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Porträt: Jede Menge Gucci: Der neue Stil von Harry Styles

Wenn Künstler musikalisch eine andere, neue Richtung einschlagen möchten, nutzen sie nicht zuletzt die Mode als entscheidendes Element, um diese Entwicklung zu unterstreichen. David Bowie war der erste Künstler, der zu neuen Alben regelmäßig eine neue Kunstfigur entwickelte, Madonna wandelte sich über die Jahre unter anderem vom Eighties-Pop-Girl zur Geisha bis hin zur Discoqueen in Body und Netzstrümpfen und Lady Gaga trennte sich für ihr aktuelles Album "Joanne" von ihren exzentrischen Kostümen und promotete ihre neue Musik in simpler Jeans-Hotpants und weißem Crop-Top. Die modische Entwicklung von Harry Styles mag auf den ersten Blick weniger drastisch ausfallen als die der drei genannten Künstler, doch unterstreicht auch er den Schritt vom Mitglied der erfolgreichsten Boyband der Welt zum Solokünstler durch eine neue modische Richtung. Eingeläutet wurde diese mit einem roten Gucci-Anzug.

Harry Styles wurde 2010 in der britischen Ausgabe der Casting Show X-Factor als eines von fünf Mitgliedern der Band One Direction gecastet. In den folgenden fünf Jahren entwickelte sich One Direction zur erfolgreichsten Boyband der Welt, ihre Alben brachen Chartrekorde und gehörten regelmäßig zu den meistverkauften Tonträgern des Jahres. One Direction war für die 2010er-Jahre das, was NSYNC und die Backstreet Boys in den 1990er-Jahren waren - Superstars, deren Musik vor allem Teenagerinnen begeisterte. Anders als die Boybands von damals trugen One Direction keine einheitlichen Outfits und führten keine einstudierten Choreografien auf. 2015 verkündete One Direction, dass sie eine Pause auf unbestimmte Zeit einlegen werden. Den letzten gemeinsamen Auftritt hatten sie im selben Jahr während des damaligen Finales ihrer Entdeckershow X-Factor. Zu diesem Auftritt trug Harry Styles den besagten roten Anzug von Gucci mit floralem Print, wodurch er sich so von seinen anderen Bandmitgliedern mit ihren klassischen, schwarzen Anzügen oder schlichten Blazer-Jeans-Kombinationen unterschied.

Harry Styles floraler 70s-Anzug setzte nicht nur den Startpunkt für dessen Solokarriere, der Print selbst entstand aus einem weiteren Debut: nämlich dem von Alessandro Michele als neuer Chefdesigner bei Gucci. Bereits in den letzten Jahren von One Direction entwickelte sich Styles zum modischsten Mitglied der Band, trug überwiegend Burberry oder Stücke, die Hedi Slimane für Saint Laurent entwarf. Daher gewann er 2013 den British Fashion Award. Sein typischer Look von damals: Skinny-Jeans, ein weißes T-Shirt oder Kurzarmhemd mit Blumen- oder Animal-Print und Chelseaboots. So zeichnete sich schon durch seinen Look ab, dass Harry Styles, anders als die anderen Mitglieder von One Direction, eine "rockigere" Musikrichtung einschlagen würde und der Gucci-Anzug prognostizierte wohlmöglich schon konkreter, wie Styles Musik klingen sollte.

Denn Harry Syles Debutalbum, das auch seinen Namen trägt, ist völlig anders, als man es von einem ehemaligen Boybandmitglied erwarten würde. Styles wuchs, wie er gerne in Interviews erzählt, mit der Musik von Künstlern wie Pink Floyd, Rolling Stones, Fleetwood Mac oder Queen auf, was sich auch in seinem Album widerspiegelt. Er möchte die Musik von damals in die Gegenwart bringen, aber sie dabei nicht einfach nur kopieren. Diese Richtung prägen auch die Bühnenoutfits, die Harry Styles auf seiner aktuellen Welttournee trägt - und die alle von Gucci entworfen wurden. Dazu gehören Anzüge im 70s-Schnitt, mal mit Blumen- oder grafischem Print, in Gelb, Blau oder Rot sowie Schluppenblusen. Ein androgyner Look, der ihn an den jungen Mick Jagger erinnern lässt.

Wie gut sich diese Mode und Harry Styles ergänzen, zeigte sich auch auf seinem Konzert im Berliner Tempodrom am Dienstagabend. Harry Styles trägt einen dunkelbraunen Anzug mit beigefarbenen Ornamenten, darunter ein schwarzes Hemd. Von der Musik erinnert nichts mehr an seine ehemaligen Boyband-Zeiten, denn unterstützt wird Styles jetzt von vier anderen Musikern, die gemeinsam mit Harry ein über eine Stunde langes Rockkonzert geben. Zu Beginn des Konzerts halten einige Fans die Regenbogenfahne hoch, die mittlerweile zu Harry Styles Konzerten dazu gehört. Harry Styles spricht sich für Gleichberechtigung der Geschlechter aus, so sagte er vergangene Woche auf seinem Konzert in Stockholm: "Egal ob du schwarz, weiß, homosexuell oder hetero bist. Ich liebe euch alle." Es sind solche Sätze, für die Styles von seinem sehr jungen Publikum geliebt wird. Ständig werden Kuscheltiere oder Blumen auf die Bühne geworfen, ebenso Deutschland- und Regenbogenfahnen.

Harry Styles spielte in Berlin alle zehn Lieder seines Albums, darunter die Folk-Ballade "Sweet Creature", den Rock-Song "Kiwi" und seine von Queen inspirierte Hymne "Sign of the Times". Styles verfügt über die Bühnenpräsenz eines Rockstars und schafft es, so seinen überaus sehr jungen Fans eine Musik näherzubringen, mit der sie vorher wahrscheinlich nie in Berührung gekommen sind. Kurz nachdem Harry Styles ein altes Lied von One Direction gespielt hat, singt er "The Chain" von Fleetwood Mac und die jungen Fans singen genauso mit wie bei den Stücken zuvor. Während eines Konzerts in Los Angeles besuchte ihn sogar Fleetwood Mac Frontfrau Stevie Nicks und sang mit ihm drei Lieder. Styles war davon so gerührt, dass er sich an den Rand setzte und nur noch zuschauen konnte. Besser als Harry Styles könnte man die Musik der 70er-Jahre, ihren Look, gepaart mit der vergessenen Boybandhysterie, nicht ins Heute tragen.

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