Tränen um den toten Sohn: Die Mutter eines erstochenen 27-jährigen Pakistanis vor dem Gericht, in dem den mutmaßlichen Mördern der Prozess gemacht wird.
Griechische Neonazis machen Einwanderern das Leben zur Hölle. Seit dem Mord an einem bekannten Rapper diskutiert das Land offener über die rechte Gewalt - doch viel Hoffnung macht das den Flüchtlingen nicht. "Hier ist alles Bullshit", sagen sie und wollen nur noch weg. Zum Beispiel nach Deutschland.
Es ist Freitag, als Hamed dem Tod begegnet. Der 21-Jährige steigt abends am Attika-Platz in Athen aus dem Bus. Am Rande eines kleinen Parks stellen sich ihm vier Männer in den Weg und beleidigen ihn, dann lassen sie ihre Kampfhunde los. Während Hamed sich mit bloßen Händen vor den rasenden Hunden schützt, prügeln die Männer mit Ketten und Stöcken auf sein Gesicht ein. Dann lassen sie ihn blutüberströmt liegen. Seine Hautfarbe wird Hamed zum Verhängnis: Sie verrät seine ägyptischen Wurzeln.
Hameds Geschichte ist ein roter Punkt unter vielen auf einer Karte der Britin Jaja Klara Brekke. Sie zeigt die Orte rassistischer Überfälle in Griechenland und ist Teil des Projekts "The City at a Time of Crisis", das die Veränderungen Athens in der Schuldenkrise analysiert. Ein roter Punkt an einer Kreuzung: Überfall auf zwei junge Männer aus Burkina Faso. Ein roter Punkt nahe einer Metro-Station: tödliche Messerstiche gegen einen Pakistani, der zur Arbeit radelte. Die kleinen Punkte sind über das ganze Land verteilt, je mehr man die Ansicht vergrößert, desto deutlicher sind die Tatorte zu erkennen. Jeder der roten Punkte steht für Angst, für Hass, für vergossenes Blut.
Die meisten roten Punkte in Griechenland liegen in Athen, die meisten roten Punkte in Athen liegen im Viertel Agios Panteleimon. Seit Jahren ziehen viele Migranten hierher, immer wieder gibt es Zusammenstöße mit den griechischstämmigen Bewohnern. Die rechtsextreme Partei Chryssi Avgi (Goldene Morgenröte), die bei den Parlamentswahlen 2012 fast sieben Prozent aller Wählerstimmen bekam, zählt das Viertel zu ihren Hochburgen.
Dieser Samstagmorgen in Agios Panteleimon beginnt entspannt. In den Cafés am Rande des Viktoria-Platzes trinken die Gäste Eiscafé aus Plastikbechern, während immer mehr Menschen in den kleinen Park strömen. Wenn die Zeitungen von Straßenschlachten berichten, ist am Vortag oft die Bereitschaftspolizei durch Agios Panteleimon marschiert. Auch heute ist die Polizei schon da, in jeder der Seitengassen lehnen sechs, sieben gepanzerte, gelangweilt dreinblickende Männer an den Hauswänden, Gasmaske und Schlagstock griffbereit. Die Bereitschaftspolizei, deren englische Entsprechung "riot police" (Polizei gegen Krawalle) ihre Aufgabe anschaulicher beschreibt, gehört hier zum Stadtbild.
Motorradhelme - wofür?Es ist ein Bündnis verschiedenster linker Gruppen, das an diesem Novembersamstag gegen Fremdenhass demonstrieren will. Neben schwarz gekleideten, bärtigen Studenten stehen Paare mit grauen Haaren, Peace-Ansteckern und Transparenten. Viele der paar Hundert Demonstranten haben einen Motorradhelm dabei, obwohl sie mit der U-Bahn gekommen sind.
Bunter Protest: Demonstranten in Athen werben für Toleranz mit Flüchtlingen.
(Foto: Jakob Schulz)Knapp ein Jahr ist das Martyrium des ägyptischstämmigen Hamed nun her. Zwar überlebte der 21-Jährige die Attacke, doch auf einem Auge wird er nie mehr etwas sehen können. Erst jetzt ist das Thema Gewalt gegen Migranten auch in der öffentlichen Diskussion in Griechenland angekommen. Nicht wegen Hamed, sondern wegen Pavlos Fyssas. Im September stirbt der 34-Jährige im Süden der Hauptstadt, nach Messerstichen verblutet er in den Armen seiner Freundin. Seine Fans kennen den Rapper als Killah P, er gilt als Sympathisant der linken politischen Szene. Schnell wird klar, dass sein Mörder der neofaschistischen Goldenen Morgenröte nahesteht.
Fast täglich AngriffeFyssas' Tod bringt das Land zum Beben. Im griechischen Fernsehen warnt Premier Antonis Samaras davor, dass Neonazis die Gesellschaft vergiften. In Athen versammeln sich 10.000 Griechen, um gegen Gewalt und Fremdenhass zu protestieren, durch die Straßen der Stadt weht Tränengas.
Fremdenhass, der in Gewalt gegen Migranten mündet, ist Alltag in Griechenland: 281 rassistisch motivierte Taten wie Beleidigungen, Körperverletzung oder sogar Mord zählt allein die griechische Ombudsbehörde zwischen Anfang 2012 und April 2013 in ihrem offiziellen Bericht. Darin machen die Autoren auch klar: Die Zahlen sind nur die Spitze des Eisbergs. In den meisten Fällen würden Attacken nicht gemeldet, nicht von der Polizei aufgenommen oder gar nicht erst als rassistischer Übergriff erfasst.