Wenn
die ersten Kerzen auf dem Adventskranz brennen, es nach Plätzchen
und Tannengrün duftet und die ersten Weihnachtslieder angestimmt
werden, dann ist es in Schleife Zeit für das sorbische Christkind.
Schleife liegt in der Nähe von Hoyerswerda in Sachsen, mitten im
Braunkohlerevier. Zum Kirchspiel gehören sieben Orte, die einen
eigenen sorbischen Dialekt sprechen, eine eigene Tracht haben und
auch eigene Traditionen. Eine davon ist das sorbische Christkind. Und
das ist ganz anders als das Christkind, wie man es gemeinhin kennt.
Iris Milde hat es persönlich getroffen.
Panoscha
„Das ist verschleiert das Christkind, damit es niemand erkennt und deshalb befestigen wir jetzt hier den Schlauer und danach kommt die Haube dran.“
Autorin
Vor Sylvia Panoscha, Leiterin des sorbischen Kulturzentrums in Schleife, sitzt das Christkind. Es trägt bereits seine farbenfrohe Tracht, von der zahllose bunt gemusterte Bänder hängen. Gerade zurrt Panoscha die vielen Stricke fest, mit denen der Gesichtsschleier, ein feinmaschiges, weißes Stoffnetz, am Hinterkopf verknotet wird, damit er eng am Gesicht anliegt. Nichts soll vom Eindruck der überirdischen, engelsgleichen Erscheinung ablenken.
Atmo
Panoscha flüstert
Autorin
Atmen kannst du noch, fragt Sylvia Panoscha. Das Mädchen nickt.
Panoscha
„Nicht nur der Schleier hält das Christkind geheim. Sie bekommt dann auch Handschuhe an und spricht auch nicht. Also man kann es wirklich nicht erkennen, wer es ist.“
Autorin
Seit sieben Uhr an diesem Sonntag ist Sylvia Panoscha im Sorbischen Kulturzentrum von Schleife damit beschäftigt, das Christkind und seine beiden Begleiterinnen in Tracht einzukleiden. Denn jedes Jahr am ersten Advent wird das Schleifer Christkind im Gottesdienst eingesegnet. In der Adventszeit geht es dann von Haus zu Haus, in Kindergärten und zu Seniorenweihnachtsfeiern, bringt Gaben und teilt den Segen aus.
Panoscha
„Das Christkind das bringt nicht große Geschenke wie der Weihnachtsmann, sondern das Anliegen des Christkinds ist eigentlich die Weitergabe des Segens. Das macht es, indem es den Kindern dreimal mit dem Handschuh über die Wange streichelt, aber es geht ja dann von Kind zu Kind und von Gesicht zu Gesicht und das ist eben leider nicht erlaubt dieses Jahr.“
Autorin
Am Weihnachtsabend, wenn anderswo das Christkind alle Hände voll zu tun hat, hat das Schleifer Christkind seine Arbeit bereits erledigt. Doch in diesem Jahr wird der Advent für das Schleifer Christkind ungewöhnlich ruhig sein. Keine Feiern, keine Kinderbesuche, keine Reisegruppen. Nur die Einsegnung in der Kirche darf stattfinden.
Panoscha
„Gerade die Tradition mit dem Christkind, das ist so etwas Besonderes, Berührendes, auch für die Seele. Ja, es ist immer etwas Besonderes vom Christkind gestreichelt zu werden.“
Autorin
Sylvia Panoscha wendet sich wieder dem Mädchen vor sich zu. Es trägt eine weiße Wollstrumpfhose, schwarze Absatzschuhe, einen Rock im großblumigen Blaudruckmuster, eine langärmelige, weiße Bluse mit bunten Schleifen an den Armen, einen blau-weißen Latz vor der Brust und ein buntes Schultertuch mit rosa Fransen. Von Schultern und Hüfte wallen bunte Bänder mit zart-gewebten und gestickten Blümchen.
Panoscha
„In der Spinnstube haben die Mädchen Bänder zum Ankleiden dazu gegeben. So entwickelte sich die Tracht.“
Autorin
Die jungen, unverheirateten Mädchen des Dorfes trafen sich in der Spinnstube zu Handarbeiten und zum Singen.
Panoscha
„Die Kantorka, die Vorsängerin, hat das jüngste oder das fleißigste Mädel ausgewählt, die das Christkind sein darf. Oder das Mädchen, die im nächsten Jahr die erste sein wird die heiratet. Das war natürlich auch total interessant fürs ganze Dorf, sollte aber geheim bleiben.“
Atmo
Mädels kichern
Autorin
Nicht nur das Christkind muss geduldig sein, auch seine zwei Begleiterinnen. Die beiden 13-Jährigen sitzen fertig eingekleidet in Schleifer Tracht mit Blaudruckrock, schwarzer Bluse und rotem Häubchen an der Seite und tuscheln.
