Posamentierer, Blaudrucker, Kunstblumenfacharbeiter – das sind alte Handwerksberufe, die heute selten geworden sind. Noch gibt es Werkstätten, aber die können das jahrhundertealte Wissen kaum noch weitergeben. Denn in diesen Berufen werden keine Lehrlinge mehr ausgebildet. Die Lehrberufe wurden abgeschafft. Zu wenige Interessenten, kein Bedarf. Für bestehende Betriebe ist das ein Problem. So für die Schaumanufaktur „Deutsche Kunstblume Sebnitz“ in Sachsen. Das städtische Unternehmen bemüht sich seit Jahren darum, dass der 1990 abgeschaffte Ausbildungsberuf des Kunstblumenfacharbeiters wieder eingeführt wird. Iris Milde berichtet über die Schwierigkeiten, einen alten Beruf wiederzubeleben.
Scheibe
„Ich bin Viola Scheibe, arbeite im Haus der deutschen Kunstblume Sebnitz und bin jetzt hier fürs Stanzen und Stärken der Stoffe verantwortlich, mache aber selber auch Blumen.“
Autorin
Viola Scheibe stellt ein Stanzeisen in Blumenform auf einen Stapel aus mehreren weißen Stofflagen und schiebt das Ganze unter die Stanzmaschine.
„Dann, sehen Sie, habe ich jetzt mit einem Schlag 14 Blätter ausgestanzt. Das ist jetzt für eine Chrysantheme und das ist ein Taft, den wir hier verwenden.“
Autorin
Viola Scheibe ist Kunstblumenfacharbeiterin. Sie hat den Beruf zu DDR-Zeiten gelernt.
Scheibe
„Meine Schwester hat vor mir gelernt zwei Jahre und das hat mir dann gefallen und deshalb habe ich den Beruf auch gelernt.“
Autorin
Das „Blümeln“, wie es die Sebnitzer liebevoll nennen, hat in der Region eine 200-jährige Tradition. Mit dem Beitritt Sachsens zum Deutschen Zollverein im Jahr 1834, wurden die die Waren der böhmischen Blumenmacher erheblich teurer, weil nun Zoll auf deren Waren erhoben wurde. Das führte dazu, dass viele Manufakturen auf die deutsche Seite umzogen. Sebnitz entwickelte sich zum Zentrum der deutschen Kunstblumenindustrie. Und ist es bis heute.
In der Blumenwerkstatt der Kunstblumenmanufaktur misst Korina Backasch blaue, lila und braune Flüssigkeit in Messbechern ab und vermischt sie in einer Schüssel.
Backasch
„Plus Spirituswasser muss rein, dass die Farben halt natürlicher verlaufen.“
Zunächst taucht sie den ganzen Stapel weißer Chrysanthemen-Blüten in gelbe Farbe, dann die Spitzen der Blütenblätter in lila Farbe. Das Violett verläuft auf der gelben Farbe zu einem Orange. Korina Backasch ist Quereinsteigerin in der Kunstblume Sebnitz.
Backasch
„Ich habe was Anderes gelernt und habe mir das halt abgeguckt bei anderen, bissl Geschick mitgebracht.“
Autorin
Schon ihre Mutter habe in der Manufaktur gearbeitet. Die Tochter hätte den Beruf auch gern ergriffen, aber da gab es ihn schon nicht mehr. 1990 wurde die Ausbildung zum Kunstblumenfacharbeiter abgeschafft.
Backasch
„Würde ich gern auch jetzt machen, wenn es das noch gäbe, wäre das schön. Das Grundwissen, das kriegt man halt nicht durch Angucken oder Hinterherlaufen oder Nachmachen oder so, das kriegt man dadurch nicht mit.“
Köhler
„Na es war eine Ausbildung, die zu DDR-Zeiten vermittelt worden ist.“
Autorin
Sagt Torsten Köhler. Er ist bei der Industrie- und Handelskammer Dresden für den Geschäftsbereich Bildung zuständig.
