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Berliner Modemessen: Gelungener Restart mit neuen Konzepten

Berlin ist als Messestandort für die Branche erstmal gesichert. Auch wenn die neue Location für viele Aussteller noch verbesserungswürdig war, überwog die Freude über die Rückkehr zum Messealltag in der Hauptstadt. Eine scheinbare Rückkehr zur Normalität in einem schwierigen Umfeld für die Bekleidungsbranche, die mit steigenden Material-, Transport- und Energiekosten konfrontiert ist und deren Verbraucher unter der hohen Inflation leiden.


Erstmals versammelte die Premium Group vom 7. bis 9. Juli die Fachmessen Premium und Seek, die Konferenzen Fashiontech, Conscious Club Conference und The Ground Talks sowie das Festival The Ground an einer gemeinsamen Location. Über 800 teilnehmende Brands stellten auf 45.000 Quadratmetern am Funkturm Berlin ihre Kollektionen für S/S 2023 aus.


Premium und Seek: Euphorie trotz logistischer Herausforderungen


Die Premium und Seek starteten mit großem Andrang am Donnerstag. Die Branche zeigte sich nach zweieinhalb Jahren pandemiebedingter Pause mehr als glücklich über die erste physische Ausgabe in Berlin. 


"Wir hatten einen sehr, sehr guten Start und viel Besuch an unserem Stand. Einige unserer Top-Wunschkunden waren schon da, das ist natürlich sehr schön", so Annabelle Homann, COO/Head of Marketing bei Lanius. Das Fair Fashion-Label stellte zum ersten Mal auf der progressiver ausgerichteten Seek aus. Erstmals auf der Premium vertreten war die Otto-Marke Lascana, die ebenfalls mit ihrer Teilnahme an der Messe zufrieden war. "Für uns ist es das erste Mal, dass wir auf der Premium sind und der erste Tag war sehr positiv. Wir hatten einige gute Gespräche und es ist einfach schön wieder das Messe-Feeling zu haben und sich inspirieren zu lassen", so Theresa Klinck, Sales Manager International Key Accounts der Marke. 


Voller Euphorie war man bei Gerry Weber. Das Unternehmen präsentierte mit einem der größten Stände in Halle 8 sein neues Ladenkonzept und die neue Markenausrichtung. Auch gegenüber dem Standort Berlin waren die Aussteller durchweg positiv gestimmt. Silvia Weltring, Area Sales Manager von Medico Sports Fashion, Lizenznehmer für Tamaris Apparel und Accessoires: "Ich finde die Rückkehr nach Berlin nicht verkehrt. Jeder verbindet die Fashion Week und daher auch die Mode mit Berlin, auch die ausländischen Aussteller sind Berlin gewohnt." 


Zum ersten Mal auf der Seek dabei ist das französische Label Veja, das kürzlich seinen ersten deutschen Standort in Berlin eröffnet hat. "Wir lieben Berlin. Wir haben eine so besondere Verbindung zu der Stadt und fühlen uns auch auf der Seek zwischen den anderen Marken sehr wohl", so Felix Neanne, Veja Europe Sales Manager. Für Luis Velez, Global Sales Manager Footwear & Accessoires bei Ecoalf ist "Berlin als Standort ideal. Es ist toll, nach zwei Jahren wieder zurück zu sein, aber natürlich sind wir noch nicht da, wo wir vor der Pandemie waren. Ich denke, es dauert noch mindestens ein Jahr, um wieder dahinzukommen, wo wir vor Corona waren".


Besucherzahl bei 70% im Vergleich zu Vor-Corona-Zeiten


Die Besucherzahl des Re-Start-Events lag laut Veranstalter bei circa 70 Prozent im Vergleich zu Vor-Corona-Zeiten. Dies sei zufriedenstellend, aber durchaus optimierbar, äußert sich die Premium Gruppe. Während am Donnerstag die Stände durchweg gut besucht waren, nahmen die Besucherzahlen bereits Freitagnachmittag stark ab und am Samstag kamen nur noch wenige Händler an den Funkturm. Dies mag zum großen Teil an den Auswirkungen der Pandemie liegen, zudem dürften aber auch die Veranstaltungstage dazu beigetragen haben.


