Wer hat sie nicht schon selbst in den Händen gehabt und ihr ein paar schrille Töne entlockt? Die Mundharmonika. 1829 gelangte eines dieser Hosentascheninstrumente in den Musikwinkel im sächsischen Vogtland. Wenige Jahrzehnte später galt die Region neben Trossingen im Schwarzwald als eines der zwei Weltzentren der Mundharmonikaproduktion. Auch Christian August Seydel gründete 1847 in Klingenthal eine Mundharmonikamanufaktur.
Seifert
„In Europa bzw. in Deutschland, wo die Wiege der Harmonikaindustrie war, gibt es nur noch uns als Hersteller.“
Autorin
Betont der heutige Firmenchef, Geschäftsführer Lars Seifert nicht ohne Stolz. Die „C. A. Seydel Söhne GmbH“ gilt nicht nur als die älteste Mundharmonikamanufaktur der Welt, sie ist auch die einzige, die noch komplett in Europa produziert.
Im Keller des 50er-Jahre-Baus, in dem die Firma heute ihren Sitz hat, befindet sich ein kleiner Maschinenpark. Hier, in der Vorfertigung, werden Stimmplatten gestanzt, Kanzellenkörper gesägt, Deckel gepresst und Tonzungen geschliffen.
Seifert
„Und diese Teile müssen eben sehr exakt gefertigt werden, weil am Ende müssen alle Teile exakt zusammenpassen.“
Autorin
Dafür braucht es gut geschultes Personal. 31 Mitarbeiter hat die Firma derzeit. Die meisten von Ihnen sind ausgebildete Handzuginstrumentenmacher, wie Senta Neumann. Sie arbeitet einen Stockwerk höher in der Montage. Gerade lötet sie die fingernagelgroßen Tonzungen in die Öffnungen der Stimmplatten.
„Welche Töne sind das, die sie hier einbauen?“
Senta Neumann
„Die verschiedensten. Das ist je nach Stimmung der Stimmplatte unterschiedlich. Das ist jetzt gerade C 1.“
Autorin
Die kleinsten Mundharmonikas verfügen über 4 Tonzungen, bei den größten können es bis zu 96 sein. Zudem ist die C. A. Seydel Söhne die einzige Firma, die Tonzungen nicht nur aus Messing, sondern auch aus dem haltbareren Edelstahl herstellt. Aufgrund der manuellen Produktion kann jede Mundharmonika bis ins Detail den Kundenwünschen angepasst werden, so Lars Seifert.
Seifert
„Wir sind nicht interessiert an großen Massenaufträgen, weil wir das kapazitätstechnisch gar nicht machen könnten, sondern an einer nachhaltigen Produktion von werthaltigen Musikinstrumenten.“
Ein anderer Mitarbeiter schraubt die fertige Stimmplatte auf den Kanzellenkörper mit den Windkanälen. Dann kann die Mundharmonika in einer Stimmerkabine getestet und die einzelnen Tonzungen gestimmt werden.
„Und es werden verschiedene Spieltechniken angewendet. Zum Beispiel gerade das Akkordspiel. Und erst, wenn der Durchstimmer der Meinung ist, sie ist perfekt gestimmt, erst dann werden sie gereinigt und verpackt.“
Autorin
Auch das einfachste Modell mit dem eingeprägten Schriftzug „Seyel1847“ auf dem Klangdeckel sei ein ernstzunehmendes Musikinstrument, erklärt Geschäftsführer Seifert. Die sind für rund 30 Euro erhältlich. Profiinstrumente können auch mal mehrere Tausend Euro kosten. Da die Mundharmonika ein typisches Blues- und Folkinstrument ist, werden die meisten Seydel-Mundharmonikas nach Amerika und Westeuropa geliefert. Nicht selten tauchen auf der Kundenliste auch große Namen der Mundharmonikaszene auf.
Seifert
„Wir haben schon einige Highlights dabei, zum Beispiel den Charlie Musselwhite, den man so als letzte Ikone der alten Blues-Idole sehen kann. Der spielt ausschließlich unsere Instrumente.“
Bis 1945 war die Firma Seydel in Familienbesitz. In der DDR folgte die Eingliederung in die Klingenthaler Harmonika-Werke, wo Tausende Mitarbeiter Millionen von Mundharmonikas produzierten, die hauptsächlich ins Ausland exportiert wurden. In dieser Zeit entstand die Triola. Ein Blasinstrument mit bunten Tasten, das die C. A. Seydel Söhne inzwischen neben der Mundharmonika wieder in großer Stückzahl herstellt.
Seifert
„Hatte eigentlich den Hintergrund, das ein Musikinstrument entwickelt werden sollte, das auch für Vorschulkinder geeignet ist. Ohne lesen zu können oder Noten lesen zu können, durch die bunten Tasten folgt man einfach den Farben.“
Autorin
Nach 1990 erhielt die Familie Seydel den Betrieb zurück, doch dieser konnte auf dem freien Weltmarkt, der längst mit Billiginstrumenten aus Fernost geflutet war, nicht mithalten. 2004 musste das Unternehmen Insolvenz anmelden, wurde aber von einer Familie aus Stuttgart übernommen. Fortan konzentrierte sich die C. A. Seydel Söhne auf die Besetzung von Nischen, wie Edelstahlzungen oder die tiefste Bluesharp der Welt.
Seifert
Momentan geht es uns so gut, dass wir die Hoffnung haben, dass wir es noch weitere 170 Jahren aufrecht erhalten können.“
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