Lykische Küste: Jungvögel beim Schlüpfen
Der türkische Vogelzugforscher Prof. Dr. Hakan Karaadiç (40) aus Adrasan-Kumluca an der lykischen Küste entdeckte die vermutlich grösste Alpensegler-Kolonie die es auf der Welt geben soll. Mehr als 2000 Brutpaare konnten dort beobachtet werden! Gemeinsam mit Dr. Christoph Meier (36) von der Schweizer Sempa Vogelwarte wurden zwei Alpensegler mit Geolokatoren, einem Chip, ausgestattet um so zu erforschen, wie das Flugverhalten der Alpensegler ist. Des Menschen grösster Wunsch fliegen zu können, ist des Alpenseglers Schicksal aufgrund seiner zu kurzen Beine. Lassen Sie sich von Mehmet Çakmak Fotos in eine bisher nahezu unbekannte Welt der Alpensegler entführen, dem es erstmals gelang Jungvögel beim Schlüpfen in ihren Nestern in den Felsspalten Adrasan-Kumlucas zu fotografieren. Vogelzug-Forscher Prof. Dr. Hakan Karaadiç von der Universität in Alanya und Dr. Christoph Meier im Interview über den Superman der Lüfte – dem Alpensegler.
Herr Prof. Dr. Hakan Karaadiç, war es für Sie eine grosse Überraschung den Alpensegler an der lykischen Küste in Adrasan Kumluca zu entdecken?
Mir war die Vogelart bekannt, doch als ich mit meinen Recherchen begann, wurde mir sehr schnell bewusst, dass wir hier an der Lykischen Küste Adrasan Kumlucas offensichtlich die grösste Alpensegler-Kolonie der Welt besitzen. Auch in Bodrum können wir den Alpensegler beobachten. Ich wandte mich an die deutsche Vogelwarte in Wilhelmshaven an Franz Barlein und an die Vogelwarte Sempach in der Schweiz an Felix Liechti, um mich auszutauschen. Daraus entstand nun unser gemeinsames Forschungsprojekt.
Ist der Alpensegler ein Superman der Lüfte? Wie ist das wissenschaftlich zu erklären?
Anatomisch ist der Vogel extrem gut an die Luft angepasst. Sein Körper ist stromlinienförmig und seine Flügel sind lang und spitz. Mit den sichelförmigen Flügeln erreicht er eine Fluggeschwindigkeit von bis zu 180 Stundenkilometer. Er kann sich perfekt wenden. Die Augen sind mit Borsten vor dem Gegenwind und gegen Partikel in der Luft geschützt. Der Alpensegler benötigt deutlich weniger Kraft in der Luft zu bleiben als wir uns das vorstellen können. der Alpensegler mit seinem stromlinienförmigen Körper und den langen, sichelförmigen Flügeln 200 Tage und Nächte im Jahr non stop fliegt. Er ist immer unterwegs, macht nie eine Pause. Ob fressen, paaren oder schlafen – das alles passiert in der Luft!
Jeder andere Vogel legt ein Verschnaufpause auf einem Baum oder auf dem Boden ein. Warum kommt der Alpensegler nie zur Ruhe?
Die Füße der Alpensegler sind sehr klein und mit den vier nach vorn gerichteten Zehen nur dazu geeignet sich kurz an Felsen oder Mauern festzukrallen, um einen Nistplatz zu erreichen. Alpensegler können weder auf Zweigen noch auf dem Boden landen oder sitzen.
Schläft der Alpensegler nie?
Dr. Christoph Meier: Es ist tatsächlich so, dass wir noch nicht all zu viel darüber wissen, wie der Alpensegler das macht. Es gab Leute, die Mauerseglern in Flugzeugen gefolgt sind und so feststellt haben, wie sich die Vögel in der Dämmerung in warmen Luftschichten auf 1500 Meter über den Boden aufhalten. Es wird deshalb vermutet, dass die Vögel sich die ganze Nacht über in solchen Luftschichten aufhalten. Von Delfinen weiss man, dass sie während dem Schwimmen abwechselnd eine Hirnhälfte in einen Dämmerzustand versetzen können um sich auszuruhen. Um diese Hypothese zu testen, ob die Alpensegler beim Fliegen tatsächlich schlafen wenn sie in der Luft sind, müsste man ihre Hirnaktivität messen. Bis jetzt gibt es aber keine Apparatur die leicht genug ist und eine genügend grosse Batterie hat um die Hirnaktivität im Flug zu messen. Wir können also weiterhin nur mutmassen, wie die Vögel das schaffen.
Herr Dr. Meier, wer hat diese Geolokatoren erfunden und wie funktioniert dieser?
