Vielleicht
haben Sie das auch schon gesehen. Im Winter sehen manche Laubbäume
grün aus. Grün vor Misteln. Die Samen dieses Halbschmarotzers
werden durch Vögel verbreitet. Die Wurzeln dringen durch die Rinde
in den Baum ein und entziehen dem ihm Wasser und Mineralsalze. Ein
oder zwei Misteln sind für Bäume verkraftbar. Aber bei einem zu
starken Befall, geht der Wirt ein. In den letzten Jahren hat die Zahl
an Misteln zugenommen. Und für Streuobstwiesen sind Misteln sogar
existenzbedrohend, wie Iris Milde berichtet.
Autorin
Ein steiler Hang im Lockwitzgrund bei Dresden. Hier pflegt die GRÜNE LIGA eine große Streuobstwiese. Andreas Wegener kraxelt den matschigen Pfad hinauf. Zum jährlichen Obstbaumschnitt, sagt er, gehöre auch, dass alle Misteln entfernt werden.
Wegener
„Das ist die Laubholzmistel. Viscum album. Die ist hier eben stark verbreitet. Wenn die Apfelbäume lange nicht geschnitten werden, dann kommen die ersten Misteln, die sind nicht weiter schlimm. Wenn zu viele Misteln drauf sind, gehen die Bäume ein.“
Autorin
Andreas Wegener ist nicht nur Leiter des Projekts Streuobstwiesen der GRÜNEN LIGA Dresden, sondern auch Länderkoordinator für Sachsen im NABU-Bundesfachausschuss Streuobst.
Wegener
„Ziel ist, dass die Misteln zurückgedrängt werden müssen, weil sonst die Streuobstbestände eingehen eingehen werden.“
Autorin
Er zieht eine Schere aus der Tasche und schneidet einen Ast ab, an dem eine etwa 20 Zentimeter große Mistelkugel sitzt.
Wegener
„Die soll im dritten oder spätestens im vierten Jahr geschnitten werden. Man kann hier sehen: Jede Gabelung ist ein Jahrgang. Also ich kann hier zählen, ein Jahr, zwei Jahre, drei Jahre ist das Ding alt und man kann schon sehen: Hier vorne kommt die Blüte. Das heißt, es ist höchste Zeit sie rauszuschneiden.“
Autorin
Misteln blühen im Frühjahr. Bis zum Herbst reifen weiße Beeren mit einem schwarzen Samen darin heran. Dieser sucht sich mit seinen Wurzeln einen Weg durch die Rinde des Baumes bis zu dessen Leitungsbahn und entzieht dem Wirt Wasser und Mineralsalze. Fotosynthese führt die immergrüne Mistel selbst durch.
Wegener
„Wenn man da mal so draufpresst auf so eine Beere und wenn man dann so zieht, gibt es einen langen Faden und kann sich dann an so einen Ast dranhängen.“
Autorin
Das Fleisch der Beere ist klebrig wie Alleskleber. Die Beeren werden von Vögeln verbreitet, beispielsweise der Misteldrossel oder dem Seidenschwanz. Die fressen die Beeren im Winter und verbreiten den Samen durch Ausscheiden oder Wetzen mit dem Schnabel an einem Ast. Gerade an Routen von Zugvögeln ist der Mistelbefall hoch, so etwa im sächsischen Elbtal, sagt Steffen Löbel vom Amt für Stadtgrün in Dresden.
Löbel
„Bei jeder Schnittmaßnahme, die wir durchführen, werden auch automatisch die Misteln mit entfernt. Bei den städtischen Grünanlagen ist es dann so, dass wir dann gezielte Aktionen durchführen müssen, um eine ganze Parkanlage durchzuschneiden. Das ist natürlich auch ein enormer finanzieller Aufwand.“
Autorin
Unstrittig scheint bei Fachleuten, dass die Zahl der Misteln zugenommen hat. Jedoch gibt es keine repräsentativen Studien oder Zählungen. In Fachartikeln wird immer wieder die Vermutung geäußert, dass dies mit dem Klimawandel zu tun haben könnte und mit dem Trockenstress der Bäume. Die Gefährdung durch Misteln sei so groß, dass die Anfälligkeit bei der Auswahl neuer Baumarten berücksichtigt wird, so Löbel.
Löbel
„Die Prognose ist die, dass wir uns das ziemlich genau angeguckt haben, welche Bäume mistelanfällig sind und wir sind dabei, circa zwanzig neue Baumarten zu testen und dass wir dann verstärkt diese pflanzen.“
Autorin
Linden, Pappeln, Silberahorne und Robinien werden nach und nach durch Einwanderer, wie die Hopfenbuchen oder Amberbäume ersetzt. Auch der Sachsenforst geht von einer Zunahme der Misteln in seinen Wäldern aus. Dort tritt vor allem die Kiefermistel auf. In einer Antwort auf Anfrage des Deutschlandfunks heißt es:
„Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass ein Befall mit Misteln die Prädisposition der Bäume gegenüber anderen holz- und rindenbrütenden Insekten erhöht: die Mistel entzieht dem Baum Wasser und Nährstoffe, mindert die Vitalität und verstärkt somit die Stresssituationen der befallenen Bäume.“
Autorin
Auch der Sachsenforst setzt deshalb auf eine höhere Baumartenvielfalt bei Neupflanzungen. Das ist bei Streuobstwiesen nicht möglich, da hier die Besonderheit in den alten Obstsorten besteht. Dort hilft nur regelmäßige Pflege, am besten in der laublosen Zeit im Winter.
Wegener
„Wenn man die schneidet, sollte man sie immer so schneiden, dass man nicht nur die Mistel selber abschneidet, sondern 30 bi 50 Zentimeter ins gesunde Holz reinschneidet. Wenn aber dieser Ast wichtig ist für den Aufbau des Baumes, dann sollte man die Mistel selber rausschneiden und sie immer wieder schneiden alle drei Jahre, sodass sie nicht ins Blühen und Fruchten kommt.“
Autorin
Andreas Wegener geht zu einer benachbarten Wiese, wo die Apfelbäume grün vor Misteln sind. Viele Streuobstwiesen werden von ihren Besitzern sich selbst überlassen und sind dann ideale Verbreitungsherde. 2021 wurden Streuobstwiesen von der UNESCO als Immaterielles Kulturerbe eingestuft. Andreas Wegener hat deshalb eine klare Forderung an die Politik: Die Pflege von Streuobstwiesen muss verpflichtend werden.
Wegener
„Da die Leute freiwillig nichts machen, denke ich, ist es vielleicht sinnvoll, einen Weg zu gehen, der über Verordnungen oder Gesetze geht.“
Autorin
Die sächsische Landesregierung setzt, wie auch andere Bundesländer, auf freiwillige Anreize, etwa Förderprogramme zur Pflege von Streuobstwiesen, und Aufklärung.
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