Stuttgart - Am Anfang stehen die Anzeigen bei Facebook. Flirtseiten wollen meine Aufmerksamkeit, obwohl ich seit Jahren mit meiner Freundin zusammenlebe. Kolleginnen, die definitiv nicht unter Gewichtsproblemen leiden, sehen Abnehmtipps. Und noch Wochen, nachdem ich den Flug nach New York gebucht habe, zeigt man mir die aktuellen Flugpreise Richtung JFK International.
Das mit den plumpen Anzeigen ist nur eine harmlose Anekdote in dem Bemühen, die Durchleuchtungsmaschine Internet zu beschreiben. Es ist eigentlich egal, dass irgendein Facebook-Computer ein falsches Bild von mir hat. Wenn aber, sagen wir, meine Versicherung meine Daten falsch interpretiert und meine Police teurer wird, schmunzle ich nicht mehr.
Ich will also wissen, durch welchen Fleischwolf meine Daten gedreht werden. Die Suche führt mich ins Kleingedruckte der AGBs und Datenschutzerklärungen und in seitenlange Listen von Dingen, die ich angeblich interessant finde. Und zu Amazon. In den Anfangstagen des Massenmediums Internet redeten alle über die erstaunliche Funktion des Online-Versandhändlers. Dem freundlichen Hinweis „Das könnte Ihnen auch gefallen" folgten schon Ende der Neunziger ziemlich passende Kaufempfehlungen. Das hat Kunden Angst gemacht. So gut kennt mich Amazon? Wie machen die das?
Algorithmen werden als Geschäftsgeheimnis gehütetDie Antwort: mit dem, was ich auf der Amazon-Website tue - was ich bestelle, welche Produkte ich mir wie lange ansehe, an welche Adresse die Sendung geht. Es gibt noch „andere Quellen", so Amazon: Auskunfteien wie die Schufa oder mein Surfverhalten auf Seiten, die mit der Amazon-Tochter Alexa Internet arbeiten.
Der Gründungslegende nach erklärt das erste über Amazon verkaufte Buch, wie man menschliches Denken in Computermodellen abbildet, in sogenannten Algorithmen. Das sind Rechenmuster, die Daten eine Struktur geben. Mit den richtigen Algorithmen machen Facebook, Google, Amazon und all die anderen Internetriesen ihre Milliarden. Sie sind der Kern ihres Geschäftsmodells.
Welche Algorithmen bestimmen, was mir laut Amazon „auch gefallen" könnte? Ein kurzer Anruf in der Pressestelle. „Algorithmen, das ist ein Bereich, zu dem ich nichts sagen kann", erklärt mir freundlich, aber bestimmt ein Amazon-Sprecher. Wie Amazon beispielsweise Produktempfehlungen für seine Kunden errechne, sei Betriebsgeheimnis. Ich sei übrigens der Erste, der so etwas wissen wolle - den meisten Kunden würde die Datenschutzerklärung reichen. Doch auch beim zweiten Lesen dieser seitenlangen Aufzählung verstehe ich bloß „Flash-Cookie-Nummer" und „standortbezogene Dienste". Und die Liste der von Amazon verarbeiteten Kundendaten ist so lang, dass mir beim Lesen schwindlig wird.
Amazon verdient sein Geld mit Waren - und mit meinem Traffic. Foto: AP
Je mehr Daten über mich vorliegen, umso besser. Amazon hat das früh erkannt. Bereits 1999 übernahm der Onlinehändler den Google-Konkurrenten Alexa Internet. Der verspricht seinen Kunden unter anderem, Geschlecht, Bildungsstatus, Wohnort, Alter, Einkommen und die Ethnie von Besuchern einer Website zu kennen. Und er weiß, ob die Besucher Kinder haben.
Ich will herausfinden, welche Firmen mich beim Surfen im Netz durchleuchten und installiere die Browser-Erweiterung Ghostery. Auf manchen Seiten sind es mehr als zwei Dutzend, neben Alexa, Google und Facebook auch Firmen, von denen ich noch nie gehört habe: Criteo, Doubleclick, Plista. Sie alle versprechen Werbetreibenden, die Zielgruppe für ihre Anzeigen genau festlegen zu können. Die Idee: zielgenaue Werbung zu schalten ist effizienter als auf die breite Masse zu zielen. Deshalb sammeln Dienstleister Daten und sortieren mit Algorithmen Menschen in Schubladen ein: Alter, Geschlecht, Vorlieben. Wenn zehn meiner engsten Freunde den VfB Stuttgart toll finden, bin ich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch VfB-Fan. Denken die Dienstleister. Denken die Werbetreibenden.