"Früher war die Premium Dienstag, Mittwoch, Donnerstag. Ich denke, es hilft, wenn man sie nicht so zum Wochenende hinzieht, sondern wieder in die Mitte zurückholt", so Tabea Mursch, Merchandise Manager bei Gerry Weber. 


Ein weiteres großes Thema unter den Ausstellern war die Aufteilung der Hallen. Die Veranstalter hatten die Premium zwar in die Bereiche "High", "Icon" oder "Volume" eingeteilt, doch half das der Orientierung nur bedingt. "Grundsätzlich finden wir die Mischung der Aufteilung cool, vielleicht ist es manchmal ein bisschen zu unübersichtlich, man muss sich erst zurechtfinden. Ich denke, auch die Premium muss sich noch zurechtfinden", so Wolfgang Kalk von Taifun. "Gut finde ich, das Gemischte schon, aber ich denke, dass in diesem mehr Struktur sein muss. Aber man kann zufrieden sein und man hat gemerkt, dass die Branche sich unglaublich freut wieder eine Messe zu haben", sagt Stefanie Gruber, Vertriebsleitung bei Sportalm


"Für uns war es eine gute Messe, sodass wir im Herbst auf jeden Fall wiederkommen würden. Es ist natürlich noch ein bisschen ausbaufähig - Hallenstruktur, Ausrichtung, Labelplazierungen und Preislagen, kann man noch optimieren", sagt Sebastian Proft vom Trachtenhersteller Felicitas.


Nachhaltigkeit und Kostenkrise


Besonders die nachhaltigen Marken hätten sich eine Fläche mit spezifisch nachhaltigem Schwerpunkt gewünscht. Die zuvor parallel zur Premium stattfindene, auf Sustainable Fashion ausgerichtete Neonyt hatte der Veranstalter Messe Frankfurt in die Mainmetropole geholt und als D2C-Format für Endverbraucher geöffnet. "Wir fühlen uns auf der Seek sehr wohl, hier in dem Umfeld von auch etwas kleineren Brands und in der überschaubaren Halle. Das finden wir sehr angenehm und auch inspirierend. Wir finden es aber auch sehr schade, dass wir nicht im Rahmen der Neonyt hier sein können, das ist natürlich eher unser Umfeld", so Annabelle Homann von Lanius. 


Auch für Einkäufer, die ein gänzlich nachhaltiges Sortiment führen, sei es schwierig sich auf der Messe zu orientieren, genauso wie für Einkäufer, die sich komplett neu auf das Feld begeben, so Homann weiter. "Man muss die Kunden und Leute informieren und ich denke, das kann man besser, wenn die nachhaltigen Marken in derselben Area sind. Das muss nicht direkt nebeneinander sein, aber zumindest auf derselben Fläche, sonst geht man zwischen anderen Brands verloren", stimmt Luis Velez von Ecoalf zu. 


Ein wichtiger Punkt, wenn man bedenkt, dass die Pandemie in Europa die Nachfrage nach nachhaltigen Produkten und Marken beschleunigt hat. Dies bestätigt auch Theresa Klinck, Sales Manager International Key Accounts, Lascana: "Unsere Kollektion ist zu 90 Prozent nachhaltig, der Anspruch ist, so viel wie möglich nachhaltige Materialien einzusetzen. Die Nachfrage nach nachhaltigeren Materialien ist 50/50. Man merkt, dass Häuser, die jüngere Kundinnen haben, verstärkt danach fragen. Für uns soll Nachhaltigkeit irgendwann Standard werden und es muss einfach normal sein, dass etwas nachhaltig ist und man es gar nicht mehr groß erwähnen muss." 


