Vor dem Zweiten Weltkrieg gab es rund 2800 Synagogen und Betsäle in Deutschland. Ein Großteil wurde während der Reichsprogromnacht oder bis 1945 unwiederbringlich zerstört. Nur wenige nach dem Krieg wieder aufgebaut. Nach 30 Jahren Bauzeit erstrahlt nun auch die Synagoge in Görlitz wieder im alten Glanz. Am heutigen Montag (17 Uhr) wird sie wiedereröffnet. Iris Milde hat das Gotteshaus vorab besucht.
Die braune, schwere Eingangstür ist das Tor in eine andere, eine frühere Welt. Eine Welt aus Gold und farbenfrohen, orientalisch anmutenden Ornamenten. Blickfang ist die mächtige, goldene Kuppel in der Mitte des Saals.
Bauer
„Die verziert ist mit einem Fries, der wichtige Symbole des Judentums aufzeigt, den Löwe von Juda, den siebenarmigen Leuchter und die Zehn-Gebote-Tafeln.“
Autorin
Markus Bauer ist Vorsitzender des Förderkreises Görlitzer Synagoge. Seit 2004 haben er und seine Mitstreiter dafür gekämpft, dass die Synagoge von Görlitz wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Nun ist es endlich soweit.
Bauer
„Es ist schon überwältigend, wenn man jetzt nach der Restaurierung herkommt. Noch mehr für diejenigen, die den Bauzustand kennen, wie er sich früher dargestellt hat.“
Autorin
Rückblende: 1909 kaufte die Jüdische Gemeinde von Görlitz ein Grundstück in einem Villenviertel am Stadtpark und ließ dort durch das namhafte Dresdner Architekturbüro Lossow und Kühne eine neue Synagoge errichten.
Bauer
„Die Görlitzer Synagoge gehört sicher zu den wichtigsten Synagogenbauten aus der Frühzeit des 20. Jahrhunderts in Deutschland. Es ist ein ganz bemerkenswerter Bau aus dem Stil, den man als Reformarchitektur bezeichnet. Also zwischen dem Historismus, aber auch das neue Bauen zeichnet sich schon ab, große, monumentale Flächen.“
Autorin
In der Reichsprogromnacht wurde auch die Görlitzer Synagoge von Nazi-Schergen in Brand gesteckt. Aber aus unbekannten Gründen rückte die Feuerwehr damals aus und löschte das Feuer. Damit ist die Görlitzer Synagoge eine der wenigen Synagogen in Deutschland, die weitgehend im Originalzustand erhalten sind. Doch Jahrzehnte zeigte niemand Interesse an ihr. Sie verwahrloste und war dem Vandalismus preisgegeben. Seit 1963 befindet sie sich im Besitz der Stadt Görlitz. Doch die tat sich schwer mit diesem Erbe.
Bauer
„Man hat oft und lange genug die kulturgeschichtliche Bedeutung dieses Baus nicht wirklich gesehen und sicherlich auch nicht die symbolische Bedeutung. Es gibt ja nicht so viele Synagogen in Deutschland, die sich erhalten haben und ganz wenige, die auch ihre Innenausstattung noch so zeigen können, wie die Görlitzer Synagoge.“
Autorin
Schon Anfang der 90er Jahre gab es eine erste statische Sanierung. Doch immer wieder kam der Bau ins Stocken. Das kleine, schrumpfende Görlitz musste sich nach der Wiedervereinigung um 4000 bedeutende Denkmäler kümmern. Für die Synagoge gab es kein Nutzungskonzept. Seit 2019 ist der gebürtige Rumäne Octavian Ursu von der CDU Oberbürgermeister von Görlitz.
Ursu
„Vielleicht früher hat man ein bisschen unterschätzt. Aber es gab auch Probleme mit der Finanzierung der Sanierung. Seit 2012 ist die Synagoge ein Denkmal von nationaler Bedeutung und das hat uns die Möglichkeit gegeben, ganz anders aufzutreten und die Mittel zu besorgen.“
Autorin
12,6 Millionen Euro sind in die Sanierung geflossen. Den Bärenanteil stemmten der Bund und das Land Sachsen, aber auch zahlreiche Spenden haben dazu beigetragen, dass die Synagoge im alten Glanz erstrahlt. Und das ist wörtlich zu nehmen, denn zusammen mit der Denkmalpflege entschied man sich, nicht zu konservieren, sondern jedes Detail originalgetreu wiederherzustellen, die festlichen Deckenleuchter, die Teppichmalerei an den Wänden, den zentralen Thoraschrein. Nur an wenigen Stellen sind die Wunden der Zeit noch sichtbar.
