Jakob Vicari

Lead Creative Technologist tactile.news, Lüneburg

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Gläserne Supermarktkunden: Der Preis ist heiß

Flexible Preise sind ein heißes Thema

Im Online-Handel ist es bereits üblich, dass Produktpreise dynamisch an den Kundentypen und die Nachfrage angepasst werden. Viele Supermärkte etablieren die auf Algorithmen gestützte Technologie derzeit auch in der analogen Einkaufswelt – und besiegeln damit das Ende verlässlicher Preise.


Wie viel kostet die Butter? Kommt drauf an, wer du bist, wann du da bist und wer noch alles Butter haben will. Die künstliche Intelligenz der Algorithmen hält Einzug an der Regalschiene im Supermarkt. Möglich machen es elektronische Etiketten, die über eine Funkverbindung den aktuellen Preis bekommen. Digitale Preisschilder erfüllen Firmen einen Traum: Jedem genau den Preis zu bieten, den er zu zahlen bereit ist.

Seit es Supermärkte gibt, waren etwa für den Butterpreis stets einfache Pappetiketten zuständig. Sie vermittelten Verlässlichkeit, die allerdings genau betrachtet nur eine Illusion war: Wer konnte schon wissen, ob ein Angestellter nicht dreimal am Tag das Preisschild austauschte?

Dass Preise buchstäblich Achterbahn fahren, ist für die meisten Verbraucher zumindest an der Tankstelle ein vertrautes Phänomen: Morgens hat das Benzin einen anderen Preis als abends, unter der Woche ist der Sprit günstiger als am Wochenende. An derartige Preisschwankungen werden sich die Kunden künftig auch andernorts gewöhnen müssen: Immer mehr Unternehmen setzen komplexe Big-Data-Algorithmen ein, um den optimalen Preis zu finden.


Preis je nach Datenlage

Denn während Menschen nur eine Handvoll Variablen zueinander in Beziehung setzen können, vermögen die Maschinen Tausende Aspekte der Preisgestaltung im Blick zu behalten. Erstmals lassen sich genug Informationen sammeln und auswerten, um für jede Zielgruppe abzuschätzen, wo deren Preisschwelle liegt.

Bisher setzen vor allem Online-Händler auf die intelligente Preisgestaltung, im Wirtschaftsjargon Dynamic Pricing genannt. Anhand des Surfverhaltens, der IP-Adresse und dem Computer- oder Smartphonemodell, das der Kunde nutzt, passt der Händler den Verkaufspreis an: einerseits an die vermutete Toleranzschwelle des individuellen Kunden, andererseits an die aktuelle Nachfrage nach dem betreffenden Produkt.

So kann es passieren, dass einem Mac-Nutzer ein höherer Preis angezeigt wird als dem Besitzer eines Windows-Rechners. Bis zu 80-mal am Tag ändert sich der Preis, fand das "Wall Street Journal" heraus und ermittelte etwa, dass der Preis einer Mikrowelle bei Amazon an einem Tag zwischen 744,46 und 856,68 Dollar schwankte.

Das Ende des Festpreisschilds

Früher war es üblich, dass man um die Preise feilschte. Der Kaufmann nannte den Butterpreis aus dem Kopf (oder aus dem Bauch), statt ihn auf ein Schild zu schreiben und so festzulegen. Erst mit den Selbstbedienungsläden - in Deutschland etwa ab den Siebzigerjahren - kam das Festpreisschild, dessen Zeit nun schon wieder zu Ende zu gehen scheint.

Vorreiter der digitalen und flexiblen Preisauszeichnung ist Rewe, Deutschlands zweitgrößter Lebensmittelhändler. Hier sind schon mehrere Hundert Märkte mit den neuen Etiketten ausgestattet. Auch die Elektronikketten Media Markt und Saturn sind Pioniere auf diesem Gebiet, erste Edeka-Kaufleute folgen dem Trend.

Die Etiketten arbeiten meist auf Basis von elektronischer Tinte, wie sie auch in E-Book-Readern zum Einsatz kommt. Der Vorteil: Die Technologie ist stromsparend, Batteriewechsel sind nur selten erforderlich. "In Sekundenschnelle", so werben die Hersteller solcher Etiketten, können die Preise im ganzen Markt angepasst werden. Etwa in der Mittags- oder der Halbzeitpause vom Länderspiel.

Denkbar wären also Sonderangebote, die nur wenige Stunden gelten oder zu bestimmten Uhrzeiten, in denen nur wenige Kunden im Markt sind. Allerdings ist die Ausrüstung eines Supermarkts mit der Technologie teuer. Um die zehn Euro kostet jedes Etikett, dazu kommen Sender, die den smarten Etiketten ihre Preisintelligenz erst einhauchen. Bei 15 000 Produkten eines durchschnittlichen Supermarkts geht das ins Geld - im Zweifel ins Geld der Kunden.

Die zweite Voraussetzung für intelligente Preise sind Algorithmen. Viele Online-Händler nutzen sie, etwa um ihren Mitbewerbern eine Nasenlänge voraus zu sein. "Preiselastizität" heißt das Zauberwort. Wenn es regnet und zwei Drogeriemärkte, die nebeneinander liegen, Regenschirme im Angebot haben, der rechte für drei Euro, der linke für 2,90 Euro, werden die meisten Kunden zum billigeren Händler gehen.

Doch wenn die preiswerteren Regenschirme ausverkauft sind und der Regen andauert, könnte der Mitbewerber die gefragten Schirme wahrscheinlich auch für vier oder fünf Euro verkaufen. Die schlaue Software will solche Abwägungen für den Händler treffen - und im Idealfall sogar vorher wissen, wann es regnet.

Bonuskarten für die Kundenanalyse

Das Unternehmen Blue Yonder aus Karlsruhe hat sich auf die smarte Preisbestimmung durch Computer spezialisiert. Die Preise im Supermarkt passen sich in Echtzeit an. "So gelingt es Ihnen, den größten Nutzen aus Angebot und Nachfrage zu ziehen", wirbt die Firma. Zur Klientel der Karlsruher Firma gehört, wer im Handel Rang und Namen hat. Die Preiserfinder machen sich dabei zunutze, dass es verschiedene Faktoren gibt, die bestimmen, was Kunden bereit sind für ein Produkt zu bezahlen.

Um detaillierte Daten zu bekommen, spielt den Händlern unser widersprüchliches Verhalten in die Hände: Zwar erklärt die große Mehrheit der Deutschen regelmäßig in Umfragen, wie wichtig ihr Privatsphäre ist. Und doch sind die meisten bereit, an der Supermarktkasse für ein paar Bonuspunkte die Sammelkarten zu zücken.

Sonderangebot per Smartphone

Aus eben diesen Kundendaten kann das Einkaufsverhalten genau rekonstruiert werden. Schon heute werden Systeme getestet, bei denen sich kleine Sender am Supermarktregal mit den Smartphones der Kunden verbinden, um diesen ein unwiderstehliches persönliches Sonderangebot zu machen.

Ganz ohne Computerintelligenz zeigt hingegen die britische Supermarktkette Waitrose, wie individuelle Preise gehen: Sie bietet mit der Aktion "Pick your own offers" an, zehn Produkte aus dem Sortiment zu wählen, die zum persönlichen Sonderangebot werden, ob nun Tomaten, Butter oder Toilettenpapier. Die ausgewählten Produkte speichert Waitrose und gibt darauf dauerhaft 20 Prozent Rabatt. Ursprünglich war die Aktion nur als einmaliger Werbegag gedacht. Doch sie war bei den Kunden so beliebt, dass die Supermarktkette sie weiterführt.

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