Isabell Hogh-Janovsky

Innovation und Management | Crossmedia-Redaktion

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Repräsentativ, statt versteckt im Hinterhof

Industriegebiet Stuttgart-Feuerbach: Zwischen Bauunternehmen und Lagerhallen steht die größte Moschee Baden-Württembergs - unscheinbar in einem Hinterhof. Das soll sich ändern, findet der muslimische Verband Ditib und plant den Bau eines repräsentativen Gotteshauses mit Minarett und Kuppel.

 

Das heutige Tagesmenü vermittelt nur schwer den Anschein einer kulinarisch ausgewogenen Mahlzeit. Trotzdem reihen sich Schüler traubenweise in die Mensaschlange ein. Orhan sucht währenddessen nach etwas anderem. Das Mittagessen kann bis nachher warten. Er läuft durch den Schulgang bis er findet, wonach er gesucht hat. Ein leeres Klassenzimmer und einen Moment abseits vom monotonen Lärm der Gespräche. Der Blick auf sein Handy verrät ihm: 13:30 Uhr – es ist Zeit für das Mittagsgebet. Das hält der junge Muslim pflichtbewusst ein, selbst in der Schule. Mithilfe einer App wird Orhan nicht nur pünktlich an die Gebetszeiten erinnert, sondern er kann auch die Himmelsrichtung nach Mekka bestimmen. Die Jacke muss als Gebetsteppich herhalten, die Schultoilette als Ort der rituellen Waschung. Auch wenn sie nicht mit dem Waschraum in einer Moschee vergleichbar ist, dient sie dennoch als Mittel zum Zweck. Da die meisten der rund 35 muslimischen Vereine in Stuttgart in Randgebieten liegen, gibt es nur wenige Gebetsräume in Zentrumsnähe. „Leider ist die Mittagspause oft zu kurz, um zum Beten extra in eine Moschee zu fahren“, sagt er.

Bis zu fünf Mal in der Woche geht er in die Moschee im Türkisch-Islamischen Zentrum in Stuttgart-Feuerbach. Ein unscheinbares, graues Fabrikgebäude mit weißem Eisentor und Reklametafeln an der Außenfassade. Wer sich in der Gegend nicht auskennt, würde nicht vermuten, dass es sich hierbei um die größte Moschee Baden-Württembergs handelt. Nur die Generation 60 plus, die im Innenhof mit einer Tasse Chai in der Sonne sitzt und die Atmosphäre in der „Türkenstraße“, wie Orhan das Viertel nennt, deuten auf den Einfluss der ausländischen Kultur hin. Das Schmuckstück des Islam – versteckt in einer ehemaligen Fabrikhalle des Gewerbebaus. Dass die sogenannte Hinterhofmoschee von außen nicht als Gebetsstätte erkennbar ist, macht den 19-Jährigen traurig: „Ich finde, es ist ein Muss, dass die Moschee auch so aussieht wie eine Moschee. Es geht auch um die Fairness gegenüber uns Moslems.“


Eine repräsentative Moschee für Feuerbach

„Yeni Camii“ - übersetzt bedeutet das: „Die neue Moschee“. Der Name des Gebetshauses in der Feuerbacher Mauserstraße ist für die Stadt buchstäblich zu einer Herausforderung geworden. Denn der Verband der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (Ditib) in Stuttgart fordert den Neubau einer repräsentativen Moschee. Die Mitglieder wollen einen Ort, mit dem sich Muslime identifizieren können. Nach außen hin soll die Moschee alle sichtbaren Zeichen eines islamischen Gotteshauses aufweisen. Dafür möchte die Ditib-Gemeinde am jetzigen Standort in Feuerbach die bestehende Gebetsstätte abreißen und eine moderne Moschee mit Kuppel, Minarett und integriertem Gemeindezentrum bauen. Die baurechtlichen Voraussetzungen sind gegeben, die finanziellen Mittel durch den Verein vorhanden. Auch Stuttgarts Oberbürgermeister Fritz Kuhn signalisierte gegenüber den Stuttgarter Nachrichten seine Zustimmung für den geplanten Moscheebau. Demnach könnte nach Angaben der Stadt in rund vier Jahren in Feuerbach die erste repräsentative Moschee Stuttgarts stehen.


„Muslime gehören in Stuttgart zum Alltag“

„Im Industriegebiet würde ein Minarett niemanden stören. Wir beschweren uns auch nicht über die Kirchenglocken, die früh morgens und spät abends klingeln. Trotzdem hat niemand was dagegen, weil das Religionsfreiheit ist“, argumentiert Orhan. Der Wunsch nach Glaubensfreiheit und Akzeptanz liegt in der Luft. Vermischt mit dem Gefühl von Unzufriedenheit in einer Stadt, die er Heimat nennt. In Stuttgart leben nach Schätzungen des Statistischen Amtes rund 65 000 Muslime. Im Gegensatz zu anderen Städten gibt es in der Landeshauptstadt jedoch keine repräsentative Moschee. „Eine sichtbare Moschee wäre ein Signal, dass die Muslime hier in Stuttgart zum Alltag gehören“, findet Gari Pavkovic. Als Integrationsbeauftragter der Stadt sieht er in dem geplanten Moscheebau Chancen für das interkulturelle Zusammenleben. „Zwar schafft es allein die Existenz einer sichtbaren Moschee noch nicht, Vorbehalte der Bürger abzubauen. Aber aus Erfahrung wissen wir, dass dadurch das Interesse der Bevölkerung gegenüber dem Islam wächst.“ Er plädiert dafür, dass alle großen Religionsgemeinschaften in der Öffentlichkeit sichtbar vertreten sind, damit Begegnungen stattfinden können. Die neue Moschee soll ein solcher Ort des Austausches werden, aber auch Raum für religiöse Identität schaffen. „Natürlich wäre es um ein Zehnfaches, um ein Hundertfaches schöner, wenn ich den Gebetsruf vom Minarett höre und weiß: Jetzt muss ich beten gehen.“ Solange der Bau einer repräsentativen Moschee in Feuerbach aber noch in Planung ist, muss Orhan auf den Ruf des Muezzins verzichten und sich mit der digitalen Version der Gebetserinnerung zufrieden geben.


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