Hummel
„Die Herausforderung für eine Stadt wie Görlitz ist dann der Unterhalt von den ganzen Gebäuden.“
Autorin
Gibt Benedikt Hummel zu bedenken. Er ist Geschäftsführer der stadteigenen Kulturservicegesellschaft, die ab sofort auch für den Betrieb der Synagoge zuständig ist.
Hummel
„Es gibt Lesungen, Diskussionen, Konzerte natürlich, Ausstellungen, aber wir haben auch jetzt schon die eine oder andere Tagung drin, wo Menschen gerade in diesem besonderen Ambiente sein wollen, um kreativ zu sein und zusammenzuarbeiten.“
Autorin
Außerdem soll die Synagoge täglich für Besucher und Schulgruppen geöffnet sein.
Hinter den Kulissen verstecken sich modernste Ton- und Lichttechnik, komfortable Künstlergarderoben und eine Cateringküche. Der Kultur.Service gibt kein Programm vor. Die Stadtgesellschaft ist nun gefragt, das Denkmal mit Leben zu füllen.
Ursu
„Wir müssen uns die Synagoge leisten als Veranstaltungsort, weil die Synagoge zu unserer Stadt dazugehört.“
Autorin
Lässt Oberbügermeister Octavian Ursu keine Zweifel aufkommen. Partei- oder Verkaufsveranstaltungen sind jedoch ausgeschlossen.
Ursu
„Wir haben uns darauf verständigt, auch mit der Jüdischen Gemeinde in Dresden und mit allen Beteiligten, wie die Synagoge benutzt werden kann und sollte. Wir wollen nicht allgemein alles zulassen, sondern ganz behutsam damit umgehen, gerade, weil es so ein historischer Ort ist, einerseits und andererseits die Wochentagssynagoge im hinteren Teil ist so eingerichtet worden, dass, wenn Bedarf da ist, jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger dort auch eine Andacht oder einen Gottesdienst veranstalten können.“
Die kleinere Wochentagssynagoge liegt östlich vor dem großen Kuppelsaal. Der Thora-Schrein ist durch ein blaues Samttuch mit einem Davidstern verdeckt, darüber hängt das ewige Licht Ner Tamid. Der Musiker Alex Jacobowitz leitet als Vorbeter die jüdischen Gottesdienste in Görlitz. Er hofft, dass auch Gläubige aus dem polnischen Stadtteil Zgorzelec die Synagoge nutzen werden.
Jacobowitz
„Die Syngagoge war ehrlich gesagt ein Zentrum von unser Leben gewesen und das war meistens zugeschlossen. Und jetzt ist es wiedereröffnet und wir erwarten schon, dass nicht nur ein paar Leute, die immer wieder hier beten wollten, aber nicht durften, sondern eine Gemeinde wird nach einer Gemeinde ausschauen können.“
Autorin
Was die zukünftige Nutzung der Wochentagssynagoge betrifft, bleiben Fragen offen. Alex Jakobowitz setzt sich dafür ein, dass die Thora-Rolle ständig im Gebäude verbleibt. Oberbügermeister Ursu zeigt sich gesprächsbereit, dringt aber darauf, dass der Raum nicht allein einer religiösen Nutzung vorbehalten ist. Ein Raunen ging durch die Stadt, als Markus Bauer und der Förderkreis im vergangenen Jahr vorschlugen, den weithin sichtbaren Davidstern wieder auf der Kuppel anzubringen.
Bauer
„Es gibt eben in der Stadt auch immer wieder die Auffassung. Die Synagoge gehört ja der Stadt Görlitz. Sie ist ein städtisches Gebäude, deswegen müsse sie auch profan bleiben.“
Autorin
Inzwischen besteht bei allen Parteien im Stadtrat Einigkeit: Die Synagoge erhält wieder einen Davidstern, vielleicht schon bis Ende des Jahres.
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