Köhler
„Wir haben 1990 das Berufsbildungsgesetz aus Westdeutschland übernommen. Darin sind festgeschrieben, welche Ausbildungen und Ausbildungsinhalte letztlich in Frage kommen und es gibt in Deutschland aktuell 330 Ausbildungsberufe und der Beruf aus DDR-Zeiten – oder viele andere Berufe aus DDR-Zeiten – gehörten eben nicht dazu.“
Autorin
Sprich: Der Kunstblumenfacharbeiter hat den Sprung in die Bundesrepublik nicht geschafft. Weil es ihn praktisch nur in Sebnitz gab und man ihn in anderen Teilen Deutschlands nicht kannte. Aus Sebnitz kam zunächst kein Aufschrei. Denn die Sebnitzer Manufakturen konnten mit der Öffnung des Marktes nicht mit der Konkurrenz aus Fernost mithalten. Der VEB Kunstblume, in dem 1953 über 100 Firmen zusammengeführt worden waren, wurde kurz nach der politischen Wende treuhänderisch abgewickelt. Somit gab es keinen Bedarf an neuen Fachkräften.
Autorin
Durch eine kleine Kunstblumenausstellung führt der Weg ins Büro von Lisa Schmidt. 1992 nahm ein Kunstblumen-Betrieb in Sebnitz wieder die Arbeit auf. Inzwischen firmiert das Unternehmen unter dem Namen „Deutsche Kunstblume Sebnitz“ und ist im Besitz der Stadt. Die Manufaktur stellt Blumen in 100 Prozent Handarbeit auf höchstem handwerklichen Niveau her und setzt sich damit von Massenprodukten aus Asien ab. Theater bestellen Bühnenschmuck, Hotels Tischdekoration, ein Großkunde in den USA Knopflochblumen. Die Nachfrage sei so groß, dass die Angestellten kaum hinterherkommen, sagt die Manufakturleiterin.
Schmidt
„Ja, wir haben drei neue Mitarbeiter eingestellt. Aufgrund dessen haben wir natürlich auch unsere Öffnungszeiten ein wenig gekürzt für die Schaumanufaktur. Damit wir einfach zwei Tage in Ruhe hintereinander weg produzieren können.“
Autorin
Zwölf Blümlerinnen und ein Blümler arbeiten derzeit in der Produktion. Von Donnerstag bis Sonntag können Besucher ihnen beim Blümeln zuschauen. Der Altersdurchschnitt der Mitarbeiter liegt bei Mitte 50.
Schmidt
„Nächstes Jahr geht die erste Kollegin, dann dauert es nochmal drei Jahre und dann kann ich aber sagen: geht jedes Jahr eine Kollegin in Rente.“
Autorin
Die Kleinstadt an der tschechischen Grenze wirbt mit dem Slogan: „Sebnitz - die Seidenblumenstadt in der Sächsischen Schweiz“. Für Oberbürgermeister Ronald Kretzschmar ist die Rechnung klar: Ohne neue Fachkräfte stirbt der Beruf aus und Sebnitz verliert sein Aushängeschild.
Kretzschmar
„Wir haben uns dafür entschieden, nichts unversucht zu lassen und wollen mit der Ausbildung versuchen, auch junge Leute dafür zu gewinnen und dann entsprechend auch Arbeitskräfte zu binden, die in der Kunstblume weitermachen können.“
Im September hat das erste Mal seit 30 Jahren wieder eine Auszubildende in der Kunstblumenbranche eine Lehre aufgenommen.
Lisa
„Mein Name ist Lisa, ich bin 17 Jahre alt. Ich mache jetzt hier meine Ausbildung als Kauffrau im Einzelhandel, aber tue trotzdem hier nebenbei das Handwerk erlernen, wie es früher war.“
Im Laden der Kunstblumenmanufaktur ist Frühling, Sommer und Herbst zugleich. Überall blühen Stoff-Blumen – einzeln oder in Arrangements. Lisa steht hinter der Theke und bindet einen Herbststrauß: Heckenrosen, Physalis, Ahornblätter, Sonnenblumen und Hagebutten.
Lisa
„Weil halt Sebnitz dafür bekannt war, dachte ich, ich gehe mit hierher und weil es halt auch standortnah für mich ist.“
Autorin
Lisa lernt den klassischen Beruf der Verkäuferin in einem Laden für Kunstblumen. Kommunikation mit dem Kunden, Marketing, Pflege des Webshops werden ihre Ausbildungsinhalte sein. Da die Auszubildenden aber nicht nur im Verkauf, sondern auch als Nachwuchs für die Kunstblumenfacharbeiter dringend gebraucht werden, habe man sich eine attraktive Zukunftsperspektive für die Lehrlinge der Kunstblume überlegt, sagt Oberbürgermeister Ronald Kretzschmar.