Die Amerikaner Robert L. Delong, Brent S. Stewart und Roger D. Hill haben diese Geolokatoren entwickelt, die dasselbe Prinzip wie die Seefahrer in der Antike nutzen, nämlich dass an Hand des Sonnenstandes jede Position auf der Erde bestimmt werden kann. Was man dafür braucht ist die Sonnenauf- und –untergangszeit. Geolokatoren zeichnen alle paar Minuten das Licht auf und speichern diesen Wert. Daraus lässt sich dann mit Hilfe von astronomischen Formeln berechnen an welcher Stelle sich das Tier an diesem Tag aufhielt. Geolokatoren sind zwar weniger genau (so etwas +/- 200km) als ein GPS, dafür viel leichter, weil sie keine schwere Batterie benötigen um ständig mit Satelliten zu kommunizieren. Durch ihr geringes Gewicht von 0.6 Gramm sind sie für Aufzeichnungen von Flugrouten kleiner Vögel ideal. Sie werden wie kleine „Rucksäcke“ dem Vogel mit auf die Wanderung gegeben. Nach der Reise, wenn die Vögel zu ihrem Brutplatz zurückkehren, werden ihnen die Geolokatoren wieder abgenommen und die Daten können ausgelesen werden.
Wann begannen die Untersuchen der Alpensegler mit einem Geolokatoren, Herr Dr. Meier?
Die ersten Geolokatoren wurden 2009 Alpenseglern mit auf den Zug von der Schweiz nach Afrika mitgegeben, da sie fast immer in der Luft sind, zeichnen die Geolokatoren das Sonnenlicht fast störungsfrei auf. Deshalb werden Alpensegler immer mehr zu einer Modellart für die Forschung mit Geolokatoren.
Herr Prof. Dr. Karaardıç, was macht die Alpensegler für Ihre Forschung in Zusammenarbeit mit der Vogelwarte Sempach so interessant?
Alpensegler sind ihren Nestplätzen sehr treu. Sie brüten grundsätzlich in Kolonien und bauen deshalb jedes Jahr ihre Nester am gleichen Standort. In der Schweiz wird das Brutverhalten der Alpensegler seit Jahrzehnten dokumentiert. Bereits in den 50er Jahren hatte Hans Arn durch intensives Beobachten sehr detailliert das Brutverhalten der Vögel beschrieben. Allerdings war es für Arn fast unmöglich herauszufinden, was die Vögel ausserhalb der Brutsaison machten, da Alpensegler eigentlich nie am Boden absitzen. So sind Beobachtungen einzelner Vögel schwierig. Arn konnte deshalb nur vermuten wohin die Vögel im Winter ziehen. Dank der Geolokatoren können wir heute ganz andere Forschungsergebnisse erzielen und die Geheimnisse des Alpenseglers in der Schweiz, Bulgarien, Spanien und der Türkei gemeinsam auf die Spur kommen.
Woher bezieht die Vogelwarte Sempach die Geolokatoren, Herr Dr. Meier?
Die Vogelwarte Sempach entwickelt inzwischen eigene Geolokatoren. Für die Arbeit über den 200-Tage-Flug verwendeten wir 2009 einen Prototypen, der sowohl das Sonnenlicht als auch die Bewegung des Vogels aufzeichnet. Inzwischen sind die Geolokatoren weiter entwickelt worden und sind heute bei ihren Aufzeichnungen ziemlich exakt.
Das heisst Herr Prof. Dr. Karaardiç, dass Sie die Geolokatoren von der Vogelwarte Sempach beziehen?
Da unsere türkischen Forschungsarbeiten um den Alpensegler noch sehr jung sind, profitieren wir durch das fundierte Wissen der Vogelzug-Forscher in Europa. Daher habe ich das Team von Felix Liechti vergangenes Jahr an die Lykische Küste eingeladen, um Alpensegler mit schweizer Geolokatoren zu präparieren.
Was war das Besondere für Sie und Ihre Kollegen Herr Dr. Meier bei dieser Forschungsarbeit in Adrasan Kumluca?
In der Schweiz haben wir so gut wie gar nicht die Möglichkeit so nah an die Alpensegler heran zu kommen, da unsere Berge und Bergspalten zu hoch, zu steil und spitz sind. Ausserdem habe ich noch nie so viele Alpensegler-Kolonien auf einmal gesehen. Es war ein grossartiges Erlebnis tatsächlich auch Nester in den Adrasan Kulumcas Bergspalten zu finden und die Jungvögeln beim Schlüpfen beobachten zu können.
Was erhoffen Sie sich, Herr Prof. Dr. Karaardiç in der Zusammenarbeit mit der Schweizer Vogelwarte Sempach und den Vogelzug-Forschern in Bulgarien und Spanien?