Begleiterinnen
„Ich heiße Emi, ich heiße Martha. Wir führen das Christkind durch die Kirche, weil das Christkind das sieht ja nichts und das müssen wir begleiten, damit es nicht irgendwo anläuft.“
Atmo
losgehen
Autorin
Es ist Zeit, zur Kirche zu gehen. Aber zuvor bekommt das Christkind noch drei Dinge an die Hand:
Atmo
Glöckchen
Panoscha
„Das Glöckchen, das sein Erscheinen ankündigt, ein Beutelchen, wo normalerweise ein paar Süßigkeiten drin sind zum Verteilen für die Kinder. Und die Lebensrute bekommt es noch in die Hand. Die Lebensrute kann es erwachsenen leuten auf die linke Schulter auflegen, bringt auch Gesundheit. Ja, eigentlich beim Weihnachtsmann die Rute, die ist so zur Erziehung gedacht, aber beim Chrsitkind nicht, da ist es eben die Weitergabe des Segens.“
Atmo
Treppe, Glöckchen
Autorin
Emi und Matha haken das Christkind unter, das anfangs noch etwas unsicheren Schrittes die Treppe hinunter steigt. Dann schreitet das Trio würdevoll über den Dorfanger von Schleife auf die kleine, gelbe Barockkirche zu.
Atmo
Glocken, Orgel, sorbische Stimmen
Autorin
Der winzige Kirchenraum ist gut gefüllt. Zu Beginn ziehen das Christkind und seine Begleiterinnen durch den Mittelgang ein und nehmen im Chorraum Platz.
Atmo
Begrüßung durch Kind auf Sorbisch
Autorin
Ein kleines Mädchen in Schleifer Tracht begrüßt die Gemeinde und das Dźěćetko, das Christkind.
Pafferin
Gott ist uns nahe. Das spüren wir, wenn da Dźěćetko zu uns kommt und uns sanft über die Wange streicht.
Autorin
Die Pfarrerin legt dem Christkind und seinen zwei Begleiterinnen die Hände auf.
Pfarrerin
Segen auf Sorbisch
Atmo
Kinder kommen
Autorin
Danach stürmen die Kinder zum Altar. Jedes Kind darf sich eine Mandarine vom Christkind abholen.
Atmo
Glocken, Leute vor Kirche
Autorin
Vor der Kirche bittet ein älterer Herr das Christkind, ihm die Rute aufzulegen und ihn zu segnen. Für die einen hat die Tradition noch eine tiefe, religiöse Bedeutung, für andere ist das sorbische Christkind ein wertvoller Brauch, den es zu bewahren gilt.
Frau
„Ist schön, dass die Mädels da so noch an die Traditionen anknüpfen.“
Autorin
Freut sich eine Mutter, aber gibt zu, dass sie selbst in der Familie kein sorbisches Brauchtum pflegen.
Atmo
laufen auf Straße
Autorin
Ein paar Hundert Meter entfernt auf der Dorfstraße, in einem kleinen Backsteinhäuschen, befindet die Werkstatt von Elvira Hantscho. Die junge Frau näht und repariert sorbische Trachten.
Atmo
Packpapier
Autorin
In einer Kiste liegen fein säuberlich in Seidenpapier verpackt die einzelnen Teile einer Christkind-Tracht. Die habe sie für das Museum in Bautzen geschneidert.
Atmo
auspacken
Hantscho
„Da habe ich mich gestern noch an der Haube geschafft.“
Autorin
Gemeinsam mit ihrem Bruder hat Elvira ein Buch über das Dźěćetko, das Christkind, geschrieben und dafür alle Christkind-Trachten der Schleifer Region nachgenäht.
Hantscho
„Es sind ja acht Christkinder, obwohl es nur sieben Dörfer sind. Klein-Trebendorf, die haben noch ein extra Christkind, weil die so bisschen abgelegen sind vom restlichen Ortskern.“
Autorin
Der Legende darf ein Christkind nämlich nicht die Ortsgrenze übertreten, da es sonst zu Staub zerfallen würde. Erstmalig erwähnt wurde der Brauch des sorbischen Christkinds 1808, wahrscheinlich sei die Tradition aber wesentlich älter, sagt Elvira Hantscho.
Hantscho
„Es kann nur vermutet werden, dass das mit der Reformation einherging mit der Schaffung der Christkinder als engelsgleiche Gestalten und dass das hier im Kirchspiel, ja, dass die hier ihr eigenes Ding gemacht haben.“
Autorin
Die NS-Zeit habe der Brauch trotz aller Repressionen gegen die slawische Minderheit überdauert, aber in der DDR-Zeit wäre er beinahe ganz verschwunden, erzählt Elvira Hantscho.
Hantscho
„Alles, was mit der Kirche zu tun hatte, war nicht erwünscht. In vielen Orten ist es ganz zum Erliegen gekommen. Irgendwann haben sie ja dann gemerkt, auch zu DDR-Zeiten, dass sie das nicht gänzlich verbannen können und dann wurde das so dargestellt, dass es ein heidnischer Brauch ist und kein christlicher und deswegen hieß es dann Bescherkind.“
Autorin
Dieser Begriff komme heute nicht mehr gut an. Das Christkind aber ist in Schleife wieder fester Bestandteil des Kirchenjahres und es heißt: Die jungen Mädchen rissen sich geradezu darum, einmal Christkind sein zu dürfen. Das Christkind nickt zustimmend.
Atmo
Glöckchen
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