Kennen Sie den Guten Heinrich oder die Skapiosen Flockenblume? Das sind heimische Wildpflanzen, die immer seltener werden, weil Wiesen zum Beispiel zu früh gemäht werden, bevor die Pflanzen Samen ausbilden können. Für das biologische Gleichgewicht sind Wildpflanzen jedoch unverzichtbar, etwa weil Insekten von bestimmten Pflanzenarten abhängig sind. So legt der Ameisenbläuling, eine Schmetterlingsart, nur im Großen Wiesenknopf seine Eier ab. In Dresden helfen ehrenamtliche Patinnen und Paten, Wildpflanzen zu schützen und zu vermehren. Iris Milde stellt das Projekt vor.
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Atmo
aufschließen, „Herzlich willkommen!“, erster Stand
Autorin
Das alte Eisentor öffnet sich. Kerstin Schuster steht ganz vorn in der Schlange. Am ersten Tisch bekommt sie eine Pflegeanleitung zu jeder Pflanzenart und ein Protokoll ausgehändigt, in dem sie festhalten soll, wie sich ihre zukünftigen Schützlinge entwickeln.
Schuster
„Herzgespann, das ist mir jetzt nicht ganz so bekannt. Der große Wiesenknopf, der ist ganz neckig, das ist so ein roter Punkt. Dann habe ich den Heilziest, der blüht so schön rosa.“
Autorin
Kerstin Schuster ist das erste Mal als Pflanzenpatin beim Projekt „Urbanität & Vielfalt“ des Umweltzentrums Dresden dabei. Das Projekt läuft seit 2017 an vier Standorten in Deutschland, neben Dresden auch in Potsdam, Berlin und Marburg. Die Idee ist einfach: Die Gärtnerei des Umweltzentrums Dresden zieht aus Saatgut heimische Wildpflanzen und gibt die Sämlinge dann bei ehrenamtlichen Paten und Patinnen in Pflege, erklärt Gärtnerin Sandra Hilgert.
Hilgert
„Also, wir haben diese Päckchenvarianten, die so ein bisschen an kleine Getränkekisten erinnern, wo die Patinnen und Paten ihre Balkon- oder Gartenauspflanzungspflanzen mitnehmen mit der Option, uns Saatgut zurückzubringen. Die andere Variante, das sind größere Töpfe, da verbleiben die Pflanzen wirklich nur zur Pflege und Obhut bei den Patinnen und Paten und kommen dann an uns zurück.“
Atmo
Schuster bekommt Pflanzen
Autorin
Kerstin Schuster bekommt sechs kleine Töpfchen. Die Pflänzchen sind unscheinbar, manche nach dem kalten Frühjahr noch winzig klein.
Schuster
„Ich mache das ja das erste Mal, da wollte ich klein anfangen. Ich habe nur einen Balkon.“
Autorin
Gabriele Helbig geht mit zwei großen Wäschekörben Richtung Ausgang. Sie ist erfahrene Patin, in diesem Jahr sei die Hälfte der Pflanzen für die Firma.
Helbig
„Das stellen wir direkt bei uns vor die Fenster. Ich habe schon unsere großen Papierkörbe als Regentonne hingestellt, damit wir auch Wasser haben.“
Nikol
„Das Projekt wird wirklich super angenommen.“
Autorin
Freut sich Claudia Nikol, die Koordinatorin des Projekts. Rund 280 Paten haben sich in diesem Jahr angemeldet. Der Schutz und die Wiederansiedlung von seltenen und bedrohten Wildpflanzen sei ein Ziel des Projekts. Mindestens genauso wichtig sei es, Menschen für Wildpflanzen zu sensibilisieren.
Nikol
„Die Idee ist eigentlich simpel, dass man nur, wenn man etwas mit den Händen macht, dass man auch wirklich die Verbindung knüpft: Aha, das ist diese Pflanze. Wir wollen einfach was dazu tun, um das Wissen über diese Pflanzen zu haben, dass wenn man sie irgendwo sieht, dass man sie nicht noch rausreißt oder entfernt aus dem Garten.“
Autorin
Vor der Pflanzenausgabe wurden die Paten in einer Onlineschulung in das Thema Wildpflanzen und deren Pflege eingeführt. Über den Sommer können sie an thematischen Exkursionen teilnehmen.
Nikol
„Jede Woche am Mittwoch ist die sogenannte Patensprechstunde, wo alle kleinen Malesken, die die Pflanzen jetzt haben, besprochen werden können.“
Autorin
Im September bringen die Paten ihre Pflänzchen oder das gewonnene Saatgut zurück. Die Samen werden unter anderem an die Stadt Dresden weitergegeben, die sie im urbanen Raum ausbringt. Die Pflanzen werden auf ausgewählten Wiesen ausgepflanzt.
Atmo
durch Wiese laufen
Autorin
Angela Kühne vom Umweltzentrum bahnt sich einen Pfad durch das hüfthohe Gras einer Streuobstwiese an der Elbe in Dresden.
Kühne
„Dort haben wir zwischen die Bäume talictrum gepflanzt, talictrum minus, das ist die kleine Wiesenraute. Und die wollen wir jetzt mal suchen, ob die auch gut angewachsen ist.“
Autorin
Im letzten Jahr konnten die Paten erstmals beim Auspflanzen ihrer Zöglinge helfen.
Kühne
„Die Leute waren sehr glücklich und zufrieden, ihre Patenpflanzen hier mit zu verbuddeln. Vielleicht geht der eine oder andere auch immer mal gucken.“
Atmo
Gras
Kühne
„Hier ist die kleine Wiesenraute. Sie ist noch nicht so hoch, aber sie kommt ganz gut. Da haben sich die Ameisen gleich mal eingenistet. Die blüht so ganz zart, gelblich, weiß. Die sieht man kaum.“
Autorin
Das Projekt „Urbanität & Vielfalt“ wird von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde wissenschaftlich begleitet. Christina Bantle beobachtet, wie sich das konkrete Verhalten der Paten durch das Projekt ändert.
Bantle
„Und das hat man gemerkt, dass sich das tatsächlich deutlich verbessert hat. Dass die Leute nicht nur viel stärker darauf geachtet haben – Ja, ich möchte regionale Pflanzen in meinem Garten verwenden – sondern, das sie gesagt haben: Ich nutze wirklich regionale Pflanzen in meinem Garten, und da so eine Entwicklung stattgefunden hat von so einer Absicht zum tatsächlichen Verhalten.“
Autorin
2022 läuft die Förderung des Bundesumweltministeriums aus und damit auch das Projekt der Pflanzenpatenschaften, sagt Angela Kühne.
Kühne
„Wir arbeiten derzeit an einem Leitfaden, wo eventuell Nachahmern was an die Hand gegeben werden kann, aber auch wo vielleicht auch wir die Leute so erreicht haben, dass die in ihren Gärten weiter machen können.“
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