Stuttgart - Böse Buben muss man beim Stuttgarter Konzert des Rappers Haftbefehl im LKA lange suchen. Die benachteiligte, verrohte Jugend, die auf die Hassverse steht: sie ist nicht gekommen. Aber man redet über sie. „Die Leute verstehen den deutschen Straßen-Rap, sie sind damit aggressiver geworden, ich sehe es ja in Cannstatt", sagt Marcel, 28, draußen vor der Tür. Sein Kumpel Almin widerspricht: „Wo hat's denn hier in Stuttgart ein Ghetto?" Und „Hafti", der sei eh nicht mehr so hart drauf wie in seiner Anfangszeit.
Trotzdem sind der in Offenbach aufgewachsene kurdische Rapper Aykut Anhan alias Haftbefehl und seine Entourage an diesem Abend die Einzigen im LKA, denen man nachts nicht alleine begegnen möchte. Ihr Äußeres schreckt ab: Bodybuilder-Typen, stechender Blick, dicke Hose. Denen nimmt man das „Gangsta" in der Berufsbezeichnung ab, „von denen kannst du alles kaufen", vermutet ein Besucher.
Gangsta-Rap kommt an. Als Rapper Kurdo neulich auf Flyern mit Kalaschnikow für eine Autogrammstunde warb, drängten sich gut tausend Jugendliche im Stuttgarter Einkaufszentrum Milaneo. Man kann dieses Jugendphänomen wegen der martialischen Optik als pädagogisch fragwürdig ablehnen. Man kann aber auch fragen: Was macht für die Hörer den Reiz der Kurdos und Haftis dieser Welt aus? Was haben uns diese Rapper zu sagen?
Ortswechsel. Matthias Mettmann von der Konzertfirma Chimperator Live veranstaltet seit 2008 einschlägige Konzerte, mehr als zwei Dutzend davon finden in diesen Wochen unter seiner Ägide in Stuttgart statt, von harmlos bis Haftbefehl ist alles dabei, meist ausverkauft. Warum ist Rap so beliebt? Der 31-Jährige steht im zugigen Foyer der Wagenhallen und steckt sich eine an. „Schau hin, man sieht den Besuchern nicht an, auf was für einer Art Konzert sie sind." An diesem Abend sind die Leute für Prinz Porno gekommen, einen gemäßigten Gangsta-Rapper aus Berlin. Der trägt dasselbe Outfit wie seine Anhänger: Sweatshirt, enge Jeans und Strickmütze, Turnschuhe, dazu gerne Rucksack oder Turnbeutel. Könnte auch das Publikum eines alternativen Gitarrenkonzerts sein.
Die Zeiten sind vorbei, da man Hip-Hop-Fans an Schlabberpulli und Richtung Kniekehle drängendem Hosenbund erkannte. Mettmanns These: Genregrenzen lösen sich auf, bei der Musik von Casper, Cro oder Marteria kann man zwischen Hip-Hop und Pop nicht mehr trennen. „Hip-Hop ist die neue Volksmusik", schrieb der „Spiegel" im Sommer. Deutschsprachiger Straßen-Rap ist ein Teil davon.
Im Hauptraum der Wagenhallen steht mit Prinz Porno so ein neuer Volksmusiker auf der Bühne. Der 35-Jährige hat mit seinem Album „pp=mc²" am Abend des Konzerts Helene Fischer von Platz eins der Albumcharts verdrängt. Der 35-Jährige heißt bürgerlich Friedrich Kautz, Künstlername eigentlich Prinz Pi; für das aktuelle Album hat er sein Alter Ego aus vergangenen Sprayerzeiten hervorgeholt - Prinz Porno klingt böser. Seinen Charterfolg hat der Rapper „ganz ohne Interviews, teure Videos oder Marketingkampagnen", verkündet er via Facebook. Auch das ist Teil des Phänomens: Rapper werden im Internet zu Stars und kommen dann ins Radio oder in die Zeitung - früher lief das andersherum.
Zum Original