede zwischen Radlern, Reitern und Fußgängern.

Ohnehin entsteht der größte Eingriff in die Natur durch das Anlegen von Wegen, gibt das Mountainbike Tourismusforum Deutschland zu bedenken. Danach sei die Erosion beim Wandern und Mountainbiken etwa gleich, wenn Biker beim Bremsen nicht unnötig Erosion verursachen. Zu einer "sauberen Fahrtechnik" rufen auch der DAV sowie die DIMB auf - und lehren das in ihren MTB-Kursen.

Dass jeder auf den Wegen bleibt, scheint ohnehin Konsens. Die Deutsche Initiative Mountainbike (DIMB) und der DAV rufen einhellig auf, nicht querfeldein zu fahren. Die DIMB betont, dass Mountainbiker generell nicht querfeldein fahren, sondern bevorzugt schmale Pfade suchen.

Mehr Rücksicht auf Tiere

Im Fichtelgebirge beobachtet Volker Audorff für seine Studie, dass die Tiere ihren Rhythmus an die menschlichen Waldbesucher anpassen und auf Dämmerung und Nacht ausweichen. Er empfiehlt, zu diesen Zeiten nicht zu fahren und bekommt Unterstützung von DIMB und DAV. Der fordert von allen Sportlern, die in der Natur unterwegs sind, bei Dämmerung und nachts auf Aktivitäten zu verzichten.

Lieber als ein generelles Fahrverbot zum Schutz der Tiere hätte Audorff solide Daten: Wo fahren wie viele Mountainbiker, wo halten sich Wildtiere auf. "Dann kann man mit verschiedenen Interessensgruppe gute Lösungen aushandeln", sagt der Wissenschaftler. Dazu gehört, gute Wegstrecken fürs Biken ausweisen.

Wie geht es besser?

Im Idealfall werden beim Freigeben oder beim Bau von Mountainbike-Strecken die Interessen aller Beteiligten gewahrt: Von Wanderern und Bergsteigern, Mountainbikern (die wiederum ganz unterschiedliche Vorlieben an die Strecken haben), Land- und Forstwirten, Jägern, Touristikern und - nicht zuletzt - die der Natur. Eine Reihe von Beispielen, wo das ganz gut funktioniert, gibt es bereits.

Graubünden: Rücksicht und Angebote

"Koexistenz" heißt das Zauberwort im schweizerischen Graubünden: Die Wege, so Marc Woodtli von "Graubünden Ferien" sind grundsätzlich für alle da und werden "fair" und gemeinsam genutzt. Das funktioniere auch gut, nur in Einzelfällen "habe man Probleme und müsse sich das anschauen" und nachbessern. Schilder weisen darauf hin, dass Radfahrer und Wanderer hier gemeinsam unterwegs sind. "Begegnungskonflikte" werden so unwahrscheinlicher, weil jeder weiß: Der andere darf auch hier sein - niemand muss sich über Regelverstöße ärgern. Rücksichtnahme ist oberstes Gebot.

Zusätzlich werden die Benutzergruppen gezielt gelenkt: durch attraktive Angebote dort, wo Wanderer und Mountainbiker besser gesondert unterwegs sein sollten. So werden z. B. Downhillstrecken eigens für Biker ausgewiesen. Ein Angebot, das vom Großteil der Radfahrenden angenommen wird. Oder es werden Ladestation aufgestellt, so Marc Woodtli, wo man E-Biker haben wolle und eben nicht, wo man sie nicht haben wolle. Die große Masse folge dem "und so habe ich die meisten Probleme gelöst." Nach wie vor gebe es zwar immer wieder Probleme, vor allem an Hotspots, wo zuviele Menschen zusammenkommen: "Aber wenn man ein Konzept hat, dann kann man schnell reagieren, Massnahmen ergreifen und so die Hotspots entlasten."

Wienerwald: Gute Trails sind effektiver Naturschutz

Nur wenige Kilometer vom Ballungsraum Wien entfernt können Biker ganz legal Trails fahren. Der Trail- und Konzept-Entwickler Alexander Arpaci hat die Beteiligten im Biosphärenpark Wienerwald an einen Tisch gebracht. In dem Schutzgebiet mit vielen seltenen Pflanzen- und Tierarten ist Harald Brenner für den Naturschutz verantwortlich. Gute, für Biker attraktive Trails zerstören die Natur seiner Erfahrung nach nicht, sondern schützen sie: "Unser Ansatz ist, legale Angebote zu schaffen, um ökologisch sensible Gebiete zu entlasten", sagt der Forstwirt.

Manche Wege sind für Biker gesperrt, manche für Wanderer und manche werden gemeinsam genutzt. So wurden im Wienerwald 1.200 Kilometer Trails geschaffen - mit ganz verschiedenen Schwierigkeitsstufen. Im Gegenzug sind in den empfindlichen Kernzonen weder Fußgänger noch Radfahrer erwünscht. Noch hält sich nicht jeder an die Verbotsschilder, noch ist nicht alles perfekt im Wienerwald.

Aber die Beispiele zeigen: Gut gemachte Wegekonzepte funktionieren, reduzieren Konflikte, schützen die Natur und sind besser als Verbote.

Allgäu: Corona hat Verhandlungen ins Stocken gebracht

Benjamin Trotter vom DAV versucht, im Allgäu Trails fürs Mountainbiken künftig ausweisen zu können. Schon seit drei Jahren verhandelt er mit Bikern und Grundstücksbesitzern. Wegen Corona, so Trotter sei die Sache ins Stocken geraten, aber schon bald soll es hier vorangehen. Noch würden von Grundstücksbesitzern Probleme gesehen, was die Instandhaltung der Wege und was Haftungsfragen betrifft. Hier, so Trotter, fehle es noch an Aufklärung, aber es gehe jetzt in die richtige Richtung.

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