Erinnert sich jemand an Neymar Jr.? Der brasilianische Stürmer hatte sich im Viertelfinale der Fußball-WM schwer verletzt. Diagnose Wirbelbruch, das ging weltweit durch alle Medien und natürlich auch auf die Facebookseite der Stuttgarter Zeitung - mit folgender Anmoderation: „Für Neymar Jr. tut es uns Leid! Aber die Chancen der DFB-Elf müsste das doch deutlich erhöhen . . ."
Eine repräsentative Auswahl der Reaktionen: „Bin schockiert, dass eine angeblich seriöse Zeitung so ein Kommentar schreibt." - „Was für ein erbärmlicher, unmoralischer Kommentar dieser Zeitung. Schämt euch!!!" - „Einfach unsportlich. So etwas zu denken und dann auch noch zu schreiben!"
Was sagt uns das? Dass der Medienbetrieb zynisch macht, vielleicht, den Post habe ich, StZ-Onlineredakteur, selbst geschrieben. Das Beispiel zeigt auch, dass Facebooknutzer sich im digitalen Raum von ihrer moralisch besten Seite präsentieren. Der Blick aus größerer Distanz wird zeigen, dass auf und dank Facebook neue rote Linien in den Diskussionen über Politik und Gesellschaft gezogen werden .
Stammtischgeschwätz? Ja, aber mehr als dasMan könnte Facebook-Diskussionen rundheraus als Stammtischgeschwätz abtun, das jetzt halt für alle nachlesbar irgendwo im Internet steht. Doch wir reden über ein Netzwerk, in dem hierzulande laut der aktuellen ARD/ZDF-Onlinestudie 14- bis 29-Jährige mehr als ein Drittel ihrer gesamten Zeit im Internet zubringen; vier von zehn Nutzern über 50 Jahre loggen sich täglich ein. Der Arabische Frühling nahm hier seinen Anfang. Auch aus diesem Grund hofften viele, dass Facebook hierzulande Meinungsfreiheit und politische Diskussionskultur voranbringen würde.
Die Hoffnung hat sich nicht erfüllt. Facebook ist, zumindest in der westlichen Welt, ganz überwiegend kein Forum für politische Debatten, sondern im Gegenteil eine Art digitales Lagerfeuer, das bestehende Meinungen nur verstärkt.