Kreztschmar
„Man bietet an, dass man eine anerkannte Ausbildung, wie in unserem Fall zum Einzelhandelskaufmann, zur Einzelhandelskauffrau anbietet, und an diese anerkannte Ausbildung dann ein weiteres Jahr mit einer klassischen Kunstblumenausbildung dranhängt und danach gleich in Aussicht stellt, dass man ein langjähriges Arbeitsverhältnis vor sich haben kann. Und da rede ich dann über zehn Jahre mit einer weiteren Verlängerungsoption auf weitere zehn Jahre.“
In der Schaumanufaktur sitzen die Blumenmacherinnen an Tischen und färben, prägen und binden. Lisa Schmidt legt ein Chrysanthemen-Blütenblatt in ein Prägeeisen.
Schmidt
„Hier wird mit Druck und Hitze die Maserung in die ausgestanzten und gefärbten Blätter gegeben. Wir arbeiten hier immer noch mit den alten Eisen. Und das sind auch die alten Maschinen, die wir haben. Das sind sozusagen unsere Schätze.“
Autorin
Sie tritt auf ein Pedal und die zwei Hälften des Prägeeisens werden in der Maschine zusammengedrückt. Lisa Schmid nestelt ein gewölbtes Blütenblatt heraus. Mit den 75 Tausend Stanz- und Prägeeisen, die die Manufaktur in ihren Beständen hat, können die Mitarbeiterinnen und ihr Kollege etwa 5000 verschiedene Blumen herstellen.
„Ich fertige jetzt die Chrysantheme. Ich habe die ersten Blätter angebunden und jetzt werden noch Blätter angestreift, damit die Blüte richtig voll ist.“
Autorin
In einer festgelegten Reihenfolge schiebt die gelernte Kunstblumenfacharbeiter Viola Scheibe große und kleine Blütenblätter auf den Stängel, verklebt und umwickelt sie.
Viola Scheibe
„Bei uns war es so, wir mussten über die Stoffe Bescheid wissen, wie die Zusammensetzung alles passt, wie wirklich die Blume auch aussieht, also man musste sich auch über die Blumen auskennen.“
Bereits 2015 hatte sich die Stadt Sebnitz darum bemüht, so Bürgermeister Kretzschmar, den Beruf des Kunstblumenfacharbeiters wieder anerkennen zu lassen.
Kretzschmar
„Aber es ist leider gescheitert, weil dass mit der Berufsbildung in Deutschland nicht vereinbart werden kann, weil dieses Handwerk zu spezifisch ist und zu regional und eben nicht überall ausgebildet werden kann.“
Autorin
Für regionale Handwerke, wie das der Spielzeugmacher im Erzgebirge oder eben die Kunstblumenherstellung in Sebnitz könnten aber Sonderformen der Ausbildung gefunden werden, meint Torsten Köhler von der IHK. So könne man auf eine bestehende Ausbildung mit einer Umschulung oder einer Zusatzqualifikation aufbauen und so den Berufsabschluss erlangen. Aber:
Köhler
„Das erfordert natürlich eine ganze Menge Anstrengungen in der Vorbereitung, wenn man so etwas erlassen will. Es ist ja nicht allein damit getan, dass die Inhalte festgelegt werden. Es geht ja dann weiter. Dann bedeutet das ja auch, dass es jemanden gibt, der diese Inhalte vermitteln kann, der ständig da ist.“
Autorin
Lehrpläne aus DDR-Zeiten müssten aktualisiert werden, Prüfungen entworfen und abgenommen werden – und das von den noch existierenden Fachkräften, sprich den Mitarbeiterinnen der Kunstblumenmanufaktur. Diese Möglichkeit bestehe prinzipiell für alle alten Berufe, die nicht mehr ausgebildet werden, so Köhler. Vorausgesetzt es gibt noch Facharbeiter, die als Ausbilder in Frage kommen. Für so manchen Beruf kommt das zu spät. Seit Gründung der Bundesrepublik ist die Zahl der Berufe um fast zwei Drittel gesunken. Der Sebnitzer Oberbürgermeister ist entschlossen alles dafür zu tun, dass nach Lisa noch viele weitere Lehrlinge in der Sebnitzer Kunstblume das Blümeln erlernen.
Kretzschmar
„Wir sind ja froh, dass wir zum jetzigen Stand überhaupt eine Möglichkeit haben, eine Ausbildung anzubieten und wir versuchen mit jeder Möglichkeit, das Handwerk zu erhalten. Wenn man das nicht macht, dann ist es von heute auf morgen verschwunden. Das belebt dann auch niemand wieder.“
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