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FAQ: Wie darf Griechenland die Grenze zur Türkei schützen?

Flüchtlinge an der Grenze zwischen der Türkei und Griechenland Quelle: picture alliance / AA

Griechenland wehrt mit Wasserwerfern und Tränengas die Geflüchteten ab, die an der Grenze auf eine Einreise in die EU hoffen. Was von dem ist rechtlich in Ordnung?


Darf Griechenland Geflüchtete an der Grenze einfach abweisen?

Das ist umstritten. Im Völkerrecht gibt es das Non-refoulement-Gebot, das besagt, dass kein Staat der Welt Menschen an der Grenze in ein Gebiet zurückschicken darf, in denen ihnen Gefahr für Leib, Leben oder andere Menschenrechte droht. Das wäre zwar an der türkisch-griechischen Grenze nicht der Fall, da die eigentliche Gefahr für die Geflüchteten nicht in der Türkei, sondern in den ursprünglichen Herkunftsländern droht.

Sobald es jedoch Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Türkei die Geflüchteten, die von der griechischen Grenze zurückkommen, in ihre Herkunftsländer abschieben könnte, sähe die Lage anders aus. Denn damit würde den Geflüchteten eben doch mittelbar wieder eine Gefahr für Leib und Leben drohen.

Darüber hinaus ist die Situation in der Genfer Flüchtlingskonvention geregelt. Diese besagt, dass Menschen, die an der Grenze unmittelbar in Kontakt mit staatlicher Gewalt treten, das Recht haben, Asyl zu beantragen. Dieser Antrag muss nicht ausdrücklich erfolgen, die Geflüchteten müssen nur erkennbar um Schutz vor Menschenrechtsverletzungen ersuchen. Von diesem konkludenten Schutzgesuch müssen griechische Behörden in diesem Fall wohl größtenteils ausgehen. Auf dieser Basis muss Griechenland dann eigentlich auf jeden Fall ein Asylverfahren einleiten und in diesem Verfahren eruieren, ob der Schutzbedarf bei den einzelnen Individuen gegeben ist.

Dürfen die Griechen auf illegalen Wegen eingereiste Geflüchtete wieder abschieben?

Ja. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Februar dieses Jahres entschieden. Es ging um zwei Männer aus Mali und der Elfenbeinküste, die in der spanischen Enklave Melilla über einen Zaun geklettert waren. Sofern es möglich ist, den Staat, in dem man Asyl beantragen will, auch auf legalem Weg zu erreichen, dürfen Geflüchtete abgeschoben werden, wenn sie versuchen auf illegalem Weg einzureisen.

Diese Taktik nennt sich " push-back" und war vom EGMR im Jahre 2017 eigentlich für unzulässig erklärt worden. Nun änderte der EGMR aber seine Meinung und schwächt mit seinem Urteil die Rechte von Geflüchteten enorm. In der konkreten Situation ist nun die Frage, ob der legale Weg, bei einer staatlichen Behörde Asyl zu beantragen, überhaupt gegeben ist, da die Grenze ja bewacht und barrikadiert ist. Auch hier kann man also für die griechische Problematik keine klare Antwort geben.

Dürfen sie wie angekündigt einen Monat lang keine neuen Asylanträge annehmen?

Nein. Festzulegen, einen Monat lang gar keine neuen Asylanträge anzunehmen, ist gegen europäisches Recht. Dabei ist die Aussage wohl eher ein politisches Signal: Griechenland schützt seine Grenzen mit Tränengas und Wasserwerfern, um den Geflüchteten gar nicht erst die Möglichkeit zu geben, zu einer Stelle vorzurücken, bei der sie Asyl beantragen können. Durch seine Aussage stellt Athen nun klar: Selbst wenn es jemand schafft, durch die Grenzbarrieren zu kommen, muss er mindestens einen Monat warten, bis ihm Möglichkeit zum Asylantrag gegeben wird.

Natürlich kann es faktisch dazu kommen, dass viele der Asylanträge aus Kapazitätsgründen einen Monat lang nicht bearbeitet werden könnten. Das wäre dann aber ein anderer Fall und natürlich nicht europarechtswidrig. In diesem Fall hätten aber die, die noch keinen Antrag stellen konnten, auch schon einen Anspruch auf Obdach und Schutz.

Europarechtlich könnte die sogenannte Massenzustromsrichtlinie von 2001 in Kraft treten. Der Ministerrat der EU muss hierbei mit qualifizierter Mehrheit beschließen, dass eine Massenfluchtsituation besteht und damit die Richtlinie im konkreten Fall angewandt werden darf. Diese würde den Geflüchteten eine vorläufige Schutzgewährung mit weniger Rechten ermöglichen. Das bedeutet: Den Menschen werden bestimmte Rechte gewährt, sie werden nicht zurückgeschickt, erhalten aber auch nicht alle Rechte, die mit dem Asylverfahren einhergehen.

Sind die restlichen EU-Mitgliedsstaaten verpflichtet, zu helfen?

Wirksam verpflichtet werden können die anderen Mitgliedsstaaten dazu nicht. Es gibt im EU-Recht den Grundsatz der Solidarität, der besagt, dass die EU in genau solchen Situationen wie der jetzigen dem betroffenen Staat unter die Arme greifen muss. Dieser Grundsatz wird jedoch in großen Teilen schon seit Jahren von den Mitgliedsstaaten gekonnt ignoriert. Ein großes Manko des europäischen Asylrechts ist seit jeher, dass es keine Regelung zur Verteilung von Geflüchteten auf die Mitgliedsstaaten gibt.

Denn im Moment ist immer der Staat für einen Geflüchteten verantwortlich, der dessen Einreise in die EU nicht verhindert hat. Konkret bedeutet das: Italien und Griechenland, die Ziele der Mittelmeerodysseen, sind, sobald sie die Geflüchteten über die Grenze lassen, auch zuständig.

Ein europaweites Verteilsystem würde hier Abhilfe schaffen. Gegen die Einführung eines solchen Systems sprechen sich jedoch im Moment noch viele europäische Staaten aus, um sich selbst aus der Affäre zu ziehen. Eine rechtliche Verpflichtung der anderen Mitgliedsstaaten würde die Situation in Griechenland entschärfen und für mehr Gerechtigkeit sorgen, eine solche ist jedoch nicht in Sicht. Moralisch verpflichtet sind die Mitgliedsstaaten aber natürlich dennoch.

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