Jakob Vicari

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Heizung auf Rädern

Heinz-Werner Etzkorn, Erfinder des Riesen-Knickkissens (Bild: Enver Hirsch)

Wer kalte Finger im Winter kennt, schätzt die Wärme der scheinbar magischen Knickkissen in der Hosentasche. Das Prinzip dahinter ist einfach - und brachte den Physiker Heinz-Werner Etzkorn und zwei Freunde auf eine großartige Idee.

Angler, Jäger und Fußballfreunde freuen sich im Winter über ein Knick-Wärmekissen in der Tasche, dass bei Bedarf klammen Fingern wohlig einheizt. Hätte man ein Knickkissen so groß wie ein Lastwagen, könnte man damit sogar ein Schwimmbad heizen - das war der Gedanke, auf den drei Männer im Jahr 2007 kamen. Sie waren überzeugt von ihrer Idee und gründeten Latherm, eine Firma, die Wärme von A nach B bringt und inzwischen tatsächlich unter anderem ein Schwimmbad nach demselben Prinzip aufheizt wie ein Knickkissen die Finger in der Hosentasche.

Einer der drei Firmengründer ist der Physiker Heinz-Werner Etzkorn, 65. Er wusste, woher die Wärme kommen sollte: Von Fabriken und Deponien, die zu viel davon haben. Ihre Abwärme sollte Schwimmbädern, Schulen und Krankenhäusern zugute kommen. "Es gibt genug Wärmeerzeuger es gäbe genug Wärmeabnehmer, aber es gibt eben nicht überall ein Fernwärmenetz, dass Lieferanten und Abnehmer verbindet", sagt Etzkorn.

Was hält Wärme länger als Wasser? Nach zwei Jahren emsiger Tüftelei hieß die Lösung: Salz.

Also machten sich die Männer daran, einen Wärmespeicher in einen Tanklastzug zu bauen. Eine Art mobile Thermosflasche. Wasser wäre ein denkbarer Speicher, allerdings kühlt es zu schnell ab, man kennt das von der Wärmflasche. Sand ist schon besser. Solarkraftwerke zum Beispiel speichern überschüssige Wärme vorübergehend in Sand. Sandwärmespeicher aber lassen sich schlecht in passender Größe transportieren. Die Lösung nach zwei Jahren Tüftelei hieß: Salz.

Der erste Latherm-Container brachte die überschüssige Energie einer Deponiegasanlage in Dortmund zu einem Schwimmbad im Stadtteil Brackel. "Das ist ein lokales System. Zwischen Quelle und Abnehmer dürfen höchstens 20 Kilometer liegen, damit das Verfahren sinnvoll ist", sagt Etzkorn. In diesem Radius ist die gespeicherte Wärmemenge etwa zehnmal so groß wie die für den Transport benötigte Energie. Das Schwimmbad in Brackel benötigt bis zu vier Wärmelieferungen pro Tag, um seine Becken zu heizen.

Das Prinzip Wärmetauscher funktioniert denkbar einfach: Beim Wärmelieferanten - einer Fabrik oder Deponie - wird 80 bis 120 Grad heißes Wasser oder Dampf durch das Salz im Container geleitet. Der umgebaute Tanklastzug enthält Natriumacetat, ein ungefährliches Salz, das sich oberhalb einer Temperatur von 58 Grad auflöst. Dabei übernimmt es die Wärme aus dem zugeführten heißen Wasser oder Dampf. Das abgekühlte Wasser fließt zum Lieferanten zurück, die Wärme steckt nun in dem verflüssigten Salz - ohne dass das Salz selbst heiß ist. Das ist ähnlich wie bei dem Wärmekissen, das man zu Hause in der Mikrowelle präpariert hat - und dennoch bis zum Einsatz kühl ist.

Grafik: Ein Wärmelieferant pumpt heißes Wasser durch den mit Salz gefüllten Container. Das Salz schmilzt und nimmt die Wärme auf. Am Ziel wird durch einen physikalischen Impuls das Salz angeregt, die Wärme wieder abzugeben. Der Kunde leitet kaltes Wasser durch den Container und erhält es aufgeheizt zurück. Das Salz kann anschließend erneut Wärme aufnehmen.

Es braucht nicht viel, die Wärme beim Kunden wieder freizusetzen. Ein kleiner Impuls genügt, damit das verflüssigte Salz kristallisiert. Im Wärmekissen nutzt man dafür ein Plättchen, den „Knackfrosch". Er löst eine Druckwelle aus, dadurch bilden sich winzige Kristalle, es gibt eine Kettenreaktion, das flüssige Salz verfestigt sich und gibt bei diesem Prozess die in seinen Molekülen verborgen - „latent" - gespeicherte Wärme wieder ab.

Der Wärmecontainer von Latherm enthält 17 Kubikmeter Salz, und entsprechend viele darin verteilte „Knackfrösche", die mittels Schall die Kristallisation in Gang setzen.

Der Kunde, in diesem Fall das Schwimmbad, pumpt kaltes Wasser durch den Container, in dem das Salz seine Wärme freisetzt. Das Wasser erhitzt sich und wird ins Schwimmbad geleitet. "Wir sind so frech gewesen, den Wärmepreis auf 15 Jahre zu garantieren", sagt Etzkorn.

Erst die steigenden Energiepreise der vergange­nen Jahre haben die ökologisch sinnvolle Idee der Wärme auf Rädern auch ökonomisch attraktiv gemacht. Zwischen fünf und acht Cent kostet eine Kilowattstunde bei Latherm. Die meisten Fern­wärmelieferanten berechnen bis zu zehn Cent oder mehr. Hinzu kommt, dass die eingesetzte Kraft­-Wärme­-Kopplung aus öffentlichen Mitteln geför­dert wird. Und die Lieferanten haben einen zu­sätzlichen Profit: Jeder abgeholte Wärmecontainer wird ihrem CO2­-Einsparkonto gutgeschrieben.

Im Prinzip kann jeder, der einen Wärmetauscher im Keller hat, die Wärmecontainer einsetzen. In einer einzigen Ladung steckt genug Energie, um ein Einfamilienhaus ein Vierteljahr mit Heizung und warmem Wasser zu versorgen. Allerdings hat nicht jeder ausreichend Stellplatz im Garten oder vor der Tür. Außerdem lässt sich durch die lange Standzeit trotz der guten Speichereigenschaften des Salzes ein gewisser Wärmeverlust nicht ver­meiden. Deshalb ist die Idee eher für Großabneh­mer wie Schwimmbäder interessant.

Seit Anfang 2014 gehört Etzkorns Latherm zum Hamburger Unternehmen KTG Energie, das deutschlandweit Biogasanlagen betreibt. "Mit dem Latherm­-System können wir erstmals eine wirklich sinnvolle Abwärmenutzung realisieren,", sagt KTG­-Chef Thomas Berger. Zehn Container sind bislang im Einsatz, in Jülich, Leipzig und Ora­nienburg. Berger sagt: "Unsere Vision ist, eine Art mobiles Fernwärmenetz zu schaffen."

(NG, Heft 8 / 2014, Seite(n) 20 bis 22)

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