Es ist unklar, ob Fische Schmerz spüren können. Ist es moralisch vertretbar, trotzdem zu angeln? (Foto: Illustration: Yinfinity)
Die Fische kriegen den Kopf ab, ich meinen Kopf frei: Unser Autor entspannt gerne beim Angeln. Doch das bedeutet, dass er die Fische tötet - oder zumindest verletzt. Ein Dilemma.
Der erste Schlag reißt ein Auge aus der Höhle. Es ist ein kleines Auge an einem kleinen Kopf, der an einem kleinen Fisch sitzt. Ich bin sieben Jahre alt und habe ein Problem. Die Rotfeder, die am Ende meiner Angelschnur zappelt, hat Wurm und Haken weit hinuntergeschluckt. Ohne Zange habe ich keine Chance, den Haken zu lösen. Der Fisch ist dem Tode geweiht. Was tun? Schnur kappen und den Fisch schwimmen lassen? Oder den Fisch töten, um den Haken zu retten? Ich entscheide mich für den Haken. Und greife zu einem Stock, um die Rotfeder damit totzuschlagen.
Angeln bereichert mein Leben, die Fische bezahlen dafür mit ihremSeit mehr als 20 Jahren gehe ich gerne angeln. Wenig fühlt sich so gut an. Der Wind bläst durch die Kleidung, die Vögel singen, das Wasser glitzert. Angeln ist eine gute Entschuldigung, um einfach stundenlang am Wasser zu sitzen. Oder den ganzen Tag an Ufern entlangzustreifen. Nächtelang im Zelt an der Ostseeküste zu frieren. Tagelang fluchend durch mückenverseuchte finnische Sumpfgebiete zu streifen.
Tiere töten: ein 360°-Schwerpunkt
Das Schnitzel war einmal ein Kälbchen. So viel ist uns meist bewusst. Aber wie ist es eigentlich gestorben? Damit beschäftigen sich viele Menschen nicht, obwohl sie das Produkt Tier sehr schätzen: Ein Deutscher isst im Schnitt 60 Kilogramm Fleisch im Jahr - die Industrie verdient hierzulande Milliarden Euro. Die Süddeutsche Zeitung hat sich dem Thema "Tiere töten" aus verschiedenen Blickwinkeln genähert: vom unüberschaubaren System der Produktion über moralische Bauern bis hin zur Frage, warum so viele Menschen kein Problem mit dem Verzehr eines Tieres - wohl aber mit seinem Tod haben.
Mein bester Freund aus der ersten Klasse wäre längst nur noch Erinnerung, würden wir nicht noch immer zusammen fischen gehen. Angeln ist für mich Entspannung, für die Fische Stress oder Tod. Ich kriege den Kopf frei, die Fische den Kopf ab. Ist das in Ordnung?
Ein Leben für zwei Stunden SattmachenWenn der Fisch nass und schnappend im Gras liegt und ich mich mit dem Knüppel über ihn beuge, frage ich mich oft: Wie alt mag dieses Tier sein? Drei Jahre? Vier? Oder schon zehn? Ein Jahrzehnt Leben, das ich mit einem Schlag auf den Kopf und einem Stich ins Herz beende. Das Tier landet im Ofen, die Runde am Mittagstisch wird davon satt, zumindest für ein paar Stunden. Ist es dieses Sattsein wert, dass ich einem Tier das Leben genommen habe?
Diese Frage stelle ich Peter Singer. Der 68-jährige Australier publiziert seit den 1970ern zu Fragen der Ethik, er gilt als einer der Begründer der Tierrechte. Es komme darauf an, was man statt des Fisches essen würde, antwortet mir Singer. "Der Mensch muss essen. Es gibt Essen, für das man keine Tiere töten muss. Aus dieser Perspektive wäre es besser, den Fisch nicht zu essen, ihn nicht zu töten."
Und doch, sagt der Philosoph, gebe es durchaus Szenarien, in denen er das Töten des Fisches befürworten würde. "Wenn man die Wahl hat, einen Fisch zu fangen und sofort zu töten oder andererseits ein Huhn aus Massentierhaltung zu kaufen, dann ist es vermutlich besser, den Fisch zu essen", sagt Singer.
Faszination FischenAngeln kann ungeheuer faszinierend sein. Was mag den Schwimmer da draußen auf dem Wasser zum Zittern bringen? Ein Riesenfisch? Oder nur ein Windhauch? Die Schnur strafft sich, der Ruck in der Angelrute überträgt sich ins Handgelenk, in den Arm, ins Gehirn. Kein Zweifel, das ist ein Großer! Und während das Anglerhirn Endorphine feuert, bohrt sich am anderen Ende der Schnur ein gehärteter Angelhaken mit Vehemenz ins Fleisch.
Fische könnten keine Schmerzen empfinden, wird mir als kleiner Junge eingetrichtert. Ihnen fehlten dafür die Sinneszellen, höre ich von älteren Anglern am See, lese ich in Zeitschriften, höre ich sogar bei der Fischerprüfung. Ganz überzeugt bin ich nie. Zu eindrücklich ist es, das Zittern, Schnappen und Verkrampfen eines sterbenden Fisches zu spüren, nachdem man ihm selbst den Schädel eingeschlagen hat.
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