ARD-Serie "37 Sekunden" "Nur Ja heißt Ja": Eine Anwältin, eine Schauspielerin und eine Drehbuchautorin über sexuelle Belästigung und Übergriffe
Ein alternder Rockstar, eine junge Frau, ein Treffen am Rande eines Festes: Die Affäre der beiden ist vorüber, sie küssen sich, mehr will sie nicht. Und doch, als er sich zum Gehen wendet, da hält sie ihn, fasst kurz in seinen Hosenbund. Was dann folgt, sind 37 Sekunden Sex, sie gepresst an die Wand, er hinter ihr und außer sich. Hat sie zum Schluss noch mal "Nein" gesagt? War es laut genug? Wusste er, was er tat?
Missverständnis oder Vergewaltigung – darüber scheinen sich die Figuren in der Serie "37 Sekunden" (in der ARD Mediathek und am 15. und 22. August im Fernsehen) selbst nicht immer im Klaren zu sein. Die Uneindeutigkeit des Falls, der über sechs Folgen verhandelt wird und alle Beteiligten gegeneinander in Stellung bringt, macht die Produktion so außergewöhnlich. Schließlich sind es komplizierte Fälle wie dieser, die auch die aktuellen Debatten über das Verhalten prominenter Männer aufheizen.
Für den stern trafen sich Opferanwältin Antje Brandes, Drehbuchautorin Julia Penner und die Schauspielerin Emily Cox, die in der Serie die Tochter des Beschuldigten spielt, zu einem intensiven Gespräch.
Belästigung, Nötigung, Vergewaltigung – immer mehr Stars werden sexuelle Übergriffe vorgeworfen, oft können sie auch belegt werden. Würden Sie jungen Frauen empfehlen, in der Showbranche zu arbeiten?
Cox: Sexuelle Übergriffe gibt es überall, in jeder Branche. Als Schauspielerin erlebt man überwiegend Teams, in denen man sich sicher fühlen darf. Ich finde es super, dass jetzt darüber gesprochen wird, wie sexuelle Übergriffe verhindert, wie entsprechende Arbeitsbedingungen geschaffen werden können. Außerdem gibt es Stellen, an die sich Betroffene wenden können, etwa "We Do" in Österreich. Ich würde keinesfalls von diesem Beruf abraten – weil er wunderbar ist und ich selbst nichts anderes machen wollte.
Brandes: Ich würde auch niemandem abraten. Aber als Opferanwältin muss ich feststellen, dass deutlich mehr Fälle aus dieser Branche kommen als aus anderen. Allein, dass es den Begriff Besetzungscouch gibt, sagt ja alles. Auch wenn #MeToo tatsächlich viel verändert hat. Frauen wissen, dass sie Übergriffe melden und darüber sprechen können, ohne dass ihre Karrieren beendet sind.
Die Regisseurin Marie Kreutzer erzählte kürzlich bei einer Filmpreisverleihung von einem Schauspieler, der masturbierte, während er gerade geschminkt wurde. Und es gab einen berühmten Theaterregisseur, der beim Anblick junger Regieassistentinnen sagte: "Wer soll das alles ficken?" Wurde in der Branche über Jahre zu viel weggeschaut?
Brandes: Eindeutig ja. Zumal auf solche Äußerungen und Handlungen ja oft noch mehr folgt.
Penner: Es gibt heute "Intimacy Coaches", die für mehr Sensibilität sorgen sollen. Aber damit es wirklich besser wird, müssen sich die Machtstrukturen ändern, muss der Geniekult beendet werden. Solange Menschen in Machtpositionen – die nun mal häufig Männer sind – wie Halbgötter behandelt werden, können wir das Missbrauchsproblem nicht lösen.
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