Wir möchten gerne die Populationen von verschiedenen Ländern vergleichen. Da wir noch sehr wenig über das Zugverhalten dieser Art kennen, hilft uns ein Vergleichen um zu erkennen, wie sich die Vögel an unterschiedliches Klima und unterschiedliche Zugstrecken angepasst haben. Es könnte zum Beispiel sein, dass die östlichen Populationen das Mittelmeer östlich umfliegen und die westlichen Populationen die Strasse von Gibraltar nutzen um nach Afrika zu gelangen.
Dr. Christoph Meier: Da bisher vor allem in der Schweiz am Alpensegler geforscht wurde, wissen wir noch nicht, ob unser Wissen generell für alle Population der Art gilt. Es ist anzunehmen, dass es innerhalb der Art auch lokale Anpassungen gibt. Wir sind uns zum Beispiel noch nicht sicher, ob die türkischen Alpensegler vielleicht einen höheren Bruterfolg haben als unsere nördlichen Populationen. Daher begrüssen wir die Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Hakan Karaardıç Team. Erst mit einem fundierten Hintergrundwissen können wir aktive Unterstützung leisten. Bei Zugvögeln reicht der Schutz der Brutplätze allein nicht aus. Wir können allerdings erst Massnahmen auslösen, wenn wir mehr Informationen haben, wo genau der Alpensegler überwintert. Wir haben noch viel Arbeit vor uns.
Der Zuflug von Afrika in die Schweiz ist um einiges länger als aus Afrika in die Türkei. Da stellt sich die Frage, warum der Alpensegler überhaupt aus Adrasan Kumluca und Bodrum nach Afrika fliegt? Am Lykischen Meer und an der Ägäis bleibt es im Winter mild?
Diese Antwort darauf interessiert uns brennend. Alpensegler ernähren sich ausschliesslich von Spinnen und Insekten, die sie im Flug erbeuten. Die meisten Insekten fliegen bei warmem, schönem Wetter. Bei Regen und Temperaturen um die sieben Grad ist das Futterangebot sicher weniger reichhaltig als im Sommer. Wir wissen aber noch nicht, wie weit die türkischen Alpensegler ziehen um Insekten anderswo zu fangen.
Ist der Alpensegler in der Schweiz gefährdet? Wie sieht es in der Türkei, Spanien und Bulgarien aus?
In der Schweiz werden Alpensegler als potenziell gefährdet eingestuft, da die Art mit 2000 Individuen nur stellenweise zu finden ist. Wenn Brutkolonien in Häusern bei Umbauten gestört werden, geben die Vögel manchmal die gesamte Kolonie auf. Neue Kolonien entstehen aber nur sehr selten. In der Schweiz sind deshalb die Brutplätze der Alpensegler geschützt. Die Art wird weltweit nicht als gefährdet eingestuft, da die Bestände sehr weit verbreitet vorkommt. Es besteht jedoch die Gefahr, dass nur wenig über die Art bekannt ist und die Bestandsschätzungen ungenau sind. Die umfangreichste Forschungsarbeit über die Alpensegler wurde bisher in der Schweiz betrieben.
Welche Erkenntnisse liegen inzwischen vor, dass es diesem Vogel möglich ist, 200 Tage im Jahr non stop zu fliegen?
Bisher wissen wir nicht wie die Vögel das genau machen. Es gab Leute die Mauerseglern in Flugzeugen gefolgt sind und so festgestellt haben wie sich die Vögel in der Dämmerung in warmen Luftschichten auf 1500m über Baden aufhalten. Es wird deshalb vermutet, dass die Vögel sich die ganze Nacht über in solchen Luftschichten aufhalten. Von Delfinen weiss man, dass sie während dem Schwimmen abwechselnd eine Hirnhälfte in einen Dämmerzustand versetzten können um sich auszuruhen. Ob es bei den Vögeln ähnlich funktioniert wissen wir nicht. Um die Hypothese zu testen, ob die Alpensegler wirklich schlafen, wenn sie in der Luft sind, müsste man ihre Hirnaktivität messen. Bis jetzt gibt keine Apparatur die leicht genug ist und eine genügend grosse Batterie hat um die Hirnaktivität im Flug zu messen. Wir können also weiterhin nur mutmassen, wie die Vögel das schaffen.
Ernährt sich der Alpenflieger ausschliesslich im Fliegen?
Für die Vögel ist eine Landung am Boden eine Gefahr, da sie nur mit viel Kraft vom Boden aus abheben könnten. Aufgrund ihrer zu kurzen Beine müssen sich Alpensegler aus der Höhe fallen lassen. Deshalb sind ihre Nester an hohen Felskanten zu finden. Während des Fliegens fangen sie mit aufgesperrten Schnabel kleine Spinnen und Insekten wie Fliegen, Käfer und Schmetterlinge direkt in der Luft. Trinken können sie ähnlich wie Schwalben. Sie gleiten flach über das Wasser und tauchen den geöffneten Unterschnabel ein wenig ins Wasser ein.
Paart sich der Alpensegler nur im Fliegen?
Ja, es gibt Beobachtungen von kopulierenden Paaren in der Luft. Die Vögel fliegen dabei während einer kurzen Strecke so nahe beieinander, dass sie sich berühren. Paarungen wurden aber auch schon am Nestplatz beobachtet. Für die Paarbildung ist das zusammen treffen am Nest wichtig. Alpensegler bilden Dauerehen. Wenn aber ein Partner nach dem Frühlingszug nicht ans Nest zurückkehrt, kann es vorkommen, dass sich ein neues Paar von benachbarten Nestern bildet.
Brütet ausschliesslich das Weibchen und das Männchen besorgt Nahrung? Oder brüten beide abwechselnd?
Die Vögel teilen sich die Brutpflege gleichmässig auf. Sowohl Männchen und Weibchen brüten die Eier aus und versorgen die Jungen mit Futter sobald diese geschlüpft sind. Männchen und Weibchen sehen auch gleich aus.
Wie fängt der Alpensegler seine Beute und wie bewahrt er sie auf um seinen Nachwuchs damit füttern zu können?
Der Alpensegler hat einen Schnabel der so breit ist wie sein Kopf. Im Unterschnabel befindet sich ein Kropf mit dem er die eingefangenen Insekten aufbewahrt. Altvögel können einen Futterballen von bis zu drei Prozent ihres Körpergewichts im Kropf sammeln und so zu ihren Jungen bringen. Erstaunlich ist, dass sie manchmal auch Wespen in ihrem Kropf transportieren. Wie sie sich vor den Insektenstichen schützen ist noch unerforscht. Am Nest angekommen würgt er die Insekten-Futterballen direkt in die Schnäbel seiner fauchenden Jungvögel.
Wie lange dauert die Aufzucht? Nach wie vielen Wochen lernen die Jungvögel zu fliegen?
Die Nestlingszeit dauert 50-60 Tage und hängt letztendlich vom Wetter ab. In einer regnerischen Saison müssen die Jungen manchmal tagelang hungern. In dieser Zeit verlangsamt sich ihr Wachstum. So bald die Jungvögel ausgewachsen sind, verlassen sie ihr Nest sofort ohne noch einmal zu ihrem Nest zurück zu kehren. Wir konnten auch feststellen, dass die meisten Jung-Alpensegler für zwei bis drei Jahre nicht mehr zu der Kolonie zurückkehren. Erst wenn sie sich gepaart haben, schliessen sie sich der Kolonie wieder an.
Wie alt wird ein Alpensegler?
Im Schnitt wird der Alpensegler 20 Jahre alt, einige werden so gar bis zu 26 Jahre alt.
In Deutschland ist der Alpensegler ungefähr seit 60 Jahren bekannt. Wie lange ist der Alpensegler bereits in der Schweiz beheimatet?
Der Alpensegler ist seit Menschengedenken in der Schweiz als Brutvogel anwesend. Die Schweiz und der Süden von Deutschland bildet die nördliche Verbreitungsgrenze der Alpensegler. Vermutlich gibt es weiter nördlich nicht genügend Insekten um die Jungen die ganze Saison hinweg zu versorgen. Alpensegler akzeptieren gerne Dachstühle von hohen Häusern als Brutkolonien. In den letzten Jahren wurden auch vermehrt Nistkästen für die Segler montiert. Das hat sicher auch dazu beigetragen, dass sich der Alpensegler im Süden Deutschlands etablieren konnte.
Ist der Mauersegler mit dem Alpensegler verwandt? Was haben sie gemeinsam?
Ja, die zwei Arten sind verwandt und gehören sicher zur selben Familie. Die Wissenschaft ist sich zurzeit uneins, ob sie sogar zur selben Gattung gezählt werden können. Alpensegler haben ihre nördliche Verbreitungsgrenze in Süddeutschland, während Mauersegler bis nach Nordschweden vorkommen. Schweizer Alpensegler überwintern in West-Afrika in Guinea. Mauersegler ziehen bis ins Kongobecken während dem Winter. Im Mittelmeerraum kommt auch noch eine dritte Seglerart vor: Die Fahlsegler, die dem Mauersegler sehr ähnlich sehen.
Herzlichen Dank, Herr Prof. Dr. Hakan Karaadiç und Herr Christoph Meier für das spannende Interview!
Die Fotos machte der Fotograf Mehmet Çakmak.
Harmoni-e, Ausgabe 04/Februar 2016: Alpensegler - kleiner Vogel
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