Kornelius, 38, liebt seine Frau Julia, 36, schon seit zehn Jahren. Sie leben in einer Vierzimmerwohnung in Berlin-Mitte, haben vor zwei Jahren geheiratet und einen Sohn bekommen. Kornelius liebt aber auch Susa, 40, die er 2018 kennengelernt hat. Er, Julia und Susa leben polyamor: Sie haben mehrere Beziehungen. Julia arbeitet als freischaffende Künstlerin, Susa studiert Soziale Arbeit und hat zwei Teenager-Töchter mit ihrem Ex-Mann. Kornelius verdient sein Geld als Web-Entwickler. Während Julia über Zoom interviewt wird, spielt Kornelius mit seinem Sohn im Garten. Als Kornelius erzählt, isst Julia mit ihrem Sohn zu Abend und bringt ihn ins Bett. Einen Tag später spricht Susa in ihrer Wohnung in Berlin-Marzahn über ihre Beziehungen.
Wie haben Sie sich verliebt?
Kornelius: Julia und ich haben uns 2012 auf einer Dating-Plattform kennengelernt. Ich hab mich gleich bei unserem ersten Date verliebt. Ihre selbstbewusste Art hat mich beeindruckt. Sie ist eine extrovertierte Künstlerin und hat mich in ihre Welt mitgenommen. Susa fand ich schon toll, bevor ich sie kannte: Ich sah sie 2018 in einer Dokumentation über Polyamorie. Sie wirkte niedlich und richtig sympathisch. Durch Zufall traf ich sie ein paar Wochen später bei einem Poly-Treffen in - da hatten Julia und ich unsere Beziehung schon geöffnet. Wir tauschten Nummern aus und verabredeten uns immer häufiger.
Julia: Ich glaube, Kornelius und ich waren anfangs gar nicht verliebt, sondern wollten in unserem Leben etwas verändern. Als introvertierter Typ gab er mir die Sicherheit, die mir in früheren Beziehungen gefehlt hat. Und ich brachte etwas Farbe in sein Leben.
Susa: Kornelius sprach mich an mit den Worten: "Hey, ich habe dich in einer Doku gesehen." So ein blöder Anmachspruch, dachte ich, was für ein Idiot. Bis mir einfiel, dass ich tatsächlich gerade in einer Doku über Polyamorie zu sehen gewesen war. Ich schaute ihn mir noch mal genauer an, und mir fiel auf, dass er Geborgenheit und Wärme ausstrahlte. Das mochte ich.
Erinnern Sie sich an den ersten Kuss?
Kornelius: Mit Julia war das bei unserem ersten Date. Sie hatte Lippenstift aufgetragen. Eigentlich mag ich das nicht beim Küssen, aber es störte mich gar nicht. Sie übernachtete an dem Abend auch gleich bei mir. Susa mag Küssen nicht so gerne. Unser erster Kuss war nach ein paar Monaten - nicht besonders leidenschaftlich, aber sehr liebevoll.
Julia: Bei unserem ersten Date habe ich die Initiative ergriffen. Wäre es nach Kornelius gegangen, dann wäre an diesem Abend nichts passiert.
Susa: Wir haben uns beim ersten Date kurz geküsst, aber das war nichts Besonderes. Viel mehr im Kopf ist mir geblieben, dass er mich in den Arm genommen und fest gedrückt hat. Ich spürte, dass ich ihm etwas bedeute.
Wie kamen Sie zur Polyamorie?
Kornelius: Eine monogame Beziehung war mir zu eng. Ich wollte mit Julia zusammen sein, aber nicht nur mit ihr. Ich verliebte mich in andere Frauen und fand es schade, dass ich sie nicht näher kennenlernen konnte. Und Julia litt darunter, dass wir wenig Sex hatten. Nach einer Paartherapie starteten wir das Experiment Polyamorie. Das hat zwar unsere Probleme in der Partnerschaft nicht gelöst, aber es verschönert unser Leben.
Julia: Wie in vielen Langzeitbeziehungen ging auch bei uns die Sexualität irgendwann flöten. Wir sprachen darüber, wie es wäre, diesen Teil der Beziehung auszulagern. Anfangs war ich total dagegen. Ich hatte One-Night-Stands, aber es fühlte sich an wie Betrug, als wäre etwas in unserer Beziehung nicht in Ordnung. Als ich auf den Begriff Polyamorie stieß und wir ein paar Monate später zu einem Poly-Stammtisch gingen, machte es plötzlich Sinn. Die Öffnung hat uns näher zusammengebracht.
Susa: In den Neunzigern war ich in der Umweltschutzbewegung aktiv. Viele meiner Bekannten dort führten offene Beziehungen. Die Idee gefiel mir, ich selbst hatte schon immer Gefühle für mehrere Menschen. Als ich aber sah, wie viel Neid, Eifersucht und Streit das Konzept mit sich brachte, schloss ich diese Art zu leben für mich aus. 2006 heiratete ich einen Mann - eine monogame Beziehung. Nach der Geburt meiner zweiten Tochter verliebte ich mich in eine Frau aus der Stillgruppe. Unsere Freundschaft wurde intensiver, und auch wenn es nicht sexuell war, konnte ich meine Gefühle nicht mehr ignorieren. 2015 öffneten mein Ex-Mann und ich unsere Beziehung.
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