Nach den Schwierigkeiten der vergangenen zweieinhalb Jahre Pandemie sehen sich die Marken derzeit mit einer Kostenexplosion bei den Hauptmaterialien Polyester und Baumwolle konfrontiert. Hinzu kommen die steigenden Frachtkosten zwischen Asien und dem Westen sowie Verzögerungen im Schiffsverkehr. 


"Wir bestellen die Materialien jetzt schon ein halbes Jahr/ein Jahr, bevor wir sie eigentlich brauchen. Nur so können wir sicherstellen, dass wir die Materialien on time haben. Aber dafür muss man in Vorkasse gehen und dafür braucht man erstmal finanzielle Rücklagen, um das stemmen zu können, was natürlich für viele kleinere Marken sehr schwierig ist", erklärt Annabelle Homann, COO/Head of Marketing Lanius.


Die Luftfracht galt eine Zeit lang als Alternative zum Schiffstransport, aber auch hier sind die Preise stark gestiegen. Zudem haben sich die Fristen aufgrund des Krieges in der Ukraine, der einen Umweg erfordert, verlängert, was zu einem Anstieg der Öl- und Energiekosten geführt hat. Eine Energiekrise, die, wie der europäische Textilverband Euratex seit Monaten betont, nun die europäische Textilindustrie gefährdet. Ironischerweise hat die Krise viele Marken dazu veranlasst, ihre Produktion näher an die Europa-Mittelmeer-Zone zu verlagern. 


"Ganz klar, das waren sehr, sehr herausfordernde Zeiten", erklärt uns Studio Seidensticker. "Es ist natürlich eine riesen Challange, alles auf den Punkt zu bringen. Man muss schauen, dass man die Produzenten relativ zentral hält, wir produzieren in der Türkei und haben dann eben auch nicht so lange Lieferwege."


Talks: Content & Kommunikation


Neben der Fashiontech veranstaltete die Premium erstmals die neuen Konferenz-Formate Conscious Club Conference und The Ground Talks. 85 Speaker diskutierten und referierten in 50 Talks & Panels. Besprochen wurden für die Branche wichtige Themen wie Diversity, Wellbeing, Metaverse und Nachhaltigkeit. Einen ganzen Tag widmete die Fashiontech der Zukunft von virtuellen Welten. Die Konferenz möchte "die Gamechanger und Experten zusammenzubringen, die den Eintritt in eine neue Ära und Episode der Mode anführen", verkündete Anna Franziska Michel, Co-Kuratorin.


The Ground: TikTok und GenZ


Mit der Premiere des Festivals für Style & Culture, The Ground, erhoffte sich die Premium Group zum ersten Mal auch junge Konsumenten aus GenZ und GenY anzulocken. Knapp 6000 Besucher kamen zum Festival. Geboten wurden unter anderem interaktive Brand-Momente von beispielsweise TikTok, sowie Showeinlagen von Berliner Künstlern. Anders als bei den Messen hatten die Besucher auch die Möglichkeit, vor Ort zu shoppen.


Berlin ist zurück


Die Aussteller und Veranstalter sind sich einig, dass Berlin der richtige Standort für die Premium ist. Zu Beginn der Woche verkündete auch die Berlin Fashion Week, dass die Messen der Premium Group und die Leit-Events der BFW ab kommendem Jahr wieder an einem gemeinsamen Termin stattfinden sollen. Auf diese Weise wolle man fach- und konsumentenfokussierten Formate bündeln und Synergien besser nutzen. 


"Es war zwar nicht alles perfekt, aber es ist eine super Basis für die nächsten Saisons gelegt. Es hat sich gezeigt, dass die Branche eine Plattform benötigt, um sich zu informieren, zu connecten, inspirieren zu lassen, persönlich zu treffen und um Neues zu sehen. Berlin ist gesetzt und wir freuen uns auf Januar und 20 Jahre Premium", verkündet Jörg Arntz, Managing Director Premium Group. 


Das nächste Premium Group Event findet mit der Berlin Fashion Week von Dienstag, 17. Januar bis Donnerstag, 19. Januar 2023 mit B2B-Fokus wieder auf dem Berliner Messegelände statt.

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