ZEIT ONLINE: Herr Biedroń, Umfragen zeigen Sie regelmäßig als einen der beliebtesten Politiker Polens. 91 Prozent der Bürger Ihrer Stadt unterstützten Ihre Politik. Und das im erzkatholischen als bekennender Schwuler! Wie kommt das?
Biedroń: Ich will mich nicht selbst loben, aber ich glaube, dass ich zeige, dass Politik anders gemacht werden kann als bisher. Mir hat sehr gut gefallen, als Hillary Clinton gesagt hatte, dass sie eine Politik machen wolle, bei der niemand zurückgelassen wird. Das versuche ich in meiner Stadt Słupsk umzusetzen.
ZEIT ONLINE: Wie sieht eine solche Stadtpolitik aus?
Biedroń: Das sind kleine, aber wirksame Schritte: Wir wollen zum Beispiel keine Bäume mehr roden, weil die Menschen unter dem hässlichen Stadtbild leiden. Anstelle von breiten Schnellstraßen haben wir beschlossen, Fahrradwege auszubauen. Wir wollen nicht Wasser aus anderen Regionen herschaffen, sondern die Wasserqualität vor Ort erhöhen, sodass die Menschen Leitungswasser trinken können. Ich glaube, dass man so die Zustimmung über Parteigrenzen hinweg erreichen kann.
Robert Biedroń
Robert Biedroń ist einer der beliebtesten Oppositionspolitiker und einer der bekanntesten bekennenden Homosexuellen Polens. Biedroń wurde 1976 in einem Dorf im Karpatenvorland geboren. Nach dem Abitur studierte er Politikwissenschaft in Olsztyn und Wien. 1998 schloss er sich der Vorgängerpartei des linken Sojusz Lewicy Demokratycznej (SLD) an. Dort setzt er sich für die Rechte der LGTBQ-Community ein und war zeitgleich als Verleger und Journalist tätig. Für die progressive Partei Ruch Palikota wurde er 2005 in den polnischen Sejm gewählt. Seit 2014 ist er Bürgermeister der nordpolnischen Stadt Słupsk. 2014 wurde Biedroń vom Wochenmagazin Polityka zum "Abgeordneten des Jahres" gewählt. Er lebt zusammen mit seinem Lebensgefährten, dem Rechtswissenschaftler Krzysztof Śmiszek, in Słupsk.
ZEIT ONLINE: Kürzlich sagten Sie dem polnischen , man müsse der Regierung den Mittelfinger zeigen. Was meinten Sie damit?
Biedroń: Ich fordere meine Mitmenschen dazu auf, gegen Homophobie aufzustehen. Die Regierung versucht, die LGTBQ-Community in Polen systematisch zu demütigen und einzuschüchtern. Unsere Reaktion darauf sollte mutig sein.
ZEIT ONLINE: Hat sich das gesellschaftliche Klima für Schwule und Lesben verändert, seitdem die Recht- und Gerechtigkeitspartei () vor 17 Monaten an die Macht kam?
Biedroń: Ja, die PiS schürt gezielt ein schwulenfeindliches Klima. Die Regierung spielt absichtlich mit Stereotypen und gesellschaftlichen Feindbildern. Das können Flüchtlinge, aber auch Homosexuelle sein.
ZEIT ONLINE: Haben Sie dafür konkrete Beispiele?
Biedroń: Es gibt in Regierungskreisen Listen von Dozenten, die an Universitäten Gendertheorien oder Queer Studies unterrichten. Sie werden beobachtet. Solche Aktionen verschärften nur bestehende Ressentiments.
ZEIT ONLINE: Wie kann sich das ändern?
Biedroń: Vieles beginnt schon in der Rechtsprechung. Es gibt in Polen kein Recht auf eingetragene Lebenspartnerschaft; keinen Paragraf im Strafgesetzbuch, der das Individuum vor homo- oder transphob motivierten Straftaten schützt, und es gibt kein Antidiskriminierungsrecht. Darüber hinaus brauchen wir eine Rechtsprechung, die Hassbotschaften sanktioniert. Wir haben all das nicht, was in Deutschland gang und gäbe ist. Polen ist eine Art Freiluftmuseum, in dem man beobachten kann, wie Homophobie in Europa früher ausgesehen hat.
ZEIT ONLINE: Wie schürt die Regierung Homophobie?
Biedroń: Einerseits wird offenkundig beleidigt, das baut Niedertracht auf. Die PiS-Abgeordnete Krystyna Pawłowicz etwa sagte, dass Homosexuelle gesellschaftlich nutzlos seien. Zudem gibt es einen gezielten rhetorischen Kampf gegen Organisationen, die sich für Minderheitenschutz einsetzen. Ein beliebtes Argument gegen sie: Sie würden aus dem Ausland finanziert und fremdgesteuert, etwa aus Deutschland.
ZEIT ONLINE: Ihre Büros wurden beschmiert, Sie selbst mehrfach körperlich angegriffen. Was macht das mit einem?
Biedroń: Ich fühle mich heute nicht eingeschüchtert - und denke mir: Jetzt erst recht. Aber ich bin in einer anderen Situation: Als Bürgermeister bin ich unabhängiger, komme mehr ins Gespräch mit Menschen. Aber natürlich kann ich nicht ausschließen, den falschen Menschen nachts auf der Straße zu begegnen. In den regimetreuen Medien werden Falschmeldungen über mich verbreitet, was die Wut mancher auf mich nur